Fühlen Sie sich durch den Symbolbau des Berliner Stadtschlosses repräsentiert?
Nein. Weder als Polin noch als Historikerin fühle ich mich durch diesen Bau repräsentiert.
Weshalb?
Das historische Preußen lag zu 80 Prozent im heutigen Polen. Die Polinnen und Polen machten immer die größte Minderheit in Preußen aus, über zehn Prozent. Berlin war also auch Hauptstadt für Millionen von Polinnen und Polen. Insofern steht dieses Schloss symbolisch für die Expansionspolitik Preußens nach Osten. Das wird im heutigen Humboldt Forum nicht aufgegriffen, weder in den Ausstellungsräumen noch in seiner Selbstdarstellung. Das Berliner Schloss ist ein Symbolbau, der versucht, Preußen als positiven Referenzpunkt neu zu beleben und dabei diesen Teil der Geschichte auszublenden. Das ist Geschichtsvergessenheit, Verleugnung der negativen preußischen Vergangenheit.
Wie lässt sich das anders machen? Was schlagen Sie vor?
Schon wenn das Humboldt Forum in seiner Selbstpräsentation deutlich machen würde, dass man sich darüber bewusst ist, wie umstritten dieser Symbolbau ist – und dass man sich darüber bewusst ist – würde das einen großen Unterschied machen. Mir fehlt die internationale Perspektive auf den Ort. Das Humboldt Forum gibt vor, sich als Ort der Toleranz, Differenz und postkolonialer Perspektive zu verstehen. Am Beispiel Polens kann ich zeigen, dass das nicht stimmt. Auf der Internetseite des Humboldt Forums gibt es mehrere Artikel, die sich auf die Geschichte des Ortes beziehen, jedoch keinen einzigen, der besagt, dass das historische Schloss in einer multikulturellen Stadt gestanden hat. In einer Stadt mit vielen Minderheiten, mit unterschiedlichen Religionen.
Was wäre ein geeigneter Weg, das zu vermitteln?
Diese Aspekte von Geschichte müsste das Humboldt Forum aus meiner Sicht vor allem in seiner Selbstdarstellung im Internet und in der Ausstellung vermitteln.
Erst in zweiter Linie sehe ich das als Auftrag an eine ästhetische Vermittlung über die Architektur. Vorstellen könnte ich mir aber eine Gedenktafel, die an die polnischen Aufständischen erinnert, die 1848 einsaßen und die über 100 000 Berlinerinnen und Berliner, die vor dem Schloss standen und für deren Freilassung demonstrierten. Man könnte auch künstlerisch bzw. architektonisch das Erscheinungsbild brechen und diesen Aspekt der Geschichte durch eine Symbolfigur vermitteln. Vor allem müsste diese Geschichte in den Ausstellungsräumen des Humboldt Forums Thema sein, es müsste an die polnischen Bezüge erinnert und die expansionistische Politik ins Gedächtnis gerufen werden. Zum Beispiel könnte eine Schulbank darauf hinweisen, dass polnische Sprache in den Ostprovinzen im ausgehenden 19. Jahrhundert verboten wurde. Es gibt sicher viele Wege – aber ich sehe die Bereitschaft dazu nicht.
Sie sehen das Thema Kolonialismus oder Postkolonialismus also durch das Humboldt Forum nicht adäquat bearbeitet?
Das Humboldt Forum greift immer wieder das Thema Kolonialismus auf – aber es ist ein einseitiger Blick, weil er nur den Übersee- Kolonialismus zum Thema macht. Im ausgehenden 19. Jahrhundert führte Preußen und das Deutsche Kaiserreich aber auch eine durchaus koloniale Politik in den polnischen Ostprovinzen – etwa, indem an Schulen die polnische Sprache verboten wurde und man Polen generell rassisch als kulturell unterentwickelt betrachtete, während sich die Deutschen als die Träger von Kultur begriffen. Viele Elemente, die wir mit Kolonialismus verbinden – etwa die Expansion und die Hierarchisierung der Kulturen – sehen wir in Bezug auf die polnischen Ostprovinzen. Gerade auf diese Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts bezieht sich die Rekonstruktion der Fassade. Wenn diese Epoche so präsent sein soll, sollte sich das Humboldt Forum kritisch mit ihr auseinandersetzen.
PD Dr. Agnieszka Pufelska ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nord Ost Institut der Universität Hamburg (Lüneburg), das sich mit der Deutschen Geschichte im östlichen Europa befasst. Gleichzeitig ist sie Privatdozentin an der Universität Potsdam für Kulturgeschichte.
Das Gespräch führte Tina Veihelmann.
Statement von Agnieszka Pufelska als Video.