vonInitiative 02.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

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Fühlen Sie sich durch den Symbolbau des Berliner Stadtschlosses repräsentiert?

Nein. Weder als Polin noch als Historikerin fühle ich mich durch diesen Bau repräsentiert.

Weshalb?

Das historische Preußen lag zu 80 Prozent im heutigen Polen. Die Polinnen und Polen machten immer die größte Minderheit in Preußen aus, über zehn Prozent. Berlin war also auch Hauptstadt für Millionen von Polinnen und Polen. Insofern steht dieses Schloss symbolisch für die Expansionspolitik Preußens nach Osten. Das wird im heutigen Humboldt Forum nicht aufgegriffen, weder in den Ausstellungsräumen noch in seiner Selbstdarstellung. Das Berliner Schloss ist ein Symbolbau, der versucht, Preußen als positiven Referenzpunkt neu zu beleben und dabei diesen Teil der Geschichte auszublenden. Das ist Geschichtsvergessenheit, Verleugnung der negativen preußischen Vergangenheit.

Wie lässt sich das anders machen? Was schlagen Sie vor?

Schon wenn das Humboldt Forum in seiner Selbstpräsentation deutlich machen würde, dass man sich darüber bewusst ist, wie umstritten dieser Symbolbau ist – und dass man sich darüber bewusst ist – würde das einen großen Unterschied machen. Mir fehlt die internationale Perspektive auf den Ort. Das Humboldt Forum gibt vor, sich als Ort der Toleranz, Differenz und postkolonialer Perspektive zu verstehen. Am Beispiel Polens kann ich zeigen, dass das nicht stimmt. Auf der Internetseite des  Humboldt Forums gibt es mehrere Artikel, die sich auf die Geschichte des Ortes beziehen, jedoch keinen einzigen, der besagt, dass das historische Schloss in einer multikulturellen Stadt gestanden hat. In einer Stadt mit vielen Minderheiten, mit unterschiedlichen Religionen.

Was wäre ein geeigneter Weg, das zu vermitteln?

Diese Aspekte von Geschichte müsste das Humboldt Forum aus meiner Sicht vor allem in seiner Selbstdarstellung im Internet und in der Ausstellung vermitteln.

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Erst in zweiter Linie sehe ich das als Auftrag an eine ästhetische Vermittlung über die Architektur. Vorstellen könnte ich mir aber eine Gedenktafel, die an die polnischen Aufständischen erinnert, die 1848 einsaßen und die über 100 000 Berlinerinnen und Berliner, die vor dem Schloss standen und für deren Freilassung demonstrierten. Man könnte auch künstlerisch bzw. architektonisch das Erscheinungsbild brechen und diesen Aspekt der Geschichte durch eine Symbolfigur vermitteln. Vor allem müsste diese Geschichte in den Ausstellungsräumen des Humboldt Forums Thema sein, es müsste an die polnischen Bezüge erinnert und die expansionistische Politik ins Gedächtnis gerufen werden. Zum Beispiel könnte eine Schulbank darauf hinweisen, dass polnische Sprache in den Ostprovinzen im ausgehenden 19. Jahrhundert verboten wurde. Es gibt sicher viele Wege – aber ich sehe die Bereitschaft dazu nicht.

Sie sehen das Thema Kolonialismus oder Postkolonialismus also durch das Humboldt Forum nicht adäquat bearbeitet?

Das Humboldt Forum greift immer wieder das Thema Kolonialismus auf – aber es ist ein einseitiger Blick, weil er nur den Übersee- Kolonialismus zum Thema macht. Im ausgehenden 19. Jahrhundert führte Preußen und das Deutsche Kaiserreich aber auch eine durchaus koloniale Politik in den polnischen Ostprovinzen – etwa, indem an Schulen die polnische Sprache verboten wurde und man Polen generell rassisch als kulturell unterentwickelt betrachtete, während sich die Deutschen als die Träger von Kultur begriffen. Viele Elemente, die wir mit Kolonialismus verbinden – etwa die Expansion und die Hierarchisierung der Kulturen – sehen wir in Bezug auf die polnischen Ostprovinzen. Gerade auf diese Zeit des ausgehenden 19. Jahrhunderts bezieht sich die Rekonstruktion der Fassade. Wenn diese Epoche so präsent sein soll, sollte sich das Humboldt Forum kritisch mit ihr auseinandersetzen.

PD Dr. Agnieszka Pufelska ist Historikerin und Kulturwissenschaftlerin. Sie ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Nord Ost Institut der Universität Hamburg (Lüneburg), das sich mit der Deutschen Geschichte im östlichen Europa befasst. Gleichzeitig ist sie Privatdozentin an der Universität Potsdam für Kulturgeschichte.

Das Gespräch führte Tina Veihelmann.

Die Petition der Initiative Schlossaneignung kann hier mitgezeichnet werden.

Statement von Agnieszka Pufelska als Video.

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https://blogs.taz.de/schlossaneignung/das-humboldt-forum-gibt-vor-sich-als-ort-postkolonialer-perspektive-zu-verstehen-am-beispiel-polens-kann-ich-zeigen-dass-das-nicht-stimmt/

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kommentare

  • Kein Mensch erwartet von den Briten, kritisch und selbstreflektiv zb die Wachablösung oder was das ist am Buckingham Palace abzuschaffen, oder sich sonstwie kritisch mit der eigenen Vergangenheit zu beschäftigen. Deswegen sind die da auch viel entspannter. Selbstzerfleischung hat auch Grenzen.

  • Halte trotz der Löschung meines gefährlichen Textes oder gerade wegen dieser meinen Vorschlag für völlig berechtigt, den Schlossplatz anstelle der “Einheits”-Wippe für eine Erinnerung an das unselige bis mörderische Wirken deutscher Mächte gegen Polen zu nutzen. Mir schiene dieses Gedenken sogar sehr viel wichtiger, als jenes an eine “Einheit”, die es genau betrachtet, gar nicht gibt. Und zwar nach 34(!) Jahren nicht gibt.

  • Manche wussten schon lange vor dem Abriss des Palastes der Republik, dass dieser für anderes stand und gedacht war, als dieses unselige und anachronistische Disney-Schloss.
    Es sollten nun mal all die eifrigen und so selbstgerechten Schlossbefürworter befragt werden. Wie wäre es z.B. mit Wolfgang Thierse?

    Es wäre vielleicht sogar zu überlegen, ob anstelle des eh nicht stimmigen “Einheitsdenkmals” eins errichtet werden sollte, dass die gesamte deutsche Geschichte (der neueren Zeit) reflektiert. Für die sehr hohen polnischen Verluste im II.WK gibt es nach wie vor keine Gedenkstätte. Das im Friedrichshain regelrecht versteckte Denkmal erfüllt diese Aufgabe keineswegs.

  • Ich stimme alles zu. Nun, aus der gleichen Frustration heraus, dass es dem Humboldt Forum an polnischen Aspekten mangelt, habe ich beschlossen, etwas zu unternehmen. Und ich habe in der Ausstellung „Berlin Global“ im Humboldt Forum eine temporäre Sonderausstellung über Polen gestaltet – „Freiheit, Gleichheit, Solidarität. Polnische Standpunkte in Berlin“. Das ist die polnische Stimme im Herzen des preußischen Imperialismus. In der Ausstellung sprechen wir nicht nur über polnische Orte und damit verbundene Ereignisse in Berlin, sondern auch über Diskriminierung und Solidarität.
    So wie es bei den Ausstellungen im Humboldt Forum nichts über Polen gab, so gibt es in der TAZ nichts über unsere Ausstellung über Polen im Humboldt Forum. Deshalb lade ich alle ein, insbesondere die TAZ. Die Ausstellung dauert bis Januar 2026. #FritzLeck
    https://www.stadtmuseum.de/ausstellung/freiheit-gleichheit-solidarnosc-polnische-standpunkte-in-berlin

  • Ich stimme Alles zu, deswegen haben wir eine Sonderausstellung im Humboldt Forum zum Thema Polen gemacht (Mai 2024-Januar 2026). Also gerade weil das Thema Polen fehlte, haben wir es gemacht. So wie es bei den Ausstellungen im Humboldt Forum nichts über Polen gab, so gibt es in der TAZ nichts über unsere Ausstellung über Polen im Humboldt Forum. Ich lade Alle ein: Auf der Freifläche „Freiheit, Gleichheit, Solidarność. Polnische Standpunkte in Berlin“ in der Ausstellung BERLIN GLOBAL geht es um Berlin als Ort polnischer Kämpfe für Freiheit und gegen Diskriminierung, aber auch als Ort des Dialogs und der Solidarität. Es geht auch um Kolonialismus. #FritzLeck
    https://www.stadtmuseum.de/ausstellung/freiheit-gleichheit-solidarnosc-polnische-standpunkte-in-berlin

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