vonInitiative 06.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

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Was verbindet Sie mit dem Konflikt um das Berliner Schloss?

Als Historiker beschäftige ich mich seit 30 Jahren mit Fragen des Kolonialismus und der Erinnerungskultur und seit neun Jahren auch ganz gezielt mit dem Schloss und dem Humboldt Forum.

Das Humboldt Forum als Agora für die Welt und Hort der Wissenschaft mit Bezug auf die Gebrüder Humboldt versucht durch das aus dem 19. Jahrhundert stammende Narrativ, das Deutschland als in der Welt führende Wissens- und Kulturnation beschwört, die antidemokratische und antimoderne Botschaft des Schlosses zu überschreiben. Dieses Narrativ stellt das ‚Land der Dichter und Denker‘ in den Mittelpunkt und verschiebt dabei das ‚Land der Richter und Henker‘ aus dem Zentrum der selbstkritischen, identifikatorischen Erzählung.

Die Architektur – also das Schloss – ist ein Verweis auf die Zeit der Monarchie, die man sich als eine Zeit idealisiert, in der die Welt angeblich „noch in Ordnung“ war. Die Architektur feiert ein Bild Preußens, das die Frage nach dessen Verantwortung für die deutsche Katastrophe des 20. Jahrhunderts ausblendet. Es überbaut buchstäblich die deutsche Gewaltgeschichte und überspringt dabei Auschwitz.

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Überbaut wurde auch der Palast der Republik, der eben auch für die deutsche Teilung und damit die Wunden der deutschen Gewaltgeschichte stand. Das Schloss ist ein steingewordener Schlussstrich! Es steht für eine Renationalisierung der deutschen Identität, es ist ein Monument antidemokratischen Denkens. Dass sich unter den Spendern Menschen mit einem entsprechenden Welt- und Geschichtsbild befinden, auch  mit einem rechtsextremen Hintergrund, verwundert da überhaupt nicht.

Das Ganze sehe ich als einen Verrat an der demokratischen Geschichte Deutschlands wie auch an einer Erinnerungskultur, die sich politisch der eigenen Geschichte stellt. Vordergründig beschwört das Humboldt Forum das Lernen aus der Geschichte. Baulich transportiert es aber eine ganz andere Message. Es steht damit auch für eine Erinnerungskultur, die im Rhetorischen, im Performativen erstarrt. Wo über deutsche Identität, auch der Einwanderungsgesellschaft gesprochen werden müsste, herrschen Sprachlosigkeit oder performative Akte. Ich glaube, dass es aber gerade heute einen ganz großen Bedarf gäbe, deutsche Identität wirklich zu verhandeln.

Fühlen Sie sich durch den Symbolbau repräsentiert?

Nein. Als Bürger einer Demokratie und offenen Gesellschaft fühle ich mich durch diesen Symbolbau nachgerade beleidigt. Das gilt auch für die  Kuppel und deren Inschrift. Sie senden ein christlich-fundamentalistisches Signal: Wir sind christlich. Das ist unser Kern. Es ist aber keine Kirche, an der dies zu lesen ist, sondern ein repräsentativer Staatsbau. Wenn wir uns als eine offene Gesellschaft, eine Migrationsgesellschaft verstehen, wird uns hier eine Botschaft untergejubelt, die dies konterkariert. Eine Republik, die sich als offene Gesellschaft versteht, muss andere Zeichen setzen.

Was ist Ihre Forderung?

Man muss die Geschichte des Ortes wieder sichtbar machen, und man muss die unheilvolle Geschichte Deutschlands in die Fassade einschreiben. Ein preußisches Disneyland, das suggeriert, dass diese Gewaltgeschichte nicht stattgefunden hätte, darf es hier nicht geben. Es darf keine Möglichkeit geben, an diesem Ort vorbei zu gehen, ohne sie wahrzunehmen. Der Ort muss diese Gebrochenheit zeigen. Um das umzusetzen, gibt es viele mögliche Wege. Wir brauchen dazu einen offenen Prozess, in dem diese Frage diskutiert wird. Zum Teil wird ein Rückbau der Fassade nötig sein.

Was können Sie sich konkret vorstellen?

Man könnte die Fassade stilistisch mit Stacheldraht umhüllen und damit aufbrechen oder den Schlüterhof mit Sand aus der Omaheke Wüste auffüllen, wo der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts an den Herero und Nama verübt wurde – im Namen des Kaisers, der der letzte Hausherr des Schlosses war. Damit würden wir zeigen: Es ist etwas passiert! Wir haben uns von diesem Regime gelöst  – und das aus guten Gründen!

Darüber hinaus müsste man auch die Nutzung der Räume radikal ändern. Statt eines ethnografischen Museums könnte dies ein Ort sein, an dem deutsche Geschichte verhandelt wird – gerade auch mit ihren dunklen Seiten. Denkbar wäre hier ein Zentrum für Migrationsforschung. Es müsste ein Ort sein, an dem die Frage gestellt wird: Wie versteht sich diese Gesellschaft? Wer gehört dazu? In diesem Sinne könnte ich mir an diesem Ort in der Stadt auch eine Geflüchtetenunterkunft gut vorstellen.

Dr. Jürgen Zimmerer ist seit 2010 Historiker für die Globalgeschichte an der Universität Hamburg und leitet seit 2014 den Projektverbund „Forschungsstelle Hamburgs (post-)koloniales Erbe“.

Das Gespräch führte Tina Veihelmann.

Die Petition der Initiative Schlossaneignung kann hier mitgezeichnet werden.

Statement von Jürgen Zimmerer als Video.

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kommentare

  • Berlin als Stadt ist unübersehbar gekennzeichnet durch Krieg und Gewaltherrschaft – vergleicht man die heutige Stadt mit ihrem Vorkriegsbauzustand. Da muss man nicht auch noch das von außen teilweise wiederhergestellte Schloss künstlich erneuert in Mitleidenschaft ziehen. Diese permanente Selbstgeißelung einiger sogenannter Intellektueller nervt einfach.

  • Mal ein wenig Geschichte.
    Das feudale Preußen hat Migranten umfassend willkommen geheißen und integriert. Egal ob Hugenotten aus Frankreich, welche wegen ihrer Religion vertrieben wurden, oder Menschen aus den Niederlanden, welche schnell in Lohn und Brot kamen. Alle wurden willkommen geheißen und durften auch sofort arbeiten. Es sind mal nur zwei Beispiele. Nennen kann man mehr, wenn man sich erinnern möchte. Unsere Geschichte ist eben vielseitig. Übrigens Oranienburg und ähnliches habe die Namen von “Oranje Boven” … nur eben mal so zum weiterdenken. Unsere Geschichte beinhaltet, dort wo man sich christlicher Werte erinnert, eben auch diese und natürlich die Toleranz gegenüber dem Anderen.

  • ich diesen ganzen post-kolonialen, anti-christlichen, anti-westlich, Anti-nationalen Furor echt nicht mehr hören. Wir sind eine Nation mit Wunden und haben als Nation furchtbares Leid verursacht. Aber es wird nicht besser, indem wir unsere Geschichte in allerlei bewusst zerstörter Schönheit präsentieren. Wir brauchen gerade deshalb umso mehr den Blick auf die großen Leistungen, die eben auch unsere Geschichte sind, und die Erinnerung daran, dass alle zivilisatorische Entwicklung des Westens ohne das Christentum weder denkbar, noch erklärbar wäre. Und eine biblische Inschrift, so sehr man sie vielleicht auch inhaltlich ablehnt, als christlich-fundamentalistisch zu bezeichnen zeigt leider einfach nur, die wenig fachliche Kompetenz da vorhanden ist. Das persönliche Beleidigt sein des Autors an dieser Stelle zeigt deutlich, wie wenig sachlich, dafür emotional getroffen in seiner antichristlich Einstellung er ist. Ein Glück für ihn, dass die gleiche Bibel die Toleranz anders Denkender als Ausdruck christlicher Nächstenliebe fordert. Aber mit der kann er ja anscheinend nicht viel anfangen…

  • Die Idee mit dem Stacheldraht ist wirklich charmant, aber auch der Vorschlag der Geflüchtetenunterkunft (das Restaurant mit Dachterrasse würde dann wohl die Kantine?) hat was. Genau so und nicht anders lässt sich deutsche Geschichte vermitteln und aufarbeiten.

  • Herr Zimmerer hat offenbar wenig Ahnung von Architektur und Geschichte – aber immerhin eine Meinung zu beidem. Ein mutiger Mann.

  • Ich schließe mich den Ausführungen dieses “Historikers”, in Wahrheit eher ein verbitterter Ideologe, in gewisser Weise an: Die furchtbar einfallslose moderne Ostfassade sollte abgerissen und durch eine der Originalfassade gleichenden/ähnelnden ersetzt werden.

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