vonInitiative 17.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

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Wie sind Sie dazu gekommen, sich an dem Ideenwettbewerb Schlossaneignung zu beteiligen?

Ich habe gerade meinen Master in Architektur abgeschlossen und mich in meiner Abschlussarbeit Ruination Decoded mit dem Thema des Wiederaufbaus in der Ukraine, meinem Heimatland, beschäftigt. Die Auseinandersetzung begann, nachdem ich viele sinnlose Vorschläge gesehen hatte, die die Geschichte des Ortes völlig vernachlässigen und willkürliche Neubebauung vorschlagen, die die Erinnerung und das einzigartige Potenzial des Ortes außen vor lässt.

Ich bin der Ansicht, dass sämtliche „Ansichten“ der Geschichte eines Ortes erhalten bleiben müssen und dass sich die Stadt akkumulativ entwickeln muss, d. h. sie muss sich weiterentwickeln, ganz gleich, um welche Schichten es sich handelt. Andernfalls haben wir am Ende eine vermeintlich gute, aber bedeutungs- und kontextlose Umgebung. In meiner Abschlussarbeit habe ich deshalb eine Designstrategie entwickelt, bei der die historischen Schichten zu einem einzigen Entwurf zusammengeführt werden, der die Geschichte des Ortes im Maßstab 1:1 wiedergibt. Ich würde behaupten, dass das Erlernen von Geschichte im und über den öffentlichen Raum interessanter ist als der Besuch eines Museums oder eines für sich stehenden Denkmals.

Ich habe im Rahmen dieses Projektes viele Beispiele dafür gesammelt, wie die Architektur auf Katastrophen reagiert – darunter Rotterdam der Nachkriegszeit, Pointe du Hoc, das World Trade Center,  St. Paul’s Cathedral und mehr. Berlin hat mich in diesem Zusammenhang besonders fasziniert, vor allem in der Art und Weise, wie viele historische Stätten im öffentlichen Raum erhalten oder kreativ kontextualisiert wurden. Sowohl für Besucher*innen der Stadt (so wie mich) als auch für die Bewohner*innen stellt dies eine aufschlussreiche historische Erfahrung dar

Über das Berliner Schloss bin ich auch schon in meinen Recherchen gestolpert. Als ich vom Ideenwettbewerb mitbekam, entschied ich mich also direkt daran teilzunehmen. Nicht immer bekommt man Gelegenheit, an einem so interessanten Aufruf teilzunehmen. Außerdem schien mir dieser eine logische Fortsetzung meiner bisherigen Arbeit zu sein.

Welche Bedeutung hat das rekonstruierte Berliner Schlosses für Sie?

Der Wiederaufbau des Gebäudes bedeutet für mich eine Vernachlässigung der Vergangenheit des Ortes und eine Illusion für die Menschen, die dort vorbeikommen.

Ich selbst hatte eine kurze Ahnung, dass mit dem Gebäude etwas nicht stimmt, aber nachdem ich durch den Wettbewerb tiefer in das Thema eingetaucht bin, war ich zutiefst überrascht, wie radikal die Rekonstruktion ist, wie viel sie zu verbergen versucht und aus welchem Grund sie das tut. Für mich liegt eine Intervention daher nahe.

Was ist Ihre Vision für dieses Gebäude?

Mein Vorschlag ‚Humboldt: Voidforum‘ besteht darin, die Künstlichkeit des Gebäudes hervorzuheben, indem Teile der Fassade durch reflektierenden Bleche ersetzt werden und das makelose Gebäude in Folge zu dem wird, was es eigentlich ist – ein inszeniertes, dekoratives Requisit.

Die Bleche bestehen aus recycelten Volkswagenteilen, die halb zusammengeschmolzen wurden. Damit greife ich die Tatsache auf, dass Teile des Stahls, aus dem der Palast der Republik konstruiert war, für die Herstellung neuer Autos verwendet wurde.

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Die Unvollkommenheit der recycelten Autoteile führt zum zweiten Schlüsselelement meines Vorschlags: der Reflexion. Die unebenen Stahloberflächen spiegeln nicht nur die Umgebung wider, sondern verzerren sie auch. Die Verzerrung wird zu einer Metapher, die Passant*innen zeigt, wie nostalgiebehaftete Architektur die Erinnerung an den Ort als auch die gegenwärtige Realität formt und die Illusion eines alternativen Verlaufs von Geschichte schafft.

Schließlich stellt die Fassade aus reflektierenden Volkswagen-Teilen eine interaktive Installation dar, die das Publikum einlädt, nicht nur verzerrte Ansichten der Umgebung zu betrachten, sondern auch die eigenen Spiegelungen darin. So soll spielerisch demonstriert werden, wie „gefälschte Geschichte“ unsere eigene Wahrnehmung der Stadt verändert.

Kyryll Dmytrenko ist ein Architekturdesigner und Künstler. Er schloss sein Studium an der Universität für Bauwesen und Architektur in Kiew, Ukraine, cum laude ab und absolvierte ein Masterstudium in Architektur an der Universität für angewandte Kunst Wien. 2021 arbeitete er im renommierten UNStudio in Amsterdam, Niederlande. Sein Hauptinteresse liegt an der Schnittstelle von Kunst und Design. Seine Projekte haben zahlreiche internationale Anerkennungen und Preise erhalten und wurden in Europa und darüber hinaus ausgestellt.

Das Gespräch führte Felix Hofmann.

Bei dem Ideenaufruf „Schlossaneignung“ hatten Künstler*innen, Architekt*innen und Gestalter*innen aus 16 Ländern 153 Arbeiten eingereicht.  Die Ergebnisse können hier eingesehen werden.

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https://blogs.taz.de/schlossaneignung/eine-fassade-aus-reflektierenden-volkswagen-teilen/

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