Sagen Sie bitte, ein paar Worte zu sich …
Ich habe vor 15 Jahren das Zentrum für Politische Schönheit gegründet, um das Erbe von Schlingensiefs Aktionskunst weiterzutragen. Gemeinsam bringen wir die politische Kunst auf dem Rücken der AfD weltweit ganz nach vorn. Ich habe gerade ein Buch geschrieben, das sich um die Frage dreht: Wie nah sind wir in unserer Zeit an der Weimarer Republik? Der Befund lautet: „Es ist fünf vor 1933“.
Fühlen Sie sich durch die Architektur der Fassade des Berliner Schlosses repräsentiert?
Im Gegenteil. Als Demokrat fühle ich mich davon verhöhnt. Aus meiner ostdeutschen Perspektive musste ich damals mitansehen, dass es dem Westen nicht schnell genug gehen konnte, die DDR-Architektur zu beseitigen – das ist zwar sehr verständlich, aber der Palast der Republik war zuletzt ein Palast für die freien Künste im Land. Eine gelungene Umdeutung von einem Relikt der Diktatur zu einer Oase der Freiheit. Das wurde mit dem Bulldozer einfach buchstäblich planiert und eine Wiese angelegt, damit da Gras drüber wächst. Ein dubioser Verein behauptete dann, das Geld für die Fassade beizusteuern und schwupps: Wird mitten in einer vitalen Demokratie das Ursymbol der preußischen Militärmonarchie wieder aufgebaut. Ein verheerendes Zeichen.
Fühlen Sie sich persönlich mit dem Konflikt verbunden?
Ich habe selbst in den Nullerjahren, als der Palast der Republik an die Freie Szene übergeben wurde, in beiden Jahren der Zwischennutzung ein Kurzfilmfestival organisiert: „Die Nacht der sieben Traurigkeiten“. Das Überraschende war, dass wir damals in der Mitte Berlins eine Spielstätte hatten, wo wir etwas auf die Beine stellten – und alle kamen. Es brauchte nicht einmal Werbung.
Einfach, weil der Palast eine so gigantische Lokation war, strömten die Massen in dieses Festhaus der Freien Szene. Mir drängt sich schon die Frage auf, was das soll. Ich fühle mich erstickt von den ganzen Staatstheatern, der kleinbürgerlichen Kunst in Pseudo-Galerien – alles ist durchformatiert. Aber Kunst entsteht da, wo wir als Gesellschaft Lücken lassen. Da, wo Freiräume sind, die den Spieltrieb der Leute wecken. Die Künste sind frei! Das funktioniert bei Klaus Biesenbach überhaupt nicht. Der schleppt einfach sein übliches Netzwerk an und verkündet: Das wird jetzt ganz groß. Die freien Künste haben keinen Ort. Diese Ortlosigkeit war in den Nullerjahren für zwei Jahre ausgesetzt. Heute ist dieser Zufall weggewedelt. Inzwischen findet das statt, was ich die Bayerisierung Berlins nenne. Wir werden immer mehr zu Bayern. Außen steht Freistaat drauf. Innen regiert Dogmatik, Engstirnigkeit und Zwang. Um dem entgegenzuwirken, muss das Schloss wieder abgerissen werden.
Was meinen Sie mit „Bayerisierung“?
Dieser Mief. Selbst in Thüringen oder Sachsen wurden wir nie verhaftet bei der Ausübung unserer Aktionen. In Bayern, nicht in der Türkei, musste ich erstmals miterleben, wie engste Teammitglieder von uns verhaftet wurden. Es ist kein Zufall, dass auch die NS-Bewegung unter dem Begriff „Bajuvaren“ gestartet ist. Und der radikalste Landesverband der AfD nicht in Thüringen sitzt, wo alle hinstarren, sondern auf Aiwangers braunem Boden gedeiht. Wir durchleben ähnliche Entwicklungen. Die Möglichkeitsräume schwinden. Die Kunst braucht Orte.
Was ist Ihre Forderung für den Umgang mit dem Berliner Schloss?
Abriss. Ich habe lange überlegt, ob man das Gebäude noch beräumen kann und schaut, es als große Spielstätte umzunutzen – als Palast der Freien Szene. Aber ich bin zu der Überzeugung gelangt: Das bringt alles nichts. Selbst, wenn man die Fassade demontiert – dahinter ist nichts. Man könnte die Spreeseite stehen lassen, die ist architektonisch interessant genug. Man könnte sich darauf einigen, diese Rückseite, die klobige, klotzige Betonarchitektur als eine städtische Verletzung zu behalten, die daran mahnt, dass hier ein antidemokratischer Irrweg beschritten wurde. Das wird uns später keiner glauben, dass es irgendwelchen Idioten gelungen ist, das Stadtschloss, die Ikone zur Rückkehr der Monarchie und zum deutschen Großreich, mitten in einer bedrohten, gefährdeten Demokratie wieder aufzubauen. Ich meine, wer kommt auf sowas?
Was wäre Ihr Vorschlag?
Meine Idee wäre: Von den Gegnern lernen, heißt Siegen lernen. Was haben die Gegner gemacht? Sie haben einen dubiosen Spendenverein gegründet und angeblich Spendengelder gesammelt. Genau das werde ich jetzt auch tun. Wir sammeln Spenden für den Wiederaufbau des Palastes der Republik – selbstverständlich nur für die Fassade. Den Rest sollen die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen. Alles haargenau wie beim Stadtschloss. Eine Möglichkeit wäre noch, die Schlossfassade einfach an die konservativen und rechtsextremen Kreise im Land zu verhökern. Und zwar in der Form der Berliner Mauer: Wir bieten den Leuten an: Für fünf Euro kann sich jede und jeder selbst ein Stück Stadtschloss abmeißeln. Da dürften gewaltige Summen zusammenkommen, denn der konservative Rechtsruck ist ja massiv! Es wäre dann alles andersherum als beim Stadtschloss. Dort hatte man versprochen, man würde den gesamten Wiederaufbau der Fassade finanzieren. Es reichte dann nur für drei Fenster. Bei unserer Aktion würde wahrscheinlich so viel Geld zusammen kommen, dass wir den gesamten Wiederaufbau finanzieren können.
Philipp Ruch ist ein deutscher Aktionskünstler. Er gründete das Zentrum für Politische Schönheit. Aktuell ist sein neues Buch „Es ist 5 vor 1933. Was die AfD vorhat und wie wir sie stoppen“ auf Platz 6 der SPIEGEL-Bestsellerliste.
Das Gespräch führte Tina Veihelmann.
Hinweis vom Förderverein Palast der Republik e.V.: “Wir fordern und fördern den Wiederaufbau des Palasts der Republik und arbeiten seit 2020 an vielen der hier genannten erfolgreichen Strategien. Mehr Informationen dazu finden sich auf unserer Website, in unserer aussagekräftigen Satzung oder in unserer Präsentation beim Rat für Desintegration im Gorki.“