Fühlen Sie sich durch das rekonstruierte Berliner Schlosses repräsentiert?
Nein. Rekonstruierte Bauten sind immer auch mediale Infrastrukturen, über die Identitäts- und Geschichtsfragen verhandelt werden. Gerade bei einem solch großen und zentralen Vorhaben, das auch noch Unmengen an öffentlichen Geldern kostet – und kosten wird –, sollte man genauer hinschauen.
Die Befürworter*innen argumentieren, mit dem Schloss Berlin und Deutschland ihre Mitte zurückgegeben zu haben. Dass es sich dabei jedoch um eine selektive, ja geschichtsrevisionistische Interpretation handelt, muss klar benannt werden. Geschichte ist nichts Gegebenes, sondern ein hegemonial und ideologisch permanent umkämpftes Feld.
Gerade in Berlin, mit seiner wechselhaften Geschichte und polyzentrischen Stadtentwicklung, macht dieser Bau sowieso wenig Sinn. Zudem ist das Projekt aufgrund der dort ausgestellten kolonialen Sammlungen und des rechten Spendervereins, der die Fassade finanzierte, hochproblematisch.
Wie beschäftigst Du Dich in Deiner Forschung mit diesem Ort?
Aus einer medienwissenschaftlichen Perspektive interessiert mich, wie sich (vermeintliche) Mehrheiten für Rekonstruktionsvorhaben mobilisieren lassen – sei es für einzelne Bauten oder ganze Stadtstrukturen. Hinzu kommt die Frage, warum diese Orte als touristische Anziehungspunkte funktionieren und beliebte Bildmotive sind. Die nostalgische und eher entpolitisierend wirksame Sehnsucht nach schönen, malerischen Orten scheint ein Bedürfnis unserer aktuell konfigurierten Gesellschaft zu sein. Diesen Befund sollten wir ernst nehmen.
Zivilgesellschaftliche und staatliche Akteur*innen wissen diese breite Anschlussfähigkeit gezielt zu nutzen, um ihre politischen Vorstellungen medial und räumlich umzusetzen – die bis zu Kolonialverklärung, „Schlussstrich“-Argumenten und ‚Ethnopluralismus‘ reichen. Man könnte ergänzen, dass rechte Kräfte dieses affektiv-mediale Spiel seit einiger Zeit am besten beherrschen. So wurde schon in den 1990er Jahren im Auftrag des Fördervereins Berliner Schloss e.V. eine Plane entlang der Kuvatur des Schlosses aufgehängt, auf der die Fassade aufgedruckt war.
Das Schloss steht. Was also nun?
Eine sinnvolle Nutzung des Schlosses unter den aktuellen Besitz- und Zuständigkeitsverhältnissen ist schwer vorstellbar. Die Kombination aus kolonialer Amnesie, weiß-bürgerlichem Stadtverständnis und neoliberalem Stadtmarketing ergibt eine für Berlin äußerst problematische Mischung, die meiner Meinung nach auch durch Interventionen am Schloss kaum eingeht werden können.
Für die Rekonstruktionsaktivist*innen ist das Schloss zudem nur der vorläufige Höhepunkt einer Stadtrekonstruktion, die sich am Vorkriegs-Berlin orientiert. Seit den 1990er-Jahren wurde die ‚kritische Stadtrekonstruktion‘ ausgehend von der Friedrichstadt schrittweise umgesetzt. Nun sollen aus Sicht der Befürworter*innen weitere Projekte wie die Schinkelsche Bauakademie sowie Altstadtrekonstruktionen am Molkenmarkt und Marx-Engels-Forum folgen.
Das Schloss als öffentliche Institution fungiert dabei als räumlich-medialer Referenzpunkt der Rekonstruktionsaktivist*innen. Um dieser Legitimation entgegenzuwirken, könnte man die Öffentlichkeit des Baus infrage stellen. Eine Privatisierung des Schlosses wäre denkbar, um den Mythos von Stadtmitte und nationaler Mitte zu entkräften. Der Erlös könnte in dringendere (Bau-)Projekte in der Hauptstadt fließen, für die es ausreichend Bedarf gibt. Die Zukunft des Schlosses würde dann dem freien Markt überlassen.
Philipp Krüpe ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Grundlagen moderner Architektur (IGmA) der Universität Stuttgart. Er publiziert und arbeitet zu architektur- und medientheoretischen Themen, unter anderem für ARCH+, Baumeister, das Goethe Institut und verschiedene Kulturinstitutionen in Deutschland. Aktuell forscht er zur politischen Medien- und Affektgeschichte der modernen Architekturtheorie.