vonInitiative 20.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

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Die historischen Referenzen der Initiative Schlossaneignung reichen weit zurück: 1448 sabotierten die Berlin-Cöllner Bürger*innen den Bau einer Burg auf der Spree-Insel. Seitdem finden an dem Ort immer aufs Neue symbolpolitische Kräftemessen und Verwerfungen statt. Können Sie die historische Dimension des Ortes, an sich dem heute das rekonstruierte Stadtschloss befindet, kurz skizzieren?

Das Berliner Schloss war der zentrale Symbolbau der Hohenzollern-Monarchie – vom Kurfürst über den preußischen König bis zum Kaiser. Historiker wie Horst Bredekamp stellen dabei das Schloss als Ausgangspunkt für Kultur und Wissenschaft in Berlin dar, etwa mit seinen Kunst- und Wunderkammern. Als Herrschaftssitz stand der Bau aber zunächst einmal für das Politische. Und damit für die monarchische Herrschaftsform, ihren Imperialismus und Kolonialismus. Damit verbunden ist auch der wiederholte Aufstand freiheitlich gesinnter Bürger*innen gegen diese absolutistische Unterwerfung, ob 1448, 1848 oder 1918. Mit seiner Zerstörung im Zweiten Weltkrieg wurde der Bau wie Vieles anderes zum Zeichen des deutschen Zivilisationsbruchs und seines selbstzerstörerischen Niedergangs. Ab 1949 entwickelte sich der Ort zum zentralen Symbol der deutschen Teilung und der ostdeutschen Staatenbildung, 1990 dann zur zentralen Stätte rückgewonnener demokratischer Selbstbestimmung und Selbstauflösung der DDR. Er ist also über Jahrhunderte lang der wichtigste Symbolort der politischen Geschichte Preußens und Deutschlands.

Nicht wenigen Leuten – gerade außerhalb Berlins – sind die Hintergründe zum Stadtschloss-Wiederaufbau trotz der historischen Spannweite nicht bewusst. Wie würden Sie die Leute überzeugen, dass die Anliegen der Initiative Schlossaneignung auch sie betreffen?

Auch wenn ich in Berlin lebe, tangiert mich der Bau in meinem Alltagsleben fast ebenso wenig wie eine Einwohnerin von Bad Hersfeld oder Kiel. Darum geht es hier also nicht. Als Symbolort deutscher Geschichte und als Ort der heutigen Aushandlung eines deutschen Selbstverständnises ist der Ort für alle Bürger des Landes gleichermaßen von Belang. Ich würde es für falsch halten, Auseinandersetzungen um Symbole als irrelevant abzutun. Hier werden Debatten geführt, die in die Gesellschaft ausstrahlen und weit über den konkreten Ort wirksam sind. Der linke Theoretiker Antonio Gramsci sah kulturellen Kontroversen als Metapolitik an. Der rechtsextreme Alain de Benoist hat diese Idee aufgegriffen. Für rechtslastige Kreise ist das Schloss ein wichtiger nationaler Symbolbau. Wir sollten Ihnen nicht die Deutungshoheit über diesen Ort überlassen.

Das rekonstruierte Stadtschloss, die Kulturinstitution Humboldtforum, ein Förderverein mit rechtsradikalen Fassadenspendern – wie hängt das alles zusammen?

Die Grundlage für diese seltsame Verknüpfung hat der Bundestag mit seinem Grundsatzbeschluss aus dem Jahr 2001 geschaffen. Er wünschte sich das Humboldt Forum in den Barockfassaden des Berliner Schlosses, die aus Spenden finanziert werden sollte. Die Konservativen sollten ihre preußischen Schlossfassaden bekommen, das linke Milieu ein Versprechen von Multi-Kulti und mit der Agora einen angeblich herrschaftsfreien Debattenort. Und so stimmten im Bundestag Vertreter*innen aller Parteien mit großer Mehrheit zu.

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Die Spenden sollte die Fassaden basisdemokratisch legitimieren. Und die geplanten außereuropäischen Inhalte sollten als vermeintliche Gegenfigur Preußenkritiker*innen und -skeptiker*innen im In- und Ausland besänftigen. Dabei übersah man zum einen, dass die Instrumentalisierung der „außereuropäischen“ Sammlungen zur Legitimation preußischer Fassaden ein neokolonialer Akt ist. Zum anderen hatte kaum jemand dafür ein Bewusstsein, dass ein erheblicher Teil der Sammlung kolonialen Ursprung ist. Doch bald wurde das Projekt von dieser Debatte eingeholt und überschattet. Als vor zwei Jahren bekannt wurde, welche Rolle rechtsradikale Milieus für die Einwerbung der Spenden, hat auch die vermeintlich basisdemokratische Legitimation des Projektes gelitten.

Das Schloss steht. Was also nun?

Gebäude sind nie fertig, sie verändern sich im Gebrauch, werden um- und weitergebaut. Auch das Berliner Schloss unterlag in seiner 500-jährigen Geschichte einer ständigen Weiterentwicklung. Die rechtslastigen Kreise drängen auf eine Fortführung der Rekonstruktionsmaßnahmen im Innen- und Außenraum und haben in den letzten zwei Jahrzehnten eine erhebliche Radikalisierung der Symbolik des Baus durchgesetzt, vor allem mit dem Bau der Kuppel. Demnächst steht die Montage weiteren Skulpturenschmucks an der Lustgartenfassade an und der Förderverein sammelt mit der Unterstützung des Bundes Gelder für weitere Rekonstruktionen. Zugleich hat der Bund Maßnahmen, welche die bisherige Symbolbedeutung relativieren, torpediert und verhindert. Sei es der Vorschlag der Gründungsintendanz, die Skulptur ZWEIFEL des Künstlers Lars Ramberg für das Humboldt Forum aufzugreifen, sei es die Idee, das Kuppelspruchband Nachts mit einer LED-Leuchtschrift zu überblenden. Hier wird ein Kulturkampf ausgetragen und ich fände es sehr problematisch, dieses Feld rechtslastigen Kreisen zu überlassen.

Philipp Oswalt ist Architekt und Publizist. Als Reaktion auf den Berliner Architekturstreit veröffentliche er 2000 das viel beachtete Buch „Berlin – Stadt ohne Form“, engagierte sich ab 2002 für die kulturell Zwischennutzung des Palastes der Republik, kuratierte gemeinsam mit Amelie Deuflhard und Matthias Lilienthal das Projekt Volkspalast 2004 und beteiligte sich an den Protesten gegen den Abriss des Baus. Zu Rekonstruktionsprojekten hat er zahlreiche kritische Schriften verfasst, zuletzt „Bauen am Nationalen Haus. Architektur als Identitätspolitik (2023). Er ist Mitinitiator der Initiative Schlossaneignung.

Das Gespräch führte Felix Hofmann.

Mehr Informationen zu den verdrängten Spuren auf der Webseite der Initiative.

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