vonInitiative 09.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

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Was beschäftigt Sie heute an dem Thema des Schlossplatzes mit der Rekonstruktion des Stadtschlosses?

Ich hatte eigentlich mit dem Thema abgeschlossen. Das Verfahren ist längst vorbei, das Schloss steht jetzt und natürlich akzeptiere ich den demokratischen Prozess, der dazu führte.

Es gibt dennoch zwei Gründe, warum ich den Aufruf unterschrieben habe. Zum einen kann es nicht sein, dass ein so gigantisches, teures Gebäude an einem prominenten Platz nur noch ein Ort für Touristen ist. Das Schloss wirkt wie ein Fremdkörper in der Stadt. Die Berliner haben sich den Ort noch nicht angeeignet. Es ist also ein guter Zeitpunkt, um zu fragen: Was steht dort eigentlich?

Was ist der Platz mit dem Gebäude für Sie? Ist er identitätsstiftend?

Es hat etwas mit Identität zu tun, es ist aber nichts, womit ich mich identifizieren könnte.

Wenn man vom Brandenburger Tor Unter den Linden Richtung Alex läuft, wie das die meisten Touristen tun, sieht man spätestens auf der Höhe der Humboldt-Universität die rekonstruierte Fassade. Das ist ein massiver Eingriff in den Stadtraum.

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Man hat hier ein Stück preußisches Berlin rekonstruiert und für eine bestimmte Gruppe, die in Nostalgie schwelgen wollte, wohl tatsächlich ein Identitätsgefühl geschaffen. Für viele Touristen und auch für Jüngere, die den Palast nicht mehr kennen und nicht die Brache, die nach dem Abriss dort war, muss der Anblick des Schlosses jetzt so normal wirken, dass sie das neue Stadtbild gar nicht mehr in Frage stellen. Aber für mich und viele andere, die die letzten dreißig Jahre in Berlin erlebt haben, ist das absurd: Wenn ich dort entlanglaufe, sehe ich automatisch wieder die Schloss-Attrappe, die Planen mit der aufgemalten Fassade, und weiß, dahinter ist es hohl.

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz argumentiert zwar, dass die Geschichte des Ortes ja innerhalb des Gebäudes thematisiert wird. Aber die Machtdemonstration findet im Stadtraum statt. Und viele Touristen gehen erst gar nicht hinein.

Damals wurde auch versprochen, dass es ein Ort der Begegnung ganz unterschiedlicher Gruppen werden soll. Dieses Versprechen sehe ich nicht eingelöst. Wenn ich Besuch habe, zwinge mich manchmal, zum Schloss zu gehen, ich gehe mit ihnen aufs Dach und erzähle etwas dazu …

Was erzählen Sie Ihrem Besuch?

Dass hier einmal der Palast der Republik stand und dort das Außenministerium, ich rekapituliere die Geschichte und die Debatten und erzähle auch von der Zwischennutzung Anfang der 2000er Jahre. Dort oben wird mir umso deutlicher, was für ein Verlust das war – und dass sich viele das überhaupt nicht mehr vorstellen können. Alle Spuren wurden ausgelöscht.

Aus dem entkernten Gerüst des Palastes nach der Asbestsanierung hätte man etwas machen können, auch architektonisch wäre das tausendmal interessanter gewesen. Damals wurde aber noch kaum über graue Energie gesprochen und von der Notwendigkeit, den Bestand zu erhalten. Vielleicht wäre heute dieses Argument etwas stärker.

Wie könnte eine Aneignung des Ortes heute aussehen?

Das Erfolgreichste am Schloss sind derzeit die Stühle gegenüber vom Lustgarten. Dort kann man abends sitzen und die Linden hinuntersehen. Dann nimmt man plötzlich den Ort als einen Stadtraum wahr, wo man eigentlich gern sein möchte. Und von der Dachterrasse aus hat man wunderbare Blicke Richtung Fernsehturm und auf den Lustgarten. Das Gebäude ist als Volumen dort vielleicht gar nicht falsch, aber mit den falschen Inhalten gefüllt.

Welche Inhalte würden Sie sich wünschen?

Ich würde mir eine weniger museale Nutzung wünschen. Mit Bereichen für unterschiedliche Gruppen, auch für Jugendliche, in denen man nicht konsumieren muss, wo man Sport oder Musik machen kann. Die Kids, die sich jetzt auf dem Alex treffen, sind ja nur ein paar hundert Meter weiter weg und kommen trotzdem nicht zum Schlossplatz, für sie ist das Gebäude abschreckend.

International gibt es inzwischen interessante Entwicklungen im Bibliotheksbau. Dabei geht es längst nicht mehr nur um Bücherausleihe. In Groningen etwa wurde mitten in die historische Altstadt eine zeitgenössische Architektur gebaut, das „Forum Groningen“ mit Bibliothek, Kino, Arbeitsplätzen für Studierende, Cafés, einem Dachgarten und vielen Sitzmöglichkeiten. Ein Ort wie dieser fehlt im Berliner Zentrum. Immerhin ist derzeit unweit des Alexanderplatzes das „Haus der Statistik“ in Planung. Dort hat man es geschafft, eine große Fläche mit interessanten und sinnvollen Nutzungen zu programmieren.

Im Humboldtforum sind die Höfe eng und die Innenräume piefig. Von innen betrachtet, könnte das auch ein Einkaufszentrum sein. Da ist die „Mall of Berlin“ fast noch attraktiver als die Räume, die das Schloss hervorgebracht hat.

Sie sprachen anfangs von zwei Gründen, warum Sie den Aufruf zur Aneignung des Ortes unterstützen. Was ist der zweite Grund?

Es geht darum, Spuren der Geschichte sichtbar zu machen. Der zweite Grund für mich ist das Thema der rechten bis rechtsextremen Spender, das Philipp Oswalt in seinem Buch „Bauen am nationalen Haus“ beschreibt. Dass die Fassade so stark politisch vereinnahmt wird, setzt dem Ganzen noch eins drauf. Es kann nicht gewollt sein, auch nicht im Bundestagsbeschluss, dass der Förderverein, der den Wiederaufbau vorantrieb, dezidiert rechte, rechtskonservative bis rechtsextreme Spender versammelt und damit die Fassaden extrem politisch auflädt. Das ist zwar nicht neu, aber mit dem Aufstieg der AfD und der Rechten bekommt es noch einmal neues Gewicht. Diese extreme Ballung mitten in der Hauptstadt kann man nicht einfach hinnehmen.

Deshalb gefällt mir die Idee eines Wettbewerbs, bei dem man noch einmal Luft holt und überlegt, wie man jetzt mit diesen Fassaden umgehen kann. Ich fände es ja gut, der traditionalistischen Fraktion mit ihren eigenen Mitteln zu begegnen: etwa mit Steinmetzarbeiten, die aber ganz andere Themen transportieren, Themen, die uns heute interessieren. Als Gestalterin fände ich es reizvoller, die Fassade subtil zu unterwandern, als sie plakativ zu dekonstruieren.

Doris Kleilein (*1970) ist Architektin, Autorin und Verlegerin in Berlin. 2005 war sie Mitgründerin des Architekturbüros bromsky. Von 2005 bis 2018 arbeitete sie als Redakteurin der Bauwelt und Stadtbauwelt, seit 2019 leitet sie den Architekturbuchverlag JOVIS in Berlin.

Die Petition der Initiative Schlossaneignung kann hier mitgezeichnet werden.

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