Die Architektur des Humboldt Forum/Berliner Schloss als einer der zentralen Symbolbauten des wiedervereinten Deutschlands formuliert ein gesellschaftliches Selbstbild, das sich ungebrochen auf Preußen und das Deutsche Kaiserreich bis 1918 bezieht. Dies ist in Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus und Rechtsradikalismus fatal. Denn dieser Bau hat die Spuren und Erinnerung an die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts im Straßenraum ausradiert und durch eine idealisierte Deckerinnerung an eine imperialistische Monarchie abgelöst.
Die Problematik eines solchen Geschichtsrevisionismus hat sich seit dem Bundestagsbeschluss für das Humboldt Forum im Jahr 2002 in doppelter Weise zugespitzt. Zum einen wurde unter dem Einfluss rechtslastiger Kreise die Symbolbedeutung des Baus durch zusätzliche Bauelemente verschärft. So enthalten Kuppel mit Kreuz und Bibelvers, Großer Kartusche und die Rückseite des Eosanderportals christlich-fundamentalistische, antiuniversalistische und imperialistische Botschaften, die über die Symbolik der einst beschlossenen Rekonstruktion der Barockfassaden deutlich hinausgehen. Zum anderen ist das wiedervereinte Deutschland in ungeahntem Ausmaß mit einem Anwachsen rechtspopulistischer und rechtsradikaler Kräfte konfrontiert, für welche die Schlossfassaden zu einer Projektionsfläche ihrer Ideologie geworden sind.
Die von 30 Kulturschaffenden und Wissenschaftler*innen initiierte Petition „Schlossaneignung“ fordert daher vom Bundestag, die einseitige Preußenverherrlichung zu beenden, indem ausgelöschte Spuren der Geschichte des Ortes wieder veranschaulicht und die ideologische Verengung und Instrumentalisierung des Ortes aufgebrochen wird.
Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass ein solch zentraler Symbolbau von nationaler Bedeutung der Diversität der Gesellschaft Rechnung trägt und multiple Perspektiven auf deutsche Geschichte eröffnet. Damit würde auch der Instrumentalisierung des Projektes durch rechtsradikale Kreise der Boden entzogen, die von Anfang an für den „originalgetreuen“ Wiederaufbau geworben und gespendet haben.
Um die Möglichkeiten und Ideen von künstlerischen Interventionen bereits aufzuzeigen, wurden im Rahmen eines öffentlichen Ideenaufrufs Künstler:innen, Gestalter:innen und Architekt:innen eingeladen, bis September Vorschläge einzureichen, die die verdrängten Schichten des Ortes wieder anschaulich machen und in die Fassaden des Humboldt Forums einschreiben. Die zugesandten 152 Arbeiten aus 16 Ländern zeigen ein großes inhaltliches wie gestalterisches Spektrum an Ideen für Interventionen an der Berliner Schlossfassade. Aus diesen haben die Jurymitglieder Julia Grosse, Annette Maechtel und Hito Steyerl 21 Arbeiten ausgewählt, die am 10. Oktober um 19 Uhr in der neuen Gesellschaft für Bildenden Kunst Berlin von ihren Autoren öffentlich präsentiert und zugleich in einer Druckpublikation bei DOM publishers veröffentlicht werden.
Die zweite zentrale Forderung der Petition ist, dass der Einfluss und die Mitwirkung rechtslastiger Kreise beim Schlossprojekt vorbehaltlos aufgeklärt und aufgearbeitet wird. Obwohl die Problematik seit Jahren bekannt ist, hat die Stiftung Humboldt Forum diese bislang geleugnet, beschönigt und kaschiert und eine Aufklärung behindert. Dies muss ein Ende haben, ebenso wie die Zusammenarbeit mit dem Förderverein Berliner Schloss, der sich bis heute uneingeschränkt zu all seinen Spendern und damit auch zu jenen, die antisemitische und rechtsradikale Positionen einnehmen, bekennt.
Die Petition, die bis zum 7. November 2024 mitgezeichnet werden kann, zielt darauf ab, den Bund als Eigentümer und Betreiber zur Aufklärung und zu Veränderungen am Gebäude zu bewegen. Jede Person – unabhängig von Alter, Wohnsitz und Staatsangehörigkeit – kann sich der Petition (Nr. 166538) auf der Website des Bundestags oder über eine Unterschriftenliste von der Website schlossaneignung.de anschließen.
https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2024/_04/_22/Petition_166538.html
Stimmen aus den Reihen der Initiatoren der Petition
„Der Wiederaufbau des Berliner Stadtschlosses als Humboldt-Forum fällt zeitlich zusammen mit einem rechtspopulistischen Trend in der politischen Landschaft. Umso mehr gilt es, die Öffentlichkeit über die Akteure aufzuklären und eine Diskussion über die Symbolik des Neubaus zu führen.“ Philipp Oswalt, Publizist und Hochschullehrer Universität Kassel
„Die ungebrochene Rekonstruktion des Berliner Schlosses radiert die deutsche Gewaltgeschichte des 20. Jahrhunderts aus und verschließt sich gegenüber der pluralen Geschichte Deutschlands.“ Elisabeth Broermann, Architektin und „Architects for Future“
„Durch die bis in die Gegenwart reichende Gleichsetzung von Preußen mit einem deutschsprachigen, evangelischen und im Kern deutschen Berlin-Brandenburg bleiben die strukturellen Differenzen, Mehrdeutigkeiten und Ungewissheiten der Geschichten einzelner preußischer Regionen gänzlich ausgeblendet. Dieses Verdrängen bedingt bis heute die Unsichtbarkeit der Vielfalt eines katholischen, jüdischen, slawischsprachigen, polnischen, wendischen, sorbischen und litauischen Preußens, die prägend für das Humboldt-Forum ist.“ Felix Ackermann, Fern-Universität Hagen, und Agnieszka Pufelska, Wissenschaftskolleg zu Berlin
„Wir wissen nun, wer das Schloss mitfinanziert hat: rechte und ultrarechte Spender*innen. Diese Schlossfassade kann in dieser Form nicht weiter im Stadtraum bleiben – sie muss kommentiert und gebrochen werden.“ Anna Yeboah, Architektin und Kuratorin, Berlin Dekolonial
„Ich möchte hoffen, dass die Frage, was dieses Stadtschloss mit der Berliner Stadtgesellschaft zu tun hat, jetzt in das Zentrum der Debatte rückt. Damit einhergehen müssen offene Prozesse der Aneignung und Überschreibung. Denn das ist es ja, was Demokratie bedeutet. Und das ist trotz der Sehnsucht mancher nach der Monarchie die Staatsform, in der wir leben.“ Max Czollek, Publizist
„Das heutige Stadtschloss ist nicht die endgültige Antwort auf 30 Jahre gesellschaftliche Debatte. Die preußisch verklärenden Erscheinung des Schlosses zu brechen ist eine komplexe, alle Disziplinen herausfordernde Aufgabe.“ Kristin Feireiss, Kuratorin und Mitgründerin des Architekturforums Aedes Berlin
„Der Ideenaufruf für die Umgestaltung eines öffentlichen Gebäudes im Herzen der Hauptstadt hat bereits eine wichtige Säule der Demokratie gefestigt. Es geht um nicht weniger als den Erhalt der künstlerischen Freiheit, die ergebnisoffene Debatte über Bauten nationaler Bedeutung und um eine Versöhnung von Tradition und Avantgarde.“ Philipp Meuser, Architekt und Verleger DOM publishers
„Der Wiederaufbau des Berliner Schlosses schuf nicht nur ein preußisches Disneyland im Zentrum Berlins und der Berliner Republik, sondern stellt auch eine erinnerungspolitische Diskursverschiebung erster Ordnung dar. Er bedeutet nicht nur eine unkritische Rehabilitierung der preußischdeutschen Geschichte, sondern auch ein Schlussstrich unter die kritische Auseinandersetzung mit der deutschen Gewaltgeschichte.“ Jürgen Zimmerer, Historiker, Universität Hamburg
Auf diesem Blog werden in den nächsten Wochen zu dem Thema verschiedene Stimmen zu Wort kommen und auch künstlerisch-gestalterische Vorschläge vorgestellt.