vonInitiative 26.10.2024

Schlossaneignung

Warum und wie man die ausgelöschten Spuren des 20. und 21. Jahrhunderts in das Berliner Schloss einschreiben sollte.

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Das Projekt Zweifel (2005) von Lars Ø. Ramberg auf dem zum Abriss freigegebenen Palast der Republik hat sich längst ins kulturelle Gedächtnis eingeprägt. Wie aber kann eine zeitgemäße visuelle Identität auf den rekonstruierten Fassaden des Berliner Stadtschlosses am selben Ort aussehen? Im Rahmen der derzeit laufenden Bundestagspetition rief die Initiative Schlossaneignung zu einem Ideenbeitrag für die künstlerische Intervention auf.

Vorgabe des Ideenaufrufs Schlossaneignung war, die verdrängten Schichten des Ortes wieder anschaulich machen und in die Fassaden des Humboldt Forums einzuschreiben – die Wahl der künstlerischen Mittel war, da es sich nicht um einen Realisierungswettbewerb handelte, bewusst freigestellt. Architektur- und Kunstschaffende aus 16 Ländern haben dafür 153 Arbeiten eingereicht. Die Jury bestehend aus Julia Grosse, Annette Maechtel und Hito Steyerl wählten darunter 21 Arbeiten, die von den Gestalter*innen bei der großen Präsentation am 10. Oktober 2024 in der neuen Gesellschaft für bildende Kunst (nGbK) in Berlin vorgestellt wurden.

Die Vorschläge problematisieren zum einen die ungebrochene Erzählung der drei Außen- und drei Schlüterhoffassaden des Humboldtforums. Sie zeigen zum anderen die ästhetischen Qualitäten einer solchen Aneignung auf – es geht nicht um Ikonoklasmus im Sinne eines Angriffs auf die Symbolik des Baus oder dessen kunsthistorischer Werte (die allerdings durch Zweiten Weltkrieg und Sprengung zu DDR-Zeiten ohnehin unwiederbringlich verloren sind). Es geht um eine Anreicherung, einen Zuwachs an Bedeutungsebenen und um zeitgemäße künstlerische Ausdrucksformen an einem repräsentativen Neubau. Was vorher abstrakt und wage war, wird durch die künstlerischen Einreichungen ganz konkret und vorstellbar.

Geister aus Sand, Narben, die bleiben

Die Arbeit 80.000 m³ Sand von Neslihan Kiran, Lukas Kochendörfer, Niklas Nalbach und Fabien Stoque schlägt etwa vor, den Sand, der derzeit den Keller im nördlichen und östlichen Bereich des Schlosses füllt (und während der Errichtung wegen dem Grundwasser notwendig war), nun vor der Westfassade aufzuschütten. Die große Menge an Sand entfaltet im Zusammenhang mit deutschen Kolonialverbrechen eine starke metaphorische Wirkung, wie der Historiker und Mitinitiator des Projekts Schlossaneignung Jürgen Zimmerer in der nGbK betonte.

Nachdem die deutsche Armee im heutigen Namibia die zum Aufstand gegen die Unterdrückung gerüsteten Herero in der Schlacht am Waterberg (11./12. August 1904) geschlagen hatte, erließ der preußische Kommandeur Lothar von Trotha am 2. Oktober 1904 den sogenannten Vernichtungsbefehl. Die Schutztruppe in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwestafrika trieb die geflohenen Herero in die Omaheke-Wüste. Der Aufstand sei nach Trotha der „Anfang eines Rassenkampfes“ und „irgendeine Milde“ würde „von seiten der Herero nur als Schwäche aufgefaßt werden“, weshalb sie „jetzt im Sandfeld untergehen“ müssen – die Vertreibung in die Wüste als ein besonders grausamer Mord, der von Deutschen verantwortete Genozid kostete 1904–08 schätzungsweise 40.000 bis 60.000 Herero und 10.000 Nama das Leben. Der große Sandberg ruft vor dem rekonstruierten Preußenschloss die verdrängten Geister deutscher Vergangenheit hervor. Zugleich öffnet der Vorschlag einen bisher unzugänglichen unterirdischen Ort in Berlin-Mitte als nutzungsoffenen Raum, der von den Menschen angeeignet werden kann. Vielleicht für die Erzählung deutscher Kolonialverbrechen?

Die Kuppel mit dem krönenden Kreuz und dem umlaufenden Spruchband ist für mich der schmerzlichste Teil des Gebäudes. Die von Friedrich Wilhelm IV. (in Anlehnung an Verse aus der Apostelgeschichte und der Epistel an die Philipper) verfasste Inschrift besagt: „Es ist kein ander Heil, es ist auch kein anderer Name den Menschen gegeben, denn der Name Jesu, zu Ehren des Vaters, daß im Namen Jesu sich beugen sollen aller derer Kniee, die im Himmel und auf Erden und unter der Erde sind.“ Das fünf Meter große vergoldete Kreuz – ein in der Menschheitsgeschichte mehrfach kodiertes Zeichen – wird damit konkret in den Kontext der Kolonialgeschichte, christlicher Missionierungen und kultureller Unterdrückung – gerückt. Im Zusammenhang mit der Nutzung des Gebäudes als Museum für Außereuropäische Kulturen kann die Aussage der rekonstruierten Kuppel als offener Affront gelesen werden. Die Arbeit Lufthauch eines kalten Berges von Tina Born und Enrico Niemann dekonstruiert sie im eigentlichen und übertragenen Sinne. Die Kuppel wird auf ihr hohles Gerüst aus Stahlstreben reduziert, der sich öffnende Raum auf dem Dach zugleich als Leerstelle ausgespart. Statt also in neuen Aktionismus zu verfallen und sich die Kuppel anzueignen, schlagen die beiden Künstler*innen vor, nichts zu tun: über die Zeit wird eine „wilde“ Sukzessionslandschaft für Tiere und Pflanzen – bewusst nicht-menschliche Akteure –über dem „steinernen Berlin“ entstehen.

Dieser, ursprünglich von Werner Hegemann 1930 geprägte Begriff diente in konservativen Kreisen immer wieder als Argumentation für die (nicht kritische) Rekonstruktion Berlins. Insbesondere durch die Ernennung zur neuen Hauptstadt der Bundesrepublik sollten im Stadtraum nun endlich die „Wunden verheilen“ können. Bei Wunden bleiben allerdings üblicherweise Narben zurück. Dieses Konzept der Narben beziehungsweise der Wiedersichtbarmachung der ausgelöschten, retuschierten Narben an den Fassaden des rekonstruierten Stadtschlosses spielt in vielen der Einreichungen eine tragende Rolle.

Diese Narben entstehen durch unterschiedliche Strategien: Als großen Roboterarm (Alina Strmljan, Felix Kofler), als in der Luft schwirrende Schwärme von Drohnen (Jaime Salazar Rückauer) oder über die Fassade laufende Craquelè (Andreas Kopp). Re*Re*Re*konstruktion von Situation Room dreht die 1993 auf Veranlassung von Wilhelm von Boddien errichtete Schlossattrappe – ein Baugerüst in den Umrissen des ehemaligen Stadtschlosses, dessen vorgehängte Polyesterplanen mit Fotos der Fassade bedruckt waren – gewissermaßen um, und stellen Musterfassaden zu verschiedenen Zeiten im 20. Jahrhundert im Maßstab 1:1 vor die rekonstruierte Fassade. Als Kriegsruine, als Palast der Repubik, als Stahl- und Betonrohbau etc.

Nicht zuletzt ist die schon im Titel verweisende Arbeit Narbe von Jeanna Kolesova zu nennen. Sie schlägt als Videoprojektion auf die Fassaden eine Aufzählung derjenigen Akteure vor, dank deren „freundlicher Unterstützung“ die „deutschen Wunden“ endlich verheilt sind: „523 Abgeordneten des Deutschen Bundestages, mehrere Mitglieder einer rechten Partei, einem Herausgeber einer rechten Zeitung, einem unternehmungslustigen ehemaligen Mitglieds der Waffen-SS, einem Initiator des Fördervereins, der ‚auf bürgerliche Reputation achtet und nicht auf politische Einstellungen‘ einem ‚prominenten Revisionisten der Nachkriegszeit‘ mit ‚rechtsradikalen Züge‘.“ Es ist eine technisch einfache Intervention, die materiell nicht in die Fassade eingreift. Idee dahinter ist, dass hier nicht Jahre bis zur Realisierung ins Land gehen. Eine entsprechende Projektion ließe sich in kürzester Zeit installieren. Worauf also warten?

Präsentation der Wettbewerbsergebnisse als Video.

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