Bitte sagen Sie zunächst ein paar Worte zu Ihrer Person.
Ich bin Kunsthistorikerin, ich komme ursprünglich aus Moskau und lebe derzeit in Mailand. Ich beschäftige mich mit der Vorstellung vom „Neuen“ in der Kunst, mit der Farbe Weiß und Gesamteindrücken. Im Zusammenhang mit zeitgenössischen Ideen des Gesamtkunstwerks interessieren mich Chronotop und beteiligungsorientierten Praktiken. 2013 habe ich meine Dissertation über das Gesamtkunstwerk in seinen Auffassungen und Umsetzungen in der Darmstädter Künstlerkolonie Mathildenhöhe geschrieben.
Ich spreche Deutsch, da meine Mutter in Rostock geboren wurde. 2010 habe ich als Austauschstudentin ein Sommersemester an der Humboldt-Universität in Berlin absolviert. Deutschland und Berlin sind mir also durchaus vertraute Orte.
Wie sind Sie dazu gekommen, an dem Ideenwettbewerb teilzunehmen?
Ich habe durch Zufall von dem Wettbewerb erfahren. Über das russische soziale Netzwerk vkontakte. Der Chefarchitekt von Moskau, Sergej Kusnezow, betreibt dort einen Blog, in dem er nicht nur über sämtliche neuen Bauprojekte in Moskau schreibt, sondern in seiner Wochenendkolumne auch die wichtigsten Events der Gegenwartsarchitektur und aktuelle Wettbewerbe bespricht. Auf diesem Wege erfuhr ich von dem Ideenwettbewerb Schlossaneignung. Und der zog sofort meine Aufmerksamkeit auf sich. Ich habe schließlich in Berlin studiert und war wirklich oft dort. Die Stadt hat sich mir und in mein Raumerleben eingeprägt.
Welche Bedeutung hat der Wiederaufbau des Berliner Schlosses für Sie?
Für mich stellt der Bau eine große symbolische Spekulation dar. In Anlehnung an die französischen Philosphie des 20. Jahrhunderts würde ich es als ein ‚Simulakrum‘ bezeichnen. Und gleichzeitig als ein ‚Monster‘, das in unserem Tunnelblick auf Geschichte, Ästhetik oder Politik entsteht.
Was ist Ihre Vision für diesen Ort?
Für eine angemessene Betrachtung der Vergangenheit, habe ich vorgeschlagen, eine Kanalluke mit einem „richtigen“ Slogan JEDEM PUNKT IHRE WAHRHEIT – JEDER ZEIT IHR PUNKT zu versehen. Formale Rekonstruktionen oder politisierte Deutungen können aus ihrer heutigen Sicht nur Teilaspekte der ursprünglichen Bedeutungen eines Ortes erfassen.
Die Erinnerung an den Fluss aus Scheiße, der die Geschichte des Ortes durchzieht, wird verdrängt. Und wie wir versuchen, das Ausgeschiedene unter unseren Füßen auszublenden und nicht weiter darüber nachzudenken, wollte ich ein Symbol für die Unsichtbarmachung der „schlechten“ Geschichte des Schlosses schaffen.
Stellen Sie es sich als den Teil des Eisbergs vor, der unter Wasser liegt – der größte Teil, der hässliche Teil, der gefährlichste Teil.
Das Gespräch führte Felix Hofmann.
52 Künstlerlnnen, Architekt*innen und Gestalter*innen aus 16 Ländern haben sich am Ideenwettbewerb Schlossaneignung beteiligt. Die Ergebnisse können hier eingesehen werden.
Die Petition der Initiative Schlossaneignung kann hier mitgezeichnet werden.