Wie blicken Sie als in Wien ansässiger Künstler auf die Berliner Stadtschloss-Debatte?
In meiner künstlerischen Arbeit beschäftige ich mich viel mit urbaner Veränderung und ihren gesellschaftlichen Hintergründen. So war der Palast der Republik und seine dramatische Transformation zum rekonstruierten Stadtschloss bereits Thema einer 2019 entstandenen Arbeit, bei der ich mit Materialfragmenten der Gebäude gearbeitet habe. Eine Spiegelscheibe und weissen Marmor vom Palast, Beton- und Sandsteinmuster vom Stadtschloss habe ich mit Stahlband zu einem skulpturalen Tableau verschnürt, das die Zeitgebundenheit gebauter Substanz dokumentiert. Ich glaube, der dahinterliegende politische und architektonische Diskurs weist weit über Berlin hinaus.
In ihrem Beitrag zum Ideenwettbewerb Schlossaneignung schlagen Sie eine Brücke von Berlin nach Budapest. Was gab Ihnen hierfür den Anlass?
Ich beobachte seit längerem den Stadtumbau, der aktuell in Budapest passiert. In Kooperation mit der städtischen Budapest Galéria arbeite ich auch an einem Projekt, das Materialien von aktuell abgerissenen Gebäuden sammelt, um daraus Portraits dieser Transformationsprozesse zu erstellen.
Auf den Burgpalast bin ich dabei erst vor kurzem so richtig aufmerksam geworden. Wie das Berliner Schloss ist er eine über Jahrhunderte gewachsene Struktur, und hatte nach einem letztem Umbau um die Jahrhundertwende eine sezessionistisch neobarocke Fassade erhalten. In den finalen Kämpfen um die Stadt, Anfang 1945, hatte sich die deutsche Wehrmacht in der Burg verschanzt, der Palast wurde schwer beschädigt und brannte aus. Ende der 1960er Jahre wurde mit dem Wiederaufbau begonnen. Die Kuppel wurde in modernisierter Form in Stahlbeton errichtet, die Fassade von Statuen befreit und großflächige, sprossenfreie Kippfenster eingesetzt. Die Innenräume wurden für kulturelle Nutzungen gewidmet und komplett modern gestaltet, heute befinden sich darin die Nationalgalerie, die Nationalbibliothek und das Historische Museum der Stadt Budapest.
Aktuell soll der Burgpalast wieder in den Zustand vor dem 2. Weltkrieg zurückversetzt werden und zukünftig als Regierungssitz dienen. Ein erster Flügel des Schlosses wird gerade abgerissen, um “originalgetreu” (also mit Stand 1944), wieder errichtet zu werden. Für die Nationalgalerie ist in einem anderen Teil der Stadt ein Neubau nach einem Entwurf von SANAA geplant.
Im ganzen Burgbezirk werden derzeit historische Gebäude rekonstruiert, und moderne Hinzufügungen entfernt, unter anderem wurde bereits 2020, unter Protest der Architekturwelt und Denkmalschützer*innen, das ikonische Umspannwerk des Architekten Csaba Virág abgerissen (erbaut 1974-79), sowie jüngst das 1981 von György Jánossy und László Laczkovics errichtete Diplomatenhaus. Beide Gebäude waren intelligente und feinfühlige Ergänzungen der historischen Stadtstruktur, an ihre Stelle treten Rekonstruktionen, oder erstmal jahrelange Brachen.
Der Neu-Bau des Budapester Schlosses steht im Zusammenhang mit einer größeren Welle der Rekonstruktion und historischen „Glättung“ in der ungarischen Hauptstadt. Wie würden Sie die Situation beschrieben?
Ähnlich den Proponenten des ideologisch geprägten deutschen Rekonstruktionswahns, versucht die aktuelle ungarische Regierung die Moderne sowie die Erinnerung an den Sozialismus aus dem Stadtbild zu tilgen. Es gilt, eine historische Kontinuität zu behaupten, der Nation stolze Symbole zu errichten, oder einfach profitable Investitionsmöglichkeiten für die staatsnahe Immobilienbranche.
Gegen die Abrisse regt sich nicht immer Widerstand, zu stark ist die internationale Moderne lokalpolitisch kontaminiert, und außerdem durch langjährige Vernachlässigung oft in schlechtem Zustand. Zwischen Nationalromantik und Neoliberalismus verschwinden so bedeutende Bauten, ganz aktuell wird das elegante, in den 1960er Jahren errichtete Bürogebäude des Ungarischen Radios abgerissen, um dem neo-klassischen Entwurf eines neuen Universitätscampus zu weichen.
Weshalb richten sich rechte Kräfte allerorts in Europa gegen die Architektur-Moderne?
In Osteuropa ist dies ja nochmal ein wenig anders und extremer gelagert. Der Begriff “Nachkriegsmoderne” ist dort eigentlich komplett mit Sozialismus gleichgesetzt, in Ungarn ist der Begriff dafür “Szoc-Reál”. Es fehlt die internationale Perspektive.
Für den ungarischen Pavillon der Biennale von Venedig hatte ich 2007 eine mehrteilige Videoarbeit zu sozialistischen Kulturhäusern in Budapest gemacht. Das Projekt wurde damals in Ungarn stark kritisiert, weil es ein so „unaufgearbeitetes“, “irrelevantes” und “lokales” Thema vor internationalem Publikum präsentierte. Dass es ähnliche Institutionen auch in westlichen Ländern gibt und gab, von den französischen Maisons de la Culture, über US-Amerikanische Community Centers bis zu den Centro Culturals in Brasilien, ist wenig bekannt. Darum ist es immer wieder von Bedeutung, Kulturschaffende und Forscher*innen zu diesen Themen in Austausch zu bringen, und anhand von prominenten Case Studies wie dem Berliner Stadtschloss breit zu diskutieren.
Andreas Fogarasi (*1977) ist Künstler und lebt in Wien. Seine Werke wurden in zahlreichen internationalen Ausstellungen präsentiert. Im Text wird bereits erwähnt wurde die 52. Biennale di Venezia, wo sein Beitrag im ungarischen Pavillon mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.
Das Gespräch führte Felix Hofmann.
Videokommentar von Andreas Fogarasi zu seinem Beitrag.
Bei dem Ideenaufruf „Schlossaneignung“ hatten Künstler*innen, Architekt*innen und Gestalter*innen aus 16 Ländern 153 Arbeiten eingereicht. Die Ergebnisse können hier eingesehen werden.