„Es ist seltsam, mit welch geringem Einsatz man es zur großen Band bringen kann. Angesichts der seelenlosen, aber groß auftrumpfenden Gruppen, die derzeit auf dem Live-Markt konkurrieren, ist man fast geneigt, sich bei U2 zu entschuldigen: Die hatten immerhin einen ernsthaft größenwahnsinnigen Sänger, der mit weißen Fahnen wedelte und zu große Sonnenbrillen trug.
(…)
Eins kann man Keane nicht vorwerfen: dass sie nicht versuchten, sich weiterzuentwickeln. Allerdings tun sie dies im Rahmen arg limitierter Möglichkeiten und sehr zu ihren Ungunsten. Nach dem freundlichen Pärchenpop der ersten Platte versuchten sie sich mit um sich greifender Hybris an dunkel dräuenden Songgebilden, die häufig nur an leere offen stehende Kühlschränke erinnerten.
Kürzlich erschien die dritte Platte, der das ehrenhafte, aber allzu verzweifelte Ringen um Weiterentwicklung aus jedem quietschenden Keyboard und jedem länglichen Song-Outro hervornudelt.
Gerade indem Keane versuchen, ihre Schwächen zu verkleistern, stellen sie diese aus, gerade indem sie versuchen, ihr Image zu erweitern, zeigt sich dessen Begrenztheit.
Dem Publikum im ausverkauften Kölner Palladium ist das Gebotene genug. Gerne würde man mittun. Doch dem steht Sänger Tim Rice-Oxley (sic!) im Weg, der sichtlich Bühnencoaching genossen hat und sich von einer pathetischen Pose in die nächste wirft. Im einen Moment kniet er am Bühnenrand, im nächsten ballt er die Faust und während man noch über die Notwendigkeit dazu nachdenkt, hat er schon die Kiste neben dem Piano erklommen und probiert, welche Verrenkungen aus dem Katalog für alberne Gesten man noch bieten kann.
Es spricht nichts dagegen, dass Popsänger sich feurig winden. Bei Rice-Oxley sieht das aber arg unglücklich aus: Das Engagement ist da, doch er hat das Charisma eines Hochzeitssängers. Da schließt man die Augen und probiert’s mit der Musik. Ein paar hübsche Songs haben Keane ja tatsächlich zusammenkomponiert: Da ist das zuckerige, pompöse „Everybody’s Changing“, das zuckerige, pompöse „Somewhere Only We Know“ und das zuckerige, pompöse „Bend and Break“ – Lieder wie Torten, für sich betrachtet aber sehr gutes Pop-Handwerk.
Allerdings muss man feststellen, dass diese von sich selbst berauschte „La Boum“ – Musik auf Dauer wirkt wie das musikalische Gegenstück zu zu viel Milch im Kaffee, wie eine süße, alles verklebende Plörre. Ganz unglücklich wird es, wenn Keane sich am quietschbunten Achtziger-Pop verheben: Stücke wie „Spiralling“ verführen dazu, bei Duran Duran anrufen zu wollen und zu fragen, ob daheim im Giftschrank mit dem Ausschussmaterial vielleicht ein paar Lieder fehlen.
Doch das reicht, um den Saal in einen Taumel zu versetzen. Und der Umstand, dass eine Band hier problemlos ihren biederen Charme an die Idee von der Superpopband verkauft, erzählt eine Geschichte – die vom Triumph des Hochzeitssängers.“
(Eric Pfeil, Frankfurter Allgemeine Zeitung)
Anm.: Etwas unglücklich für Herrn Pfeil – bei all den hübschen Bildern von Torten, verzuckertem Kaffee und leeren, offenstehenden Kühlschränken! – ist allerdings, dass der mehrfach erwähnte, in der Printausgabe sogar inklusive falscher Bildunterschrift abgebildete „Sänger“ Tim Rice-Oxley der Songwriter der Band ist, aber mitnichten ihr Sänger. Die Hochzeitssänger-Rolle übernimmt bei Keane immer noch der unerträgliche dicke junge Mann aus der Alkoholentzugsklinik von nebenan, Tom Chaplin. (christian ihle)
Inhaltsverzeichnis:
* Die ersten 150 Folgen Schmähkritik