vonChristian Ihle 19.09.2010

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“So sind sie, die Touristen, die über die Hauptstadt herfallen wie eine biblische Plage: laut, raumgreifend und unfassbar dämlich. (…) Schon immer war Berlin Anziehungspunkt für Touristen, auch in den Achtzigerjahren kamen sie bereits in die Stadt. Aber im Ostteil hatte man ihre Anzahl mit einem ausgeklügelten System aus Stacheldraht und Unbequemlichkeit auf ein Minimum reduziert; in West-Berlin zeigte man den damals noch Wessis genannten Touristen, wenn sie in ihren Reisebussen großäugig über den Kurfürstendamm rollten, einfach den Mittelfinger. (…) Manche kommen mit dem Billig-Jet für ein Wochenende; andere bleiben zwei, drei Monate, bis Papas Geld alle ist; wieder andere verbringen sogar mehrere Jahre hier, bis sie der Partys und Pubcrawls überdrüssig in ihre Heimat zurückkehren und das Leben ihrer Eltern führen. Doch bis es so weit ist, verwandeln sie ganz Berlin in einen Vergnügungspark, ein riesiges Disneyland für Paarungs- und Trinkwillige. (…) Kreuzberg könnte man angesichts der Spanisch sprechenden Horden für die Rache der Spanier für Mallorca halten. Und die Weserstraße im einst verrufenen Neukölln für eine Art Schinkenstraße für Linke. Dabei ist der pseudo-subversive Style der amüsierwilligen Amis, Spanier und deutschen Provinzler meist nur die Maskerade, hinter der sich das politische Bewusstsein eines Fahrkartenstempelautomaten verbirgt. (…) Doch genau darauf haben Politik und Stadtmarketing lange hingearbeitet: Viele Jahre versuchten sie mit den Standortfaktoren Clubkultur, Komasaufen und Kreativgedöns Berlin als Party-Metropole zu positionieren, als Abschlepp- und Abhott-Location für die Jugend der Welt. Zu guter Letzt pries Bonmot-Bürgermeister Wowereit höchstselbst seine Stadt mit dem Slogan “arm, aber sexy” einer geizigen, geifernden Besucherschar an. Ein Motto wie für einen Flatrate-Puff. (…) Bei so viel weltweiter Aufmerksamkeit gerät selbst die einheimische Provinzpresse ganz aus dem Häuschen. So behauptet der Tagesspiegel angesichts des Besucherrekords allen Ernstes: “Ein sympathischer Gedanke: Das Wohl und Wehe der nachindustriellen Stadt hängt an Leuten, die jodelnd auf dem Bierbike Unter den Linden entlanggondeln, Clubs in Prenzlauer Berg oder Kreuzberg verstopfen, am Holocaust-Mahnmal picknicken und sich auf der ulkigen, unbehausten Spielwiese Pariser Platz zum Stelldichein mit Gauklern und sich selber treffen.” Mit anderen Worten: Das Wohl und Wehe der Stadt hängt von Vollpfosten ab! Ein Gedanke so sympathisch wie ein dicker fetter Eiterpickel am Arsch.”

(Philip Meinold in der TAZ)

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