vondorothea hahn 06.02.2010

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„Dies sind die Dinge für die drei Tage“, sagt eine Vermieterin, als sie mir ihre Wohnung zeigt. Es ist eine beiläufige Bemerkung. Dabei öffnet sie einen Schrank, der bis oben mit Konservenbüchsen, Nudeln, Reis, Wasserkanistern aus Plastik und Medikamenten gefüllt ist.

Als ich ein paar Tage später in die Wohnung einziehe, liegt dort ein Stapel Material über das Verhalten in Notfällen. Illustrierte Broschüren, in denen der Bürgermeister von Washington DC und die von Ex-Präsident George W. Bush 2002 gegründete Abteilung für „Homeland Security“ erklären, was zu tun ist. Unter anderem soll jede Familie einen eigenen „Desaster-Plan“ entwickeln. Soll Not-Pakete mit Essen, Kleidung und Medikamenten für drei Tage packen. Soll nach mehreren Fluchtwegen (möglichst drei Strecken in verschiedene Himmelsrichtungen)  suchen. Und soll allen Angehörigen eine Telefonnummer in einem – aus Sicherheitsgründen möglichst weit entfernten – Ort der USA geben, damit sie sich nach einer möglichen Trennung wieder finden können. „Vor allem bewahren Sie einen ruhigen Kopf“, rät der Bürgermeister auch.

„Be ready“ steht auf den Broschüren. In ein und demselben Ton handeln sie politische Katastrophen und Wetter-Katastrophen ab. Sie stellen Attentate und Verseuchungen in eine Liste mit Hurrikanen, Überflutungen oder andere Stürmen. Das Stichwort Atombombe taucht nirgends auf. Aber es ist klar, dass die meisten Sicherheitstipps sich auf nukleare und chemische Angriffe beziehen.

Bei der Lektüre wird mir mulmig. Und ich überlege, was in den Köpfen von Menschen passiert, die ständig auf solche Ausnahmezustände eingestimmt werden. Dann räume ich die Broschüren zur Seite. Ich vermute, dass meine Vermieterin besonders empfänglich für „Desaster-Plans“ ist.

Ein paar Tage später erlebe ich, dass sie keinesfalls allein ist. Anlass ist der zweite Rekordschneefall dieses Winters. Zwischen Freitag und Samstag werden 60 Zentimeter Schnee fallen. Das ist viel. Die Räummaschinen werden überfordert sein.

Die JournalistInnen der führenden Fernsehsender beschwören seit Tagen einen bevorstehenden „Schneesturm“. Er hat das Erdbeben in Haiti abgelöst. In den Nachrichtensendungen geht es darum, die Kinder rechtzeitig vor dem Schnee aus der Schule abzuholen und Batterieen und Holzscheite zu kaufen. Batterieen für die Taschenlampen, Holz für den Kamin. Denn es könnte sein, dass Strommäste unter den Schneemassen einstürzen, und Licht und Heizung ausfallen.

Mir kommen die Wetterwarnungen reichlich aufgeregt vor. Wie ernst meine neuen Landsleute die Sache nehmen, wird mir erst klar, als ich am Abend vor dem „Schneesturm“ mit einem Kopf Salat und Reis mehr als eine Stunde lang vor der Kasse des Supermarktes warte.  Ich bin eingequetscht zwischen bis zum Rand gefüllten Riesencaddies. Darin befinden sich Konservenbüchsen, Tiefkühlnahrung, Chips und Getränke.

Es sind Hamsterkäufe für ein langes Wochenende, an dem sich die Menschen einigeln werden.  Am Freitag gehen viele wegen Schnees nicht zur Arbeit. Die Behörden, Büros und Schulen sind vom Morgen an geschlossen. Viele Geschäfte machen am Mittag zu. Fast alle Termine sind abgesagt.

Als der Schneefall – sanft rieselnd und keineswegs stürmisch – tatsächlich beginnt, sind die Straßen schon seit Stunden menschenleer. Die Hauptstadt der Weltmacht liegt still. Wegen eines Einbruchs von Natur.

PS: Eine Anfrage in eigener Sache. Bei einer Aufräumaktion habe ich versehentlich mehrere Einträge aus diesem Blog gelöscht. Offenbar sind sie dabei sogar vom taz-Server verschwunden. Bei den Texten handelt es sich um: „Die Versuchung des Pfennigabsatzes“ (erschienen am 14.11.09),  „Métro Blues“ (12.11.09) und „Paris sous mur“ (9.11.09). Hat zufällig jemand der LeserInnen Kopien von diesen Texten?

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