vonSchröder & Kalender 23.06.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in östlicher Richtung.

Die schönste Schote in der Handke-Sache platzte gerade im Tagesspiegel, Alexander Gauland ließ sie platzen: »Dabei sind das Schreiben Handkes wie der ›Anschwellende Boxgesang‹ von Botho Strauß neben der ›Blechtrommel‹ von Günter Grass die letzten Überreste jener deutschen literarischen Leitkultur, von der bald niemand mehr wissen wird, was sie denn sei …« Wie recht der Mann hat, inklusive Synapsenfehler! Da wollen wir nicht abseits stehen und erlauben uns die folgende sommerliche Reminiszenz:

Und nun geschah das Sonderbarste, was ich während dieser Petrarca-Preis-Verleihung sah. Die Leute pflückten Lavendel, der Porträt des toten Dichters Rolf Dieter Brinkmann auf der Spanplatte wurde vom ZDF an die provenzalische Mauer gelehnt und abgefilmt. Genau die Atmosphäre, über die Brinkmann sich zu Lebzeiten schreibend ausgeätzt hätte, über dieses Lämmeressen, den Lorbeermuff, die Witwe … na ja, und die Tischreden. Ich war beim Sonderbaren, ach so, die Lavendelwiese – alles verteilte sich, da sehe ich diesen unglücklichen Handke, wie er auf einem leichten Hang Kobolz schießt. Im Turnsport nennt man das ja wohl ›Rolle vorwärts‹. Macht doch dieser Fiti tatsächlich drei unbeholfene Rollen auf einer Lavendelwiese. Das mußt du dir einmal vorstellen: Einer, der es nicht kann, jemand, der nicht fröhlich ist, der ein Erwachsener ist, der Schriftsteller ist und obendrein einer, der Handke heißt, im Lavendel mit drei, vier mißratenen Rollen nach vorn!

Die ganze Gesellschaft wieder in den Bus, Hubert Burda half dem Fahrer auf französisch: »bon bon bon«, weil das Wenden schwierig war. Zurück zum Hotel, umziehen für den Festakt, die eigentliche Verleihung des Preises. Zwar waren die verunglückte Besteigung des Mont Ventoux – Bazon Brocks Lorbeerkranz, boing, klatsch, Maleen Brinkmann auf den Dez – bereits gelaufen, aber nun sollte es zum Kosmokulturellen übergehen.

Währenddessen ein neuer Fernsehauftritt von Handke. Er hatte sich eine Mineralwasserflasche organisiert; um ganz nebenbei Lockerheit zu zelebrieren, goß sich das Perrier hinten in den Kragen und sprach vor der laufenden Kamera: »Erfrischend!« Danach zog auch er sich um, trug das weiße Oberhemd und die schwarze Samtjacke. Wir fuhren nach Roussillon ins ›David‹, es hat einen Stern und Blick auf die bunten Ockerfelsen. Im Innenhof des Restaurants wurden dann weitere Reden gehalten für die internationale Welt der Literatur. Drei Ritter standen tapfer dabei mit ihren kleinen Röschen im Knopfloch, uralt, Ehrenlegion, die sich kaum noch auf den Beinen halten konnten. Handke probte sie auf französisch an. Diese Kulturfranzosen haben ja ein ungeheures Stehvermögen, solche alten bedeutenden Menschen kannst du notfalls von der Bahre hochkippen, bomm, sie stehen auch noch senkrecht, wenn einer anschließend auf deutsch über Literatur redet und ihnen Brinkmanns ›D-Zug-Gedicht‹ vorliest. Handke konnte sich in seiner Ansprache die Spitze nicht verkneifen, daß Literatur keinesfalls ein »verächtliches Abtun abgelebten Lebens sein dürfe«. Den Schuh sollte ich mir wegen ›Siegfried‹ anziehen. Und nach seinen Ausführungen fragte er aufgeräumt das Tramperpärchen: »Sie lieben sich wohl sehr, weil Sie sich immer streicheln?!« Die monegassische Reiseführerin wurde langsam krötig, denn das Essen wartete.

Die Jakobsmuscheln und das Huhn in Blätterteig waren längst verzehrt, die Sorbets schon reingezogen, die Davidoffs wurden angezündet, Hubert Burda schwärmte von Lucia di Lammermoor. Nun ging es zum gemütlichen Teil über, Michael Krüger berichtete aufgeregt, wie er beim Herflug in einer Privatmaschine in Wetterturbulenzen geraten sei, und der Pilot im schwarzen Nebel über den Vogesen einen gräßlichen Looping nach dem anderen geflogen habe. Interessanter fand ich, daß er mir angedudelt erzählte, Brinkmann sei eigentlich nur ein Irrer gewesen. Er hatte ihn auf einem Bahnhof kurz hinter Graz vom Zugfenster aus beobachtet – sie kamen beide vom ›Steirischen Herbst‹. Rolf Dieter stand auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig, in Anzug und Weste, obwohl es sehr warm war, riß Block und Bleistift aus dem Koffer, notierte etwas, legte Block und Bleistift wieder zurück, schleppte den Koffer zehn Meter weiter, riß die Schreibutensilien wieder heraus. Zehnmal sei das so gegangen, vollkommen verrückt sei dieser Brinkmann da herumgegeistert. Das war nun wirklich verrückt: ein deutscher Lyriker und Hanser-Verleger aus der Petrarca-Jury, der mir vertraulich steckte, er habe einen Dichter beobachtet, der eigentlich nur ein Verrückter gewesen sei. In Juan-les-Pins fand ich später einen Brief des Lyrikers Wolf Wondratschek vor, darin beklagte der sich bei mir, daß nicht er der Preisträger sei: »Gegen einen Toten kommt man eben nicht an«.
(BK/JS)

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