vonSchröder & Kalender 08.07.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.

Mit einem geliehenen R 4, dessen Heizung nicht funktionierte, fuhren wir in aller Frühe los. Nach einer Stunde tauchte die Silhouette des Antiatlas auf, die Straße wurde schmaler und steiniger, und kurz vor dem Talkessel von Ait Baha lag einsam ein kleines weißes Haus mit Flachdach am Hang, über der Tür stand mit grüner Farbe ungelenk gepinselt: ›Café du Moulin‹. Dort hielten wir, um uns aufzuwärmen und einen heißen Pfefferminztee zu trinken. Wir betraten den dunklen Gastraum, setzten uns an einen der drei kleinen Tische mit Stühlen aus rohem Holz, der Wirt begrüßte uns freundlich. An der Wand hinter der kleinen Theke prangten auf einem Brett die Schätze des Lokals: ein etwa fünfzehn Zentimeter hoher Eiffelturm aus Zinkspritzguß sowie eine leere Dimple-Whisky-Flasche und eine zellophanüberzogene Packung mit sechs Madeleines. Der Wirt stellte sich als Hadj Mohamed Ben Lancer vor, erzählte sogleich, daß er in der französischen Armee gedient habe, und bot uns zum Pfefferminztee die Madeleines vom Regal an. Sie waren mindestens ein Jahr alt und zerfielen beim Anbeißen zu Krümeln, aber in der trockenen Gebirgsluft waren sie nicht verschimmelt. Ich glaube, wir hätten sie selbst dann gegessen, wie es die Gesetze der Gastfreundschaft befehlen. Bald drängte sich eine Traube von Kindern um unseren Tisch, die gierig auf das Gebäck starrten. Barbara wollte ihnen etwas davon geben, aber Mohamed guckte entsetzt, wir sollten nicht an die Kinder vergeuden, was er sich aus dem Herzen gerissen hatte. Also mußten wir die Krümel ratzeputz mit Tee herunterspülen. Dann stand ich auf und ging pinkeln, währenddessen erhielt Barbara die Lektion, daß es für eine Frau nicht ratsam ist, allein durch den wilden Antiatlas zu reisen.

Kaum hatte ich nämlich den Raum verlassen, zog sich der Wirt hinter die Theke zurück, um gebührenden Abstand von der Frau zu halten. In diesem Moment betrat ein großer Mann das Café, er trug eine schwarze Dschellaba und hatte sich ein schwarzes Tuch um den Kopf gewickelt. Als er Barbara dort sitzen sah, schrie er bedrohlich laut: »Rrrrrrrr!« Zwar versuchte Mohamed, ihn zu beruhigen, aber der Schwarze murrte weiter in einem Wortschwall mit vielen harten Rrrs, blieb demonstrativ und wütend am Eingang stehen. Später im Auto erzählte Barbara mir, sie habe sich nicht wohl gefühlt, und erst als ich zurückkam, also klar war, daß hier keine Frau allein unterwegs ist, beruhigte sich der Schwarze. Er setzte sich an den Nebentisch, und bald gesellten sich drei andere Männer hinzu. Ich bot ihnen Zigaretten an – wußte ja nicht, daß einer von ihnen kurz zuvor Barbara angeschnarrt hatte. So herrschte wieder Eintracht unter den Kulturen.

Nun erfuhren wir auch den Grund für Hadj Mohamed Ben Lancers überschwengliche Gastfreundschaft: Er sammelte Postkarten. Anstatt uns kurz aufzuwärmen, saßen wir geschlagene anderthalb Stunden in seinem kühlen Café fest; Mohamed holte zwei Kamelpacktaschen heraus, prall gefüllt mit Postkarten von Opfern, die hier angehalten hatten und die er vermutlich alle mit Hilfe von Madeleines verdonnerte, ihm eine aus ihrer Heimatstadt zu schicken. Natürlich sahen wir uns alle Karten angesehen und bewunderten sie gebührend, und selbstverständlich mußten auch wir ihm eine versprechen. Ich erklärte ihm, wo Deutschland liegt, aber das war vergebens, er verortete uns hartnäckig in Schweden. Vielleicht lag das an Barbaras blondem Zopf – ach, wahrscheinlich war es Mohamed ganz egal, wo ein Land wirklich lag, Hauptsache, er hatte eine Postkarte daher.

Schließlich wollte er noch meinen Beruf wissen, und um nicht als reich dazustehen – Verleger wollte ich nicht sagen, sonst hätte der Tee vielleicht das Dreifache gekostet –, antwortete ich: »Schriftsteller.« Das war ein Fehler! Denn nun gab Mohamed keine Ruhe, wollte auch noch ein Buch von mir haben und nicht nur eine Postkarte. Ich versprach ihm beides, und weil man ein Versprechen, das man einem Mann aus dem Antiatlas gegeben hat, unbedingt halten muß, beschlossen wir, als wir wieder zu Hause waren, ihm einen ›Siegfried‹ zu schicken.

Zu dieser Zeit hatten Katinka und Susanne eine Freundin, die Jousra hieß und im Irak aufgewachsen war, ihre deutsche Mutter hatte einen irakischen General geheiratet. Schließlich verließ diese unter abenteuerlichen Umständen ihren Mann und kehrte ›Nicht ohne meine Tochter‹-mäßig nach Deutschland zurück. Das Mädchen war ein gespaltenes Wesen – einerseits hatte ihr die Mutter den Haß auf die irakischen Männer eingebleut, andererseits war sie sehr der arabischen Kultur verhaftet. Wir baten Jousra, auf einer Postkarte vom Fuldaer Buttermarkt unseren Gruß ins Arabische zu übersetzen und in den ›Siegfried‹ folgenden Text zu schreiben: »Dem geschätzten Sidi Hadj Mohamed Ben Lancer, Besitzer des ›Café du Moulin‹ in Ait Baha, mit Dank für seine große Gastfreundschaft …«

Wahrscheinlich steht heute das gelbe Buch neben den Madeleines, der leeren Dimple-Flasche und dem Eiffelturm im ›Café du Moulin‹ als schwedische Reliquie.

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kommentare

  • Hallo R4-Fahrer und -Atmer!
    Ich hoffe, glaube an Eure Tour, aber hinter dem Ural gibt es keine Welt, die Euren Wünschen gegnügen würde – von Osten aus gesehen!

    thomas h. j. wissmann

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