vonSchröder & Kalender 15.07.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in südlicher Richtung.

Endlich gab es Frühstück. Zwei Schweizer setzten sich zu uns an den Tisch, sie stellten sich als Vater und Sohn vor und erzählten, daß sie eine gefährliche Strecke mit steil abfallenden Hängen gefahren seien, eine alte Gebirgspiste nach Tafraout. Sie hatten sich einen R 4 gemietet – die haben in Marokko notorisch kein Profil auf den Reifen, und wenn die Bremsen funktionieren, ist es auch ein Wunder. Mit so einem Ding unternahmen diese Weicheier eine halsbrecherische Fahrt?! Merkwürdig. Offenbar hielt mich er Vater auch für einen Papa, der mit seiner Tochter reist, denn jetzt erklärte er mir, er sei Steuerberater in Zürich, habe viele ausländische Klienten, speziell aus Deutschland. Und er versuchte mit mir in eine helvetische Verhandlung einzutreten, wie man die beiden jungen Leute – seinen Beat und meine Barbara – miteinander verbandeln könne.

Wir nahmen es ihm nicht übel, sondern lachten uns eins. Schließlich fragte ich den sonderbaren Steuerberater, was ihn denn dazu bringe, solche Gefahren für Leib und Leben auf gefährlichen Pisten mit einer Schrottkarre auf sich zu nehmen. Und schon kamen wir wieder einem Verbrechen auf die Spur. Vater und Sohn waren Kakteensammler, sie fuhren in die entlegensten Gegenden, um die Objekte ihrer Begierde zu ergattern. Zunächst hielten wir die beiden nur für Sonderlinge, die einem absurden, aber harmlosen Hobby frönten. Später ging ich der Sache nach und lernte etwas über den Beginn der europäischen Kakteenleidenschaft: Als das Greisenhaupt auf der Pariser Weltausstellung von 1889 erstmals gezeigt wurde, waren die Pariser begeistert. Dieser Säulenkaktus, der in seiner Heimat Mexiko eine Höhe von fünfzehn Metern erreichen kann, erregte kaum weniger Aufsehen als der Eiffelturm. Und es dauerte nicht lange, bis geldgierige Exporteure die Greisenhäupter in Mexiko so hemmungslos räuberten, wie es vierhundert Jahre zuvor die spanischen Eroberer mit dem Gold getan hatten. Bald darauf erließ die mexikanische Regierung ein Gesetz, das den Export aller Kakteen verbot. Aber bis heute sind die Sammler scharf auf seltene Spezies dieser wasserspeichernden Pflanzen, die bis zu tausend Jahre alt werden können. Besonders begehrt sind alte Sukkulenten, auf geheimen Schwarzmarktbörsen werden Tausende von Euro für rare Arten aus der freien Natur gezahlt. Um die Pflanzen vor der endgültigen Ausrottung zu schützen, hat die Züricher Sukkulentensammlung inzwischen einen Sicherheitstrakt eingerichtet, in dem die letzten Exemplare der aussterbenden Kakteen unter strengsten Sicherheitsvorkehrungen in den Glashäusern gehalten werden.

Bei unseren Schweizern handelte es sich also um keine Einzelgänger, und der Grund für ihre Strapazen war noch nicht einmal originell, sondern ordinäre Sammlergier. Statt Papageien, Vogeleier oder Schmetterlinge jagten Vater und Sohn Sukkulenten. Die werden auch in Marokko immer seltener, weil solche skrupellosen Räuber die Landschaft plündern. Da wir das damals noch nicht wußten, hatten wir ihren Pistenabenteuern freundlich lachend zugehört. Gnade ihnen Gott, wenn die Pflanzenliebhaberin Barbara  etwas von ihren Verbrechen geahnt hätte, die beiden Biedermänner wären von ihr als Rachegöttin Loki giftig abgebürstet worden, und der Züricher Steuerberater hätte sie bestimmt nicht für eine geeignete Schwiegertochter gehalten.

(BK / JS)

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