Der Bär flattert schwach in südlicher Richtung.
Victor der Zivilisationsästhet lud uns zum Essen ein in den Bieberbau: »Gleich bei euch um die Ecke.« Von ihm erfuhren wir: Der Stuckateurmeister Richard Bieber baute sich 1894 ein Atelierhaus, in dem auch die Maler Pechstein und Kirchner arbeiteten. Im Hause gab es eine Gaststätte für Künstler und andere Gäste, die Wirtschaftsräume legte der praktische Kunsthandwerker wie ein Schaufenster für sein Stuckateurgeschäft an. Die prächtige Außenfront des Hauses wurde im Krieg zerstört, aber der Gastraum blieb erhalten. Dekor, Ornamentik und Skulpturen des Stucks sind überwältigend oder überladen – wie man’s nimmt. Im Nachkriegsberlin wurde der Bieberbau zum Stammlokal von Schieberbanden und später der schwulen Szene.
Das Essen war sehr gut, zwei junge Köche kochen hier ganz ohne Stuck. Halt, so weit sind wir noch nicht! Wir nahmen um halb neun auf der Terrasse Platz und augenblicklich überfielen uns Mückengeschwader, wie wir sie nur in den kretischen und venezianischen Lagunen erlebt hatten. Barbara raste nach Hause, holte Systral, ContraMück und Autan-Spray. Die Biester ließen trotzdem nicht von uns ab. Victor war kurz davor, seine Contenance zu verlieren und sprach: »Mich machen nicht die Stiche unruhig, die ich bereits habe, sondern die die ich noch bekommen werde.« Nach der Jakobsmuschel mit Wildkräutern, einer Suppe aus Kresseblüten und einem feinen Perlhuhn gaben wir auf und retirierten an diesem heißen Tag nach drinnen zu Biebers Stuck, dort gab es noch drei köstliche Gänge.
Am nächsten Tag hatte ich zwei große rote Flecken, die höllisch juckten, am Unter- und Oberschenkel. Die Biester hatten durch die Hose gestochen! Eben überall, wo wir nicht eingesprayt waren, Barbara war noch schlimmer dran, sie hatte acht entzündete Flecken. Wir gingen zur Ärztin, die uns eine Cortisoncreme verschrieb und meinte: »Ich weiß nicht, was los ist. Dieses Jahr sind die Mücken derartig aggressiv, sie stechen sogar durch die Kleidung. Noch nie habe ich so viele allergische Reaktionen erlebt wie in diesem Jahr.«
Da konnten wir ihr weiterhelfen: Der Rudolph-Wilde-Park in Schöneberg, an dessen Rand der Bieberbau liegt, war einst ein morastiges Fenn, das am Ende der Eiszeit entstand. Noch Anfang des vorigen Jahrhunderts, war dies der »schwarze Graben«, auch »fauler Graben« genannt, in den die Schöneberger Abwässer geleitet wurden. Während des U-Bahn-Baus wurde dieser 30 m tiefe Sumpf mit dem Aushub der Bahnschächte verfüllt. 850000 Kubikmeter Sand waren nötig, bis der moorige Untergrund zur Ruhe kam – bis vor wenigen Wochen. Seit dem großen Unwetter gibt es im Park zwei stinkende Tümpel, in denen die Mücken brüten. Der Sumpf kommt wieder – die Natur gewinnt immer.
(BK / JS)
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