vonSchröder & Kalender 04.12.2006

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär hat sich um den Mast gewickelt und flattert daher nur mit halber Kraft nach Norden.
Spätestens seit August 1994 wußten 360 Subskribenten von ›Schröder erzählt‹, was Anfang der 60er »Unterm Dach« des Verlags Kiepenheuer und Witsch in Köln geschah. Und zwar nicht im Geheimen! Daß nämlich Joseph Caspar Witsch, der spiritus rector des »Kongreß’ für kulturelle Freiheit«, in seinem Verlag die Protagonisten der deutschen Kalten Krieger im Lektorat und auch als Autoren um sich versammelt hatte. Aber daß Witsch eine CIA-Agentur leitete, wie es der Regisseur Hans-Rüdiger Minow in seiner arte-Dokumentation (29.11.2006) ›Benutzt und gesteuert – Künstler im Netz der CIA‹ behauptet, ist kompletter Quatsch.

Der CIA ist fast jeder Schwachsinn zuzutrauen, trotzdem hat sie bisher versucht, ihre Aktivitäten geheim zu halten, wenn auch oft vergeblich. Also, was im Hause Kiepenheuer und Witsch geschah, lag offen zu Tage, jeder, der es wissen wollte, konnte wissen: Witsch ließ sich seinen, dem belletristischen Verlag angegliederten ›Verlag für Politik und Wissenschaft‹ vom US-Geheimdienst bezahlen. Und jeder, der es wollte, konnte in der ›Schröder erzählt‹-Folge ›Menschen wie du und ich‹ nachlesen, wie Witschs ehemaliger Partner Behrend von Nottbeck 1961 fahnenflüchtig wurde. Der alte Konflikt zwischen SA und SS. Von Nottbeck gründete mit dem Geld von Reinhard Mohn einen eigenen Verlag, um einen Teil des kräftig sprudelnden CIA-Dollar-Segens für sich und die Bertelsmann-Gruppe abzuzweigen. Ich weiß das alles so genau, weil ich von 1962 bis 1965 Werbeleiter im Hause Kiepenheuer und Witsch war.

Die entsprechenden Passagen aus ›Schröder erzählt‹ bringen wir in zwei Fortsetzungen:

Zur Erlangung der selig machenden Gnade fehlt nur noch Manès Sperber, der Bischof aller Renegaten. Als ich bei Witsch anfing, gewann der Verleger diesen Psychologen und Schriftsteller als Herausgeber einer neuen Essay-Reihe. Seine autobiographische Romantrilogie ›Wie eine Träne im Ozean‹, in der er angeblich schonungslos gegen sich und die Welt seine Geschichten erzählt vom Schüler, der dem Herzen seines Lehrers, des Psychoanalytikers Alfred Adler, am nächsten war, bis zum linientreuen Kommunisten, der unter dem Eindruck der stalinistischen Schauprozesse zum Abweichler wird, war zwei Jahre zuvor erschienen. Ich sage angeblich, denn ich konnte das damals nicht überprüfen, merkte nur, daß ich es mit einem pathologischen Wichtigtuer und Pseudoschamanen zu tun hatte. »Junger Mann, sind Sie glücklich?« fragte er mich einmal unmotiviert. »Nein.« »Sie sollten es aber sein.« Dem folgte eine Suada, was die Zukunft mir und der Welt Verheißungsvolles anzubieten habe. Seit 1968, nachdem dieser Psychoanalytiker sich mit Schaum vor dem Mund über die Studentenbewegung ausgelassen hatte, weiß ich, daß ich mit meiner Ahnung richtig lag. Ach was, der Mann war einfach verrückt, wie sich bei der Verleihung des ›Friedens-‹ und des ›Büchner-Preises‹ an ihn herausstellte. Keine ›Zeit‹, keine ›FAZ‹, kein ›Spiegel‹ rief nach der Hoppla, als er den Atomkrieg gegen die Sowjetunion forderte, sich über die Segnungen des »technotronischen Zeitalters« ausließ, welches »das furchtbare Hungergebiet Sahel in ein fruchtbares Land satter Mensch verwandeln« werde. Ich bin ja nicht als grüner Fundi verdächtig, aber es ist doch nach Tschernobyl einfach durchgeknallt, davon zu faseln, daß »mit den Atomkraftzentralen unfruchtbares Land und Wüsten sich in blühende Felder und Gärten verwandeln, aus Salzwasser Süßwasser gewonnen wird und die Atomenergie, vielleicht noch ehe dieses Jahrhundert verflossen ist, der Vorgeschichte ein Ende bereiten wird«. Denn letzteres wäre zwar durchaus möglich, wollen wir aber doch nicht hoffen.

Aus den Verklammerungen politischer und belletristischer Hervorbringungen, wie sie im Verlag Kiepenheuer und Witsch sichtbar wurden, entstand eine Protoszene der alten Unübersichtlichkeit. In der begegneten sich Menschen, entwickelten sich Schicksale, begannen Karrieren und Untergänge. Ähnlich schlicht und ergreifend, wie um dieselbe Zeit Gudrun Ensslin und Bernward Vesper sich im Kursaal von Bad Cannstatt verlobten, die Pfarrerstochter mit dem Dichterssohn im Beisein von Papi und Mami, besteckt mit Verlobungsbuchs, so unspektakulär liefen auch bei mir erste Begegnungen mit Menschen ab, die später als Linke zu Personen der Zeitgeschichte wurden.

Dafür ein Beispiel: Carola Stern war eng befreundet mit Ulrich Gembardt, dem stellvertretenden Chefredakteur des WDR-Hörfunks. Solche wichtigen Leute haben ja oft Töchter oder Söhne, die nicht wissen, was sie tun sollen. Also wird die Freundin gefragt: »Könnte Georgia irgend etwas bei Kiepenheuer und Witsch arbeiten? Sie hat keine Lust, das Abitur zu machen.« Deshalb saß die siebzehnjährige Georgia bei mir als Hilfskraft für den faulen Herrn Wetzel – auch ein Typ mit krimineller Agenten-Vergangenheit – und schnitt Rezensionen aus. Im Laufe der Zeit kamen so einige Zeitungsschnipsler zusammen, inklusive der jüngsten Witsch-Tochter Purzel und Heinrich Bölls Neffe Victor, die in der Stunde eine Mark fünfzig kassierten, also im Monat dreihundert Mark. Genau, nicht mehr! Bedenke mal, ich als toller Werbehecht war bei achthundert, bis ich auf dem Flur einen Lohnstreifen fand, darauf den Namen ›Assmus‹ las. Kannte ich nicht, also brachte ich den Schnipsel zu Lotte Ehlers. »Ach nee«, rief sie ärgerlich, »hat die schlampige Stern wieder was rumflattern lassen!« Carola Stern war demnach ein Pseudonym, egal, aber daß sie eintausendeinhundert verdiente, wurmte mich. Es gab damals noch das Gehaltsgeheimnis! Ich weiß nicht mehr, ob man es regelrecht verboten hatte, darüber zu sprechen, jedenfalls war es ein Tabu. Wütend marschierte ich zu Witsch: »Ich bin Werbeleiter und kriege achthundert. Das geht nicht! Carola Stern verdient eintausendeinhundert!« »Woher wissen Sie das?« »Ich weiß es eben.« »Hören Sie mal, mit fünfundzwanzig ist das ein sensationelles Gehalt! Was denken Sie sich denn?!« »Ich denke mir, daß ich nicht weniger verdienen möchte als Carola Stern.« »Die Frau ist zehn Jahre älter, hat bereits eine Karriere …« Er feilschte mit mir wie auf dem marokkanischen Markt, schließlich waren wir bei neunhundertfünfzig Mark ab nächsten Ersten, und wenn sich alles so positiv weiterentwickle – wie beim Windhunderennen –, sollte ich bald eintausendeinhundert kassieren. Was so auch geschah. Mit der genauen Bezifferung des Eingemachten läßt sich die Zeitreise zurück ja immer schön beschreiben.

Und nun vom ehemaligen SA-Propagandisten Witsch zum SS-Untersturmführer a. D. Behrend von Nottbeck:

Für mich war die Welt in Ordnung, mein Adlatus nahm mir die lästige Kleinarbeit ab, ich konnte mich auf eine neue Phase der Lebensplanung einstellen. Jetzt wollte ich zeigen, was für ein erfolgreicher Büchermacher ich sein könnte. Es fehlte nur noch der geeignete Anlaß, um meine Fähigkeiten unter Beweis zu stellen. Aber Ehrgeiz findet immer auch ein Objekt, am 27. September 1964 veröffentlichte die Warren-Kommission ihren Siebenhundert-Seiten-Report. Fünf Tage nach dem Tod des Präsidenten hatte Johnson den Sonderausschuß eingesetzt, der die Ermordung von John F. Kennedy am 22. November 1963 untersuchen sollte. Diese Kommission hatte Tausende von Zeugen vernommen, ihr zusammenfassender Bericht erschien als amerikanische Staatsdrucksache, ähnlich wie ›Global 2000‹, war public domain, also Allgemeingut. Das bedeutet: Die Verlagsrechte sind frei, jeder kann das Werk nachdrucken oder übersetzen. So las ich es im ›Spiegel‹, und ich sagte zu Carola Stern: »Mensch, warum machen wir das nicht?!« »Es würde ein Jahr dauern, bis wir die Übersetzung fertig hätten, und wer weiß, wer es noch herausbringen will – das ist der Nachteil, wenn die Rechte frei sind.« »Wieso ginge es nicht schneller mit fünf Übersetzern? Lassen Sie uns die Sache mal mit Witsch besprechen.« Der war gleich begeistert, zumal ich den Mund und beide Backen vollnahm und posaunte: »Das wird der Bestseller!« Und Witsch: »Wunderbar, einverstanden, kündigen Sie den Titel sofort an!«

Ich schaltete eine ›Börsenblatt‹-Anzeige: »Warren-Report« – schon in März-Typographie, nur statt der ›Fetten Block‹ nahm ich eine schmalfette ›Information‹ für den Schriftzug, acht Zentimeter hoch, klotzig – »erscheint bereits im Januar 1965«. Also insgesamt nur eine Produktionszeit von drei Monaten, sehr knapp. Kaum war diese Anzeige erschienen, meldete ›dpa‹: »Der ›Warren-Report‹ wird schon Anfang Dezember im Verlag für Wissenschaft und Politik vorliegen.« Und zwei Tage später wieder die Agentur: »Der Bechtle Verlag, München, kündigt das Erscheinen des ›Warren-Reports‹ für Mitte November an.« Ja, große Scheiße! Offenbar hatten die beiden Konkurrenten längst mit der Übersetzung begonnen, also entschied Witsch: »Wir lassen das fallen.« Dieser vernünftigen Entscheidung stand meine Lebensplanung entgegen, ich wollte mich mit diesem Jahrhundert-Bestseller in die Produktion eines Buches reinhängen, um so in Zukunft auch andere, nämlich schöngeistige Projekte zu lancieren. Deshalb insistierte ich: »Nein, das dürfen wir uns nicht entgehen lassen!«

Keiner im Verlag hatte, während wir diese Diskussion führten, auch nur eine Zeile des Reports gelesen. Wir alle kannten nur die Presseberichte, die da lauteten, daß die Möglichkeit einer Verschwörung nunmehr auszuschließen sei. Es stand fest: Lee Harvey Oswald ist der alleinige Täter. In den zehn Monaten bis zum Erscheinen des Berichts waren zahlreiche Mordhypothesen ins Kraut geschossen, um diese Spekulationen zu kappen, hatte sich die Kommission extrem beeilt, ihre Untersuchungen abzuschließen. »Warum bündeln wir nicht die Kräfte, machen eine Gemeinschaftsausgabe mit Bechtle und dem Verlag für Wissenschaft und Politik?« »Mit dem Nottbeck?« Witsch sprang hinter dem Schreibtisch auf: »Lieber freß ich tote Ratten!« Da war ich ins Fettnäpfchen getreten. Carola Stern erzählte mir nach diesem wütenden Ausfall des Verlegers, daß Behrend von Nottbeck früher Lektor im Verlag für Politik und Wissenschaft gewesen sei, dem politischen Schwesterunternehmen von Kiepenheuer und Witsch, das schöne, liquiditätsfördernde Auflagen für die Zentralen für politische Bildung und das Ministerium für Gesamtdeutsche Fragen produziert hatte. 1961 wurde von Nottbeck fahnenflüchtig, er gründete mit dem Geld von Reinhard Mohn, also Bertelsmann, das Konkurrenzunternehmen mit dem irritierend ähnlichen Firmennamen Verlag für Wissenschaft und Politik, ebenfalls in Köln. Später klaute er Kiepenheuer und Witsch auch das lukrative ›SBZ-Archiv‹, indem er einfach die Schriftleiterin Ilse Spittmann abwarb, die dann für ihn dasselbe in Grün mit dem Titel ›Deutschland Archiv‹ herausgab und dem Joseph Caspar Witsch damit ein weiteres hochalimentiertes Ministeriumsdruckwerk wegnahm.

Soviel zum allmächtigen Agenten Wirtsch.

(BK / JS)

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