vonSchröder & Kalender 12.01.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

* * *
Als ich (JS) 1965 bei Kiepenheuer und Witsch in Köln gekündigt hatte und ein kurzes Gastspiel bei der Versandbuchhandlung Josef Rieck in Aulendorf (Oberschwaben) gab, schickte mir Georgia Gembardt aus Köln dieses Fotoleporello. Sie hatte die Fotos der Gembardt-Frauen auf ein winziges Souvenierleporello mit Ansichten von Köln geklebt. Von oben nach unten: Mutter Gembardt, Georgia, Katharina Gembardt (später Hammerschmidt), Mutter Gembardt, Katharina, Georgia mit N.N., Katharina, Georgia, Georgia, 1965.

hammerschmidt.jpg

Nachdem Katharinas Haar getrocknet hatte, fuhren wir in meinem Opel Caravan los. Vom späten Nachmittag bis abends besuchten wir fünf Freunde ihrer Eltern, Leute vom Hessischen Rundfunk, frag mich nicht, wer es war, heute emeritierte Chefredakteure, solch ein Intellektuellenpack eben. Ich wartete draußen, jedesmal kam sie zurück, fluchte über diese Typen, daß die ihr nicht dreihundert Mark leihen wollten. Sie ging für mich schnorren, fruchtlos zwar, aber wer sonst tut schon so etwas?! Schließlich aßen wir von meinen letzten Kröten in der Nähe der Kasernen an der Homburger Landstraße eine Pizza. »Hi, Cat«, die schwarzen GIs kannten sie. Dann fuhr ich nach Darmstadt, bezog ein Hotelzimmer, tigerte am nächsten Morgen ins Kaufhaus Ropperts, um dem Juniorchef Geld abzuluchsen. Ich wußte, daß er den Agora Verlag von Manfred Schlösser unterstützte und den Melzer Verlag schätzte. Er wand sich wie ein Aal, drückte mir einen Schuldschein mit aberwitzigen Rückversicherungsklauseln auf, aber ich hatte die vier Scheine und rauschte gen Süden.

In dieser Frankfurter Episode geht es eigentlich nur um Hilfsbereitschaft. Die war für Cat so selbstverständlich, daß sie keine Fragen stellte nach Opportunität oder Vernunft. Katharina kam bald darauf zurück nach Köln, schwanger, heiratete nach ihrem GI einen weißen Buben aus Bielefeld mit dem Namen Hammerschmidt, den verzogenen Sohn einer Mutter, die alles in dieses schöne Kind investierte, das Architekt werden wollte. Alle Freunde und Bekannten kauften Strampelhosen, und das wilde Leben schien in ruhiges Fahrwasser zu gelangen. Ob sie ihr Abitur später noch machte, weiß ich nicht. 1970, als der März Verlag auf seinem Höhepunkt war, rief sie mich aus Berlin an, erzählte mir aufgeregt von einem literarisch-politischen Projekt, zu dessen Realisierung sofort eintausendfünfhundert nötig seien, die ich ihr schickte und à fonds perdu abbuchte. Ein Jahr später wurde sie gesucht wegen des Verdachts, Wohnungen für die RAF angemietet zu haben. 1972 stellte sie sich selbst, vermutlich auf Zureden ihrer Eltern. Ich nehme an, daß sie Schily als Parlamentär auswählten. 1975 starb sie in Berlin an zu spät behandeltem Krebs.

Cat war die erste, die sich freiwillig stellte, aber nach dem aus wahltaktischen Gründen 1970 abgelehnten Gnadenerlaß für Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Thorwald Proll und Peter Söhnlein, der fertig in der Schublade des hessischen Justizministeriums lag – woraufhin Gudrun Ensslin trocken bemerkte: »Dann müssen wir eben weitermachen« –, hatte der Staat sich bei Katharina auch für Rache entschieden und sie entgegen den Absprachen unter verschärften Arrest gestellt, ihr die rechtzeitige ärztliche Hilfe versagt, in einem Satz: Man ließ sie sterben. Es handelte sich nicht um ärztliche Kunstfehler oder individuelle Gemeinheit. Vielmehr signalisierte 1972 der Staat, daß er tatsächlich so brutal war, wie ihn die RAF in ihrer Paranoia beschrieb. Das Kommando ›Katharina Hammerschmidt‹, welches 1993 den Weiterstädter Gefängnisneubau hochgehen ließ, handelte in seinem kleinen geschlossenen Wahnsystem also einigermaßen folgerichtig.

Weil ich mich im großen geschlossenen Wahnsystem, in dem wir weniger konsequent leben, nicht ins Wolkenkuckucksheim der Betroffenheit verdrücken will, habe ich von Cat und ihrer Familie erzählt, das waren nämlich Leute, die sich nicht in abstrakter Wehleidigkeit ergingen. Es wird Zeit, einen Begriff aus dem Wörterbuch der falschen Informationen zu korrigieren, der ausgesprochen/unausgesprochen immer noch in den Köpfen herumgeistert: die RAF-Leute der ersten Generation seien »Hitlers Kinder« gewesen. Deswegen kam den Erfindern dieser Theorie ja Bernward Vespers ›Die Reise‹ so zupaß, die ich damals selbst verlegte, ohne zu ahnen, daß daraus der Phänotyp des nazistisch indoktrinierten Jungendlichen entstehen würde, der sich in neurotischer Umpolung quasi zwangsläufig zum linken Terroristen entwickeln mußte.

Daran ist erst mal falsch: Vesper war nie an terroristischen Aktionen beteiligt, sondern ein Schriftsteller; zweitens: seine Freundin Gudrun Ensslin stammte aus einem pietistischen Pfarrershaus, sie war, wie Ulrike Meinhof, wenn schon indoktriniert, dann antifaschistisch oder sozialistisch. Nein, die Eltern der RAF der ersten Generation, auch die von Katharina Gembardt, waren dezidierte Antifaschisten, Antiimperialisten, Antirassisten. Nur ihre Kinder nahmen sie zu wörtlich und taten etwas gegen Vietnam, nahmen Begriffe wie Sozialismus und Anarchismus, meinetwegen auch Christentum und die ständig, wenn sie nichts mehr kostet, herbeigewünschte Zivilcourage zu ernst. Sie sahen: Hier hockt mein Vater im Salon, und Wolf Biermann klampft auf seiner Gitarre, da sitzt James Baldwin und erzählt melancholisch über die schwarzen Gettos. Sie fanden: Das ist zuwenig! Nach der Passivität des Volkes im Nazismus werden wir nicht untätig weiter herumdiskutieren über Vietnam und die Dritte Welt. Am Anfang waren dann ihre Aktionen für sie wie ein schöner Traum. Sie schwammen als Guerilleros zwar nicht wie die Fische im Wasser dieser Republik, wohl aber in dem der Linken. Mit dem Frankfurter Kaufhausbrand 1968 hatten sie eine Geste gefunden, ein ethisches Fanal, das von dem Untätigkeitsmuster abwich. Sie ahnten nicht, daß der Staat tatsächlich so gnadenlos sein wollte, wie sie ihn in ihren Pamphleten hinstellten, und konnten erst recht nicht voraussehen, daß die restliche Linke, die sie zwar verachteten, aber doch brauchten, sie so gänzlich im Stich lassen würde.


Bis kurz vor Weihnachten ruderten wir in den alten Zeiten herum, in einem Meer von Fotos, die wir ins Deutsche Literaturarchiv einliefern haben. Die ganze Bude sah aus wie ein Fließband mit Archivschachteln. Die Bilder aus der Vergangenheit gingen uns emotional ganz schön auf den Wecker. Wir trösteten uns damit, daß wir auch eine Auswahl von ungefähr 50 Fotos machen konnten, die zu ›Schröder erzählt‹-Geschichten passen, welche wir in nächster Zeit in unser tazblog stellen werden.

(Fotos: privat / DLA / BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/01/12/katharina-hammerschmidt-2/

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kommentare

  • Hallo,

    bin auch zufällig über diese Geschichte gestolpert. Meine Eltern waren sehr gute Freunde von dem Ehepaar Gembardt die hatten zusammen in Göttingen studiert. Ich glaube dass die Gembardts auch bei meiner Taufe dabei waren. Meine Etlern kannten natürlich auch Katharina und Georgia. Ich war damals vielleicht 7 Jahre alt, als wir die Gembardts in Köln besucht haben, und ich habe vor allem Frau Gembardt, als eine sehr warmherzige und lebhafte Frau in Erinnerung.

  • Hallo,
    erstaunlich was man so alles im Internet findet, wenn man nach seinem eigenen Namen sucht. Ich kann mich meiner Vorrednerin und unbekannter Verwandten Franziska nur anschließen. Amüsiert und sentimental gestimmt fühle auch ich mich. Die Fakten sind mir bekannt, aber die Geschichte gewinnt mit neuen Perspektiven an Tiefe. Sehr interessant.

  • Es ist unbestreitbar, das der(jeder Staat) Staat bei eventueller Gefährdung seines Monopols sich niemals an die Demokratischen Grundregeln hält, von geheimen Tötungen bis zu vertuschten Aktionen von denen unsere Nachbarn niemals etwas erfahren werden, es sei denn sie lesen es in der Tagespresse. Ein Staat, ob Demokratisch oder Sozialistisch muß sich an seine eigenen Hummanistischen Grundsätze halten, ansonsten ist er kein Staat! Hammerschmidt wollte einen gerechten Staat..

  • Hallo schroederkalender,

    durch Zufall bin ich auf euren Artikel ueber Katharina Hammerschmidt gestossen und es hat mich sehr amusiert und durchaus auch sentimental gestimmt… vielleicht sollte ich mich zuerst vorstellen: Franziska, 20 Jahre aus Hamburg, Tochter von Danica, die wiederum Tochter von Katharina Hammerschmidt ist! Katharina ist also meine Grossmutter!
    Der weiße Bube aus Bielefeld mit dem Namen Hammerschmidt ist mein Grossvater und Ullrich Gembardt mein Ur-Grossvater.
    Ich meinerseits arbeite zurzeit als Voluntaerin in Guatemala in einem Strassenkinderprojekt.
    Gruesse aus Guatemala an euch.

  • so ist das. nach dreissig jahren fängt es langsam an, das entmystifizieren. ich habe lange darauf gewartet und hoffe, dass es tatsächlich so sein möge.

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