vonSchröder & Kalender 27.01.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert auf halbmast in östlicher Richtung.

Im Rahmenprogramm zu ›Brinkmanns Zorn‹ läuft am heute um 18:00 Uhr im Berliner Kino Central die Spieldokumentation über den März Verlag.

Aus diesem Anlaß bringen wir die Produktionsgeschichte des Films in vier Fortsetzungen:

Schön wäre es gewesen, wenn nun noch Joseph Melzer etwas über mich als Verlagsleiter seines maroden Unternehmens hätte sagen können, aber Melzer war kurz zuvor gestorben. Deshalb mußte sein Sohn Abraham ran, obwohl er damals erst zwanzig Jahre alt gewesen war und im Melzer Verlag noch gar nicht mitgearbeitet hatte. Erst nach der Sezession Melzer/März übernahm er meinen Posten als Verlagsleiter. Egal, so gab es wenigstens einen Berichterstatter über diese Phase. In der ›März-Akte‹ dreht Abraham seine alte Leier: Schröder raubte den Melzer Verlag aus, das Diebesgut bestand aus Autoren, Bleistiften und Radiergummis. Gleich nach dem Interview ließ Abi sich mit Blaulicht von der Messe ins Krankenhaus fahren; weil er das Gespräch auf keinen Fall verpassen wollte, hatte er trotz großer Bauchschmerzen tapfer in die Kamera gelächelt und wurde noch am selben Tag am Blinddarm operiert.

Mit Saur, Neven DuMont und Abi Melzer waren die drei ersten Stufen auf dem Weg zum Verleger beschrieben. Um die Vielfalt der Stimmungen und Aktivitäten des März Verlags zu illustrieren, waren ein paar Figuren mehr nötig. Winfried Kumetat, der letzte Prokurist des ersten März Verlags, erzählte die Anekdote, wieso er ›Siegfried‹, während ich mit Gelbsucht im Krankenhaus lag, nicht gleich am ersten Messetag präsentierte. Angeblich, damit die Anwälte der darin Erniedrigten und Beleidigten nicht sofort zum Schnellrichter laufen konnten, holte er das Buch, entgegen meiner strikten Anweisung, erst am Samstag aus der Kiste. Tatsächlich ist Freund Kumetat vor allem ein Schisser, der keine einstweiligen Verfügungen auf dem Messestand aushalten wollte. Dabei war der ›Siegfried‹ doch auf Krawall und Skandal hin geschrieben!

Dann kam Uve Schmidt als Freund und März-Autor mit seinem grünen Filzhut und dem Bierglas. Als Schröder-Solidarnosc-Typ tränkte er es dem März- und Olympia-Press-Kommanditisten Karl Dietrich Wolff richtig ein: »KD ist überhaupt der einzige, der auf diesem ganzen März-Schutt – so ein Schutt wie in Pompeji, ein schöner Schutt, ein positiver Schutt, ein lehrreicher Schutt – seinen Roter Stern Verlag aufgebaut hat. Also der braucht nicht dumm rumreden!« Karl Dietrich sah das natürlich anders. Er hatte sich für sein Statement extra ein nettes Hemd angezogen, eines mit lauter kleinen roten Herzen drauf. Mit seiner leisen, immer bescheidenen Mammas-Liebling-Stimme schoß er seine stereotypen Spitzen gegen mich ab: »Der März Verlag, das waren schon alles wir!«

Dieses Herzchen, welches sich einst nicht hatte genugtun können mit Genosse Mittag hinten und vorn, mit ›Kalender für Genossen‹ und ›Erziehung und Klassenkampf‹ mit Losungen wie »Geschrieben von Genossen für Genossen (und Sympathisanten) und solche, die es werden wollen«, hatte in der ›FAZ‹ glatt behauptet: »Ich bin nie Kommunist gewesen.« Im ›März-Akte‹-Film modifizierte er diese Aussage so: »Roter Stern war für uns eine Allusion, wir hatten damals die Phantasie, daß wir uns aus der hergebrachten politischen Symbolik einfach nehmen können, was uns paßt, und daraus was Neues machen. Inzwischen weiß man, daß es bei Roter Stern auch viel Mißverständnisse gibt. Der Rote Stern war für uns auch etwas Surrealistisches und schon was Radikales, aber wie ich jetzt neulich gesagt habe, es ist etwas, was in fünf Richtungen zeigt, lauter Spitzen hat und auch was Freches ist. Wir dachten nicht, damit eine parteikommunistische Gesinnung auszustellen.«

In diese Suada hinein drängte sich ein ungebetener, aber natürlich immer willkommener Gast. Es war Daniel Cohn-Bendit, der gar nicht auf der Interviewliste stand. Doch wenn irgendwo auf der Buchmesse eine Jupiterlampe aufleuchtet, pirscht sich Daniel in den Kamerafokus, darin ist er Meister! Während also Wolff redete, schob sich Cohn-Bendit von rechts ins Bild, unterbrach einfach seinen Lauf und posaunte: »Das kann man jetzt nicht trennen! Man kann nicht sagen: die Sauberen und die Schmutzigen, sondern ökonomisch wurde März von Olympia Press getragen! Und Leute, die Pornos übersetzt haben, ich kenne da viele – was heißt viele? – zwei, drei!« Zu den zwei, drei gehörte sein Freund Joschka Fischer. Vermutlich hatte KD gar nicht erzählen wollen, daß Joschka Fischer mal Olympia-Pornos übersetzte – »Edelpornos«, wie der Außenminister diese Titel heute abwieglerisch nennt. Obwohl Seine Exzellenz – natürlich unter Pseudonym – doch nur eindeutig schmutzige und harte Pornos für uns ins Deutsche übertrug. Na, irgendwie muß ein Diplomat ja sein Englisch lernen! Und warum Cohn-Bendit das erwähnte? Vielleicht, weil Joschka damals schon Minister in Hessen war, wollte er ihn auf diesem Wege wissen lassen, daß sein Freund Dany jetzt endlich auch mal an der Reihe sei mit einem Druckposten. Hat ja auch prima geklappt! Bald darauf wurde er Dezernent für Multikulti in Frankfurt.

Nicht nur Herr Fischer hat ein kleines Problem damit, dem Publikum zu erklären, warum man mal Pornoübersetzer oder -verleger war. Aber eigentlich ist es doch ganz einfach: Ende der Sechziger verdiente man damit schönes Geld, hatte Spaß daran und durfte sich zusätzlich noch zur emanzipativ-avantgardistischen Speerspitze rechnen. Bald allerdings erschienen in großer Zahl Sexmagazine und -filme, bei deren Ansicht und Lektüre es jedem knüppeldick klar wurde, daß man als Zauberlehrling mit der Idee von der befreienden Wirkung der Pornographie auf dem Holzwege gewesen war. Und wer heute in diesem schmutzigen Geschäft arbeitet, tut das nur noch, um gutes Geld zu verdienen. Deshalb überlegten wir lange, wer wohl am besten etwas zur Pornographieproduktion der ersten Stunde sagen könnte. Auf unserer Liste standen Soziologen und Sexualwissenschaftler, Models, Fotografen und Autoren. Schließlich entschieden wir uns für einen, der auch an der Pornographieproduktion beteiligt gewesen war: Henryk M. Broder. Er hatte bei der Hamburger Sexpostille ›St. Pauli Nachrichten‹ gearbeitet. Ich kannte ihn allerdings schon länger, noch aus der Zeit, als er brav in Abraham Melzers Schülerzeitschrift ›Kontakte – für deutsch-jüdische Zusammenarbeit‹ schrieb.

Während ich die Olympia-Press-Bücher und -Filme produzierte, hatte Broder ebenfalls häufig mit der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften zu tun. Und einmal traf ich ihn in der Bad Godesberger Redoute, als der Kulturlobbyist Lothar von Balluseck zu einem Streitgespräch eingeladen hatte. Der damalige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Ernst Benda, war gekommen, dazu noch einige Pornogegner aus der Bonner Ministerialelite. Auf der anderen Seite traten als wilde Figuren der Pornojournalist Broder und eben ich als Pornoverleger Schröder auf.

Die Geschichte dieser merkwürdigen Gesprächsrunde erzählte Henryk für unseren ›März-Akte‹-Film, mit einigen Übertreibungen versteht sich. So zum Beispiel sei ich im italienischen Maßanzug mit Jaguar und in Begleitung von vier oder fünf schönen Mädchen in der Redoute aufgetreten. Der Jaguar stimmt, der Maßanzug auch, nicht aber die vier oder fünf Mädchen. Es war nur eins, Barbara Mendzigall, die Sekretärin meiner Bismarc Media, durchaus eine angenehme Erscheinung, aber sie hatte nichts Dolly-Dollar-haftes an sich. Offenbar hatte Henryk sich im Kopf einen Pornokönig zusammengewichst und den ›Stern‹ verinnerlicht, in dem links und rechts an den Torpfeilern jeweils eine nackte Frau stand, Schröder als Dumpfmeister mit dem Jaguar in der Mitte vor seinem Schloß. Dieses Bild wird sich in seinem Gehirn eingebrannt haben, so daß die Überzeichnung im Film glaubhaft erscheint. Natürlich vergaß er nicht, sich selbst wichtig zu machen, und behauptete, daß er in der Redoute zwölf Messer und sieben Gabeln aus schwerem Tafelsilber geklaut habe. Na, vielleicht ein Messer und eine Gabel!? Wie auch immer, er machte erfolgreich Reklame für sich selbst und startete so seine Fernsehkarriere. Denn das ist empirisch nachzuweisen: Gleich nachdem die ›März-Akte‹ gelaufen war, wurde Henryk M. Broder von Elke Heidenreich adoptiert und talkte gemeinsam mit ihr in einer TV-Show. Von da an ging’s bergan mit der Fernsehkarriere als Talkmeister. Und mittlerweile ist er als Reporter bei seinem alten Chefredakteur Stefan Aust gelandet, der jetzt statt der ›St.-Pauli-Nachrichten‹ das Magazin in der Brandstwiete 19 leitet. Die Titten zeigt er nun hauptsächlich in ›Spiegel-TV‹.

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

DIE MÄRZ-AKTE: 90 Minuten, BR, 1985 Grimme-Preis 1986, Regie: Peter Gehrig. Mit Jörg Schröder, Barbara Kalender und Horst Tomayer sowie Mathias Bröckers, Henryk M. Broder, Daniel Cohn-Bendit, Gerd Haffmans, Christian Klippel, Winfried Kumetat, Abraham Melzer, Reinhold Neven DuMont, Klaus G. Saur, Uve Schmidt, Christian Schultz-Gerstein, Matthias Wegner, Karl Dietrich Wolff.

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kommentare

  • Liebe Hannelore von B.,
    ja, die ›MÄRZ Akte‹ gibt es auf DVD bei absolut medien. Und Jörg Schröder erzählt Ernst Herhaus, ›Siegfried‹ kann man bei uns für 8 Euro (inkl. Porto, Verpackung und von Jörg Schröder signiert) bestellen.
    Beste Grüße
    Barbara Kalender und Jörg Schröder

  • Gibt es die MÄRZ-AKTE auf DVD?Kenne die Melzer-Familie aus vergangenen Zeiten, Schröders „Siegfried“ war ein Genuß, ich arbeitete eine kurze Zeit bei der Peter-Presse, Darmstadt u. im Melzer-Verlag. Gibt es auch noch eine Ausgabe des „Siefried“ von E.Herhaus geschrieben? Grüße auch aus „Kreickenbaum“schen Haus

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