vonSchröder & Kalender 20.02.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert heute nicht.

Im Mai 2004 hatte uns die Künstlergruppe neue dokumente nach Berlin eingeladen, wir stellten dort die März-Kassette vor. Bei ›neue dokumente‹ in der Schönhauser Allee erschien auch die Zeitschrift ›freier‹. Über eine absurde Polizeiaktion vor dem Erscheinen der ersten Nummer von ›freier‹ berichtete uns die Mitherausgeberin Simone Gilges:

Liebe Barbara, lieber Jörg,

ich wollte Euch noch die komische Geschichte von der ersten freier-Ausgabe erzählen, weil Ihr doch so behördenerfahren seid …

Am Tage vor der Herausgabe habe ich morgens früh die Druckvorlagen in einem Copyshop abgegeben, die Zeitschrift sollte bis zum Ladenschuß um Mitternacht fertiggestellt sein. Nachmittags bekam ich einen Anruf von der Geschäftsleitung des Copyshops, man frage sich, da das Heft nackte Kinder zeige, ob dies erlaubt sei, auch das Impressum sei nicht korrekt und der Internetlink führe zu keinen weiteren Informationen. Ein Kollege sei zur Polizei gegangen, ich solle vorbeikommen und meinen Personalausweis mitbringen, sowie ein Schreiben, welches das Projekt und meine Tätigkeit erklärt, damit der Druck fortgesetzt werden könne. Ich fuhr also zu dem Laden, und als ich an der Theke stand, schoben sich von rechts und links silberne Dienstmarken von zwei in schwarze Kampfanzüge gekleidete Kriminalpolizisten unter meine Nase. Sie keilten mich ein, damit ich nicht fliehen konnte, und ich wurde vorläufig festgenommen wegen Verdachts der Verbreitung kinderpornografischen Materials. Wir fuhren zur Wache, ein Beamter saß vorne, zwei hinten und ich wieder in der Mitte. Ich durfte auch nicht mein falsch geparktes Auto auf einen freien Parkplatz stellen. Meine Tasche nahmen sie mir gleich ab. Als wir bei der Wache ankamen, wurde ich gründlich untersucht. Dann mußte ich eine Stunde auf der Bank sitzen und warten. Schließlich sahen die beiden Jungs von der Kripo noch einmal das konfiszierte Heft durch und meinten: »Kunst ist das jedenfalls nicht!« Sie müßten bei mir eine Hausdurchsuchung durchführen, deshalb warteten sie auf die Kollegen von Prenzlauer Berg. Dann ging es los zu uns nach Hause. Auf dem Weg unterhielt ich mich mit den beiden und versuchte ihnen das Projekt zu erklären. Ich erzählte ihnen, daß das Bild von dem kleinen Jungen, der auf der Person mit Federn im Hintern reitet, momentan im Künstlerhaus Stuttgart ausgestellt werde, dort habe sich niemand daran gestoßen.

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Honey-Suckle-Company: ESWERDE, 2003

Als ich dann noch erwähnte: »Das Kind auf dem Foto ist mein Sohn«, klingelte es bei denen so langsam, daß ich vielleicht unschuldig sei. Vor unserer Tür trafen wir drei Beamte vom anderen Bezirk, denen mußte alles noch einmal erklärt werden.

Der eine Polizist war inzwischen auf meiner Seite und versuchte, alles in andere Bahnen zu lenken. Wir also rein in unsere Wohnung, Reimo, mein Freund, und Bo, mein Sohn, kochten gerade Griesbrei und freuten sich, daß ich schon wieder zurück bin. »Ja«, sage ich, »aber nicht allein!« Und die fünf Beamten enterten die Wohnung, mit Gummihandschuhen blätterten sie unsere Urlaubsalben durch und mit Taschenlampen kontrollierten sie die Plattensammlung, ›Pipi im Taka-Tuka-Land‹ stand als erstes in der Reihe.

Sie fanden nichts und stellten fest, daß mein Arbeitsplatz wohl gar nicht hier sei. Wir fuhren dann alle zu ›neue dokumente‹, wo die Freunde dabei waren, die Ausstellung zur Veröffentlichung von ›freier‹ vorzubereiten. Alle waren guter Stimmung, und zwei Leute malten gerade ein esoterisches geomantisches Bild an die Wand. Ich zeigte den neuen Beamten noch mal das Heft und alle Fotos darin, die doch gar nichts mit Kinderpornografie zu tun haben. Daraufhin suchten sie nicht mehr richtig, guckten nicht in die Computer und auch nicht ins Nebenzimmer, wo der Tisch voll Fotos lag. Gegen elf Uhr nachts klärten sie endlich telefonisch, daß es sich wohl um einen Fehlalarm handele, ohne Kindergeschlechtsteile gebe es keine Kinderpornografie. Ich durfte die geplante Eröffnung durchführen, die konfiszierten Materialien wurden wieder zum Copyshop gebracht, so daß wenigstens ein Teil der Auflage am nächsten Tag für die Ausstellungseröffnung fertiggestellt werden konnte.

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Heinz Peter Knes: Polizei, 2002

Die beiden Kriminalpolizisten aus Schöneberg hielten machomäßig mit quietschenden Reifen vor dem Laden und mußten alle Materialien wieder ausladen. Die Leute im Copyshop hatten noch eine Stunde, um alles zu heften und zu schneiden. Zwei Monate später bekam ich vom Landeskriminalamt eine Benachrichtigung, daß ich die beiden konfiszierten Exemplare abholen könne. Der Beamte war nett und entschuldigte sich mit den Worten, er wisse auch nicht, wie es zu der Hektik gekommen sei, es sei doch kein Verbrechen, so ein Heft zu produzieren. Schriftlich habe ich das bis heute nicht bekommen.

Mich würde nun interessieren, was Ihr dazu sagt?
Und ich verbleibe mit vielen Grüßen und freue mich auf Eure Rückmeldung
Simone Gilges

(SG / BK / JS)

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