vonSchröder & Kalender 28.02.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

Wir wollten endlich mal wieder einen freien Tag machen, bei Thai Viet auf der Wilmersdorfer essen und dann rausfahren zum Wannsee. Aber es regnete, und Barbara sagte nach dem Essen: »Laß uns doch in der KaDeWe-Glaskuppel einen Espresso trinken. Wir waren noch nie da oben, und wenn sie jetzt zur 100-Jahr-Feier die größte Torte aller Zeiten anschneiden, kann man sich da drin monatelang vor Touristen nicht retten.«

Eine ungewöhnliche Idee, die deshalb sofort ausgeführt werden mußte. Wir also zur Tauentzien und rein in den größten Konsumtempel Europas. Die Dekorationsvorbereitungen waren im vollen Gange.

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Wir fuhren hinauf zur Wintergarten-Glaskuppel, fanden sogar einen Fensterplatz, weil eine Frau mit Kinderwagen gerade aufstand. Sie hatte offenbar nichts verzehrt, das geht da oben dank der Selbstbedienung.

Während ich den Espresso holte, beobachtete Barbara den Nebentisch mit drei jungen Leuten. Ein rothaariges Mädchen mit Pferdeschwanz saß neben ihrem Freund, ihnen gegenüber ein brünettes, dickliches Mädchen, auch mit Pferdeschwanz. Während das Pärchen sich nur Kaffee geholt hatte, stand vor der Brünetten ein riesiges Stück Zitronenkuchen. Alle Kuchenstücke aus den Selbstbedienungsvitrinen hatten diese obszönen Dimensionen. Die Kuchenliebhaberin leckte sich die Lippen, nahm die Gabel, da sagt der Typ: »Halt, das will ich fotografieren«, zückte die Kamera. Seine Freundin begutachtete die Fotos im Display, meckerte daran herum, er mußte neue machen. Schließlich forderte er die potentielle Kuchenesserin sogar auf, sich neben den Tisch zu stellen, damit man ihre Hand und ihren Pullover nicht sieht. So stand sie unglücklich im Gang und wartet, endlich durfte sie sich wieder setzen und fragte kleinlaut: »Kann ich jetzt essen?« »Nein«, sagt ihre Freundin, das ist wieder alles verwackelt«, und zu ihrem Freund: »Nimm mal das Stativ!« Tatsächlich kramte der Junge ein kleines Stativ aus dem Rucksack, das Mädchen mußte noch einmal im Gang stehen. Erst jetzt hatte er den Zitronenkuchen zufriedenstellend fotografiert, und seine Besitzerin verschlang ihn in atemberaubender Geschwindigkeit.

Dann hatten wir einen anderen Tisch auf der erhöhten Ebene des Restaurants im Blickfeld. Unsere Augen waren natürlich auf unbeteiligt gestellt. Da saß ein japanisches Pärchen, er war der Typ des eleganten Gangsters wie in Juzo Itamis ›Tampopo‹-Film, nur grauhaarig und zwanzig Jahre älter, sie sah so aus wie dessen Geliebte nur fünf Jahre jünger. Und ebenso unbeteiligt, wie wir die beiden wahrnahmen, beobachtete er Barbara und mich. Vermutlich machte er sich seine Gedanken über unseren Altersunterschied, genauso wie wir uns über den ihren. Als sie nach dem Espresso aufstanden, blitzte in ihrem Bauchnabel ein Zweikaräter, der bestimmt nicht von Swarovski stammte.

Den Platz der beiden nahm ein anderes elegantes Pärchen ein, wieder mit großem Altersunterschied. Ein reicher Rumäne schätze ich. Sie, Typ der jungen Anna Magnani, strich ihm liebevoll über die Stirn, denn er sah angespannt aus und war grau im Gesicht. Er tätschelte ihr fahrig den Rücken. So stelle ich mir einen Liebhaber vor, der seinem Herzen zu viel Viagra zugemutet hat.

Tolle Filme laufen da oben ab während eines Espressos. Kategorie: sehr zu empfehlen!

(BK / JS)

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