vonSchröder & Kalender 26.03.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in westlicher Richtung.

Nach soviel Größe zu einer noch übersichtlicheren Figur der Zeitgeisthistorie: Wir schrieben den Januar 1969, ich hatte das Gefühl, der Melzer Verlag sei für die Zukunft personell gut besetzt mit dem Vertriebsmann Peter Beitlich, Anne Hansal im Sekretariat, Adolf Heinzlmeier in der Herstellung und Traudel Brand als Lehrling. Was fehlte noch? Das politische Lektorat? Nein! Ich muß bekennen, ich suchte dafür inzwischen niemand mehr, wollte es selbst machen; schon eher brauchte ich einen Lektor für den neuen Pornoladen. Da aber meldete sich eine leise, kultivierte Jungmännerstimme am Telefon: »Kade Wolff, guten Tag. Ich weiß nicht, ob du weißt, wer ich bin.« Komische Frage, er war gerade als Bundesvorsitzender des SDS zurückgetreten, außerdem in Frankfurt zusammen mit Hans-Jürgen Krahl und Günter Amendt als Rädelsführer wegen der Springer-Blockade angeklagt. Irgendwie mußte mein Vorschlag an Jochen Noth, den ›Chienlit‹-Übersetzer, bei mir als Lektor für Politik zu arbeiten, bei Kade gelandet sein, denn er sagte: »Ich habe gehört, der Melzer Verlag sucht einen Lektor, und wollte mal fragen, ob ihr mich nehmt.« »Darüber sollten wir uns unterhalten, komm doch nach Darmstadt.« Zwei Tage später reiste er an, nicht allein, er brachte seinen großen Bruder Reinhart mit, ein langes, dürres Gestell, das genaue Gegenteil von Karl Dietrich, der ja immer schon Pausbacken hatte. Die Wolff-Brüder – es gab neben den beiden noch einen Nachkömmling – waren damals Polit-Pop-Idole. Der ›Stern‹ hatte vor kurzem die schöngeistigen Revoluzzer mit ihren Instrumenten doppelseitig als Zimmermusikanten abgebildet. Das rührte die Leser, alle fanden es wunderbar, wie diese Extremisten daheim im hessischen Biedenkopf ganz filizidal bei Papi Landgerichtsrat als cellospielende Weicheier hockten. Mich kotzte es an! Schließlich hatte ich in meiner Kindheit lange genug unter Onkel Siegfried und seinem Konservatorium gelitten. Aber ich dachte mir auch: So sind sie halt, die Kammermusiker, laß sie!

Karl Dietrich war eindeutig unter Reinharts Knute, denn der ältere Bruder übernahm die Gesprächsführung: »Also, damit das gleich klar ist, wenn Kade jetzt Lektor wird, dann ist selbstverständlich, daß Melzer nur Titel veröffentlicht, die wir vom SDS billigen.« Ich fixierte ihn wie einen Irren: »Haste se noch alle?!« Wieder setzte er zu einer Suada an und erneuerte seine Forderung. Ich unterbrach ihn: »So könnt ihr bei Sit-ins mit den Professoren reden. Paßt mal auf, den Verlag mache ich! Und hier erscheinen nur Titel, die ich will! Oder glaubt ihr vielleicht, ich brauche für den Laden einen Politruk? Melzer ist ein Verlag für alles, was mich interessiert! Dazu gehören Bücher über Anarchismus, Sozialismus, aber vor allem auch Literatur. Seht euch an, was ich bisher verlegt habe, da ist Che Guevara genauso drin wie Dieter Hülsmanns, die ›Geschichte der O‹, Victor Klemperer, ›Fuck you‹ und Kerouac. Das werde ich mir nicht durch einen SDS-Zensor einschränken lassen. Wenn Kade mir die richtigen Bücher vorschlägt, dann werde ich sie machen; im übrigen interessiere ich mich für ihn ja nicht, weil er Bratsche spielt, sondern wegen der linken Programmatik. Ist das klar?« Es war klar. Reinhart steckte sein autoritäres Gehabe zurück, sein jüngerer Bruder saß die ganze Zeit über still daneben.

Ich war verblüfft über den großen Studentenführer mit einem noch größeren Bruder, und ich hatte auch ein bißchen Mitleid mit Karl Dietrich. Aber dann überlegte ich mir: Mit dem Mann komme ich klar, autoritär genug bin ich ja auch. Wolff wird als Lektor den Melzer Verlag nicht nur schmücken – es ging mir doch schließlich auch um den Mediennamen ›Kade‹ –, sondern seine Kontakte werden interessante Autoren bringen. Also sagte ich: »Gut, machen wir einen Versuch, am 1. April fängst du an, drei Monate Probezeit, vierzehnhundert Mark Gehalt.« Großzügig bemessen für einen abgebrochenen Jurastudenten ohne Lektoratserfahrung. Das ist etwa so, als würdest du einem Fünfundzwanzigjährigen heute fünftausend Mark zahlen. Hierzu kam kein Widerspruch von Reinhart. Kade erwähnte noch, daß er anschließend erst in die USA reisen wolle. Nach einer Stunde begleitete ich die beiden von der Spreestraße rüber zum Bahnhof. In dem nicht sehr attraktiven Wartesaal löffelten die Brüder eine Hühnerbrühe auf Verlagskosten. Ich hätte sie auch zu einem größeren Essen eingeladen, aber weil Reinhart sich so unangenehm aufgespielt hatte, ließ ich es bleiben.

Im ›Spiegel‹ stand am nächsten Montag eine Notiz über meine Neuerwerbung; Kommentar Kades zum ›Spiegel‹ über seinen neuen Job: »Ich brauche eben Geld. Warum nimmt man sonst ’ne Arbeit an?« Es geht ja nicht darum, sich gegenseitig den Staub der Vergangenheit in die Augen zu blasen, aber wenn ich heute zuweilen lese, wie politisch mein späterer Kommanditist seine Entscheidung, bei Melzer anzufangen, begründet, nämlich als mit Berufsverbot belegter, verfolgter Jurastudent, muß ich mir doch einen grinsen. Trotzdem, bei allem, was ich später noch Schlechtes über diesen Karl Dietrich Wolff werde berichten müssen – auch manches Gute, wie zum Beispiel in Kürze einiges im Zusammenhang mit der März-Gründung, später wird’s dann schlechter werden –, will ich nichts Falsches sagen. Falsch wäre es, diesen Typ als einen protofaschistischen Jüngling darzustellen. Das war er nicht, sondern lediglich ein junger Mann in Schwierigkeiten.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

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