vonSchröder & Kalender 02.04.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in westlicher Richtung.

Den heutigen Fünfundzwanzigjährigen erzähle ich immer gern, wie menschlich-allzumenschlich die übergroßen Gestalten der Achtundsechziger wirklich waren, und sei es auch nur, um den Alpdruck des Mythos einer Generation, der sie nicht angehören, von ihnen zu nehmen, die aber nun mal die zweite Hälfte dieses Jahrhunderts prägte. Nur zu gut verstehe ich deren Auflehnung gegen die Fünfundfünfzigjährigen, die heute an der Macht sind: gescheiterte Akademiker, pensionsberechtigt dank ihrer grünen Ringvereine, ewig jugendliche Renegaten, die davon zehren, einst an einer Revolution teilgenommen zu haben – übrigens zu Recht. Ralf Dahrendorf mag noch so heftig auf seiner »unauffindbaren Revolution« beharren, sie fand doch statt. Schließlich diskutierte er 1968 beim Parteitag der F.D.P. vor der Stadthalle in Freiburg mit Rudi Dutschke und müßte sich an dessen revolutionäres »aufrecht gehen« erinnern. Wer allerdings die Wirkungen der Jugendrevolte von den Demonstrationen und Diskussionen bis zur Stadtguerilla der RAF nur an deren Theorien und Utopien mißt, wird auf dieser Oberfläche nicht so leicht Greifbares finden. Wo steht denn auch, daß uns die Berichte über die feingemengten Zeitläufte und ihre Protagonisten leicht von der Hand gehen müssen? So fällt mir eben zur Wirkungsgeschichte der Achtundsechziger und dem daraus folgenden Generationenkonflikt eine Episode ein, die mir sogar schwer zu denken gab, schließlich entwickelt sich jede komplexere Überlegung aus dem Augenscheinlichen und endet in ihm.

Am Johannistag des Jahres 1994 heirateten Hanna und Martin Klaußner in Fürth und feierten auf dem Land in Kammerstein. Barbara und ich geigten bei heißem Wetter durch Franken, kamen ein bißchen zu früh im Gasthof an und setzten uns gutgelaunt in eine Weinlaube. Später fand im Saal ein Fest mit hundert Leuten statt, alle waren fröhlich, eben eine wunderbare Landhochzeit. Es gab blaue Zipfel, guten Wein, und die Gesellschaft schwang das Tanzbein zur Musik einer Swing-Kapelle, eine straßbehängte junge Frau sang Zwanziger-Jahre-Songs, Barbara schwofte abwechselnd mit Rainer Loska und Dieter Vorbach, dem Leiter der Fürther Volksbücherei, der mit Spitznamen Opa gerufen wird. Also wirklich kein Haßfestival vom Typ ›The kids are not allright‹. Ich saß am Tisch, weil ich nie tanze, und betrachtete vergnügt, wie der große dicke Rechtsanwalt Maul leichtfüßig seine Frau herumschwenkte. Da fing der junge /// (Hier und im folgenden Text haben wir ohne Nachgabe im Recht und lediglich zur Vermeidung gerichtlicher Auseinandersetzungen zwei Namen unkenntlich gemacht.), der Martin Klaußners Buchhandlung übernehmen konnte, weil seine Frau aus einer gutbetuchten Fürther Familie stammt, plötzlich aus heiterem Hochzeitshimmel an, auf mich einzureden.

Dieser Edelbuchhändler – Suhrkamps rotes Programm und zusätzlich alles, was bessere Fadenbindung hat, steht in seiner Bücherstube, die Innenausstattung des gehobenen Bewußtseins – begann unvermittelt, an mir zu sägen: Das müsse ich zugeben, »diese Achtundsechziger haben uns« – mit »uns« meinte er sich und seine Generation – »einen Scherbenhaufen hinterlassen!« Ich verstand ihn zunächst mal so, daß er mir vorhalten wollte, die Linken hätten ihre Ideale verraten, und obwohl mir eine Diskussion darüber zu den Klängen einer Swing-Kapelle deplaziert vorkam, wollte ich nicht den arroganten alten Sack heraushängen, der einen jungen Eiferer mit einem »Laß mich damit jetzt in Ruhe!« abbürstet. Also hub ich an, davon zu sprechen, daß die Gesänge vom Verlust der linken Illusion, und wie aus »Träumern Terroristen wurden«, kitschige Lyrik sind, eben Feuilletonmusak … Aber nein, das wollte er nicht hören, der war auf einem ganz anderen Dampfer: »Ihr habt uns einen Scherbenhaufen hinterlassen! Ihr seid verantwortlich für die Zustände heute! Wir geben euch kein Pardon! Das sage ich dir: Wir sitzen zusammen und überlegen uns, wie wir euch zur Verantwortung ziehen können! Ihr könnt euch auf etwas gefaßt machen!« So ging es fort, ein paar Minuten lang. Erst dachte ich, der reißt einen Witz, den ich nicht verstehe, doch dann wurde mir klar: Was dieser Buchhändler hinaustrompetete, meinte er ernst. Nein, er war nicht besoffen, nur etwas angetrunken im Sinne von in vino very veritas.

Vor mir saß kein glatzköpfiger Skin in gefleckter Bundeswehr-Tarnhose mit Dr.-Martens-Schuhen. Ich redete nicht mit Manuel Ochsenreiter, der gegen Moscheen im Allgäu kämpft, die kein Moslem je vorhatte zu bauen, und der die Achtundsechziger aus ihren Ämtern jagen will, also einem dieser Neunundachtziger, die Gerhard Henschel in der ›Titanic‹ zu Recht vergackeierte, weil es zu komisch ist, was sich diese Leute in Fleissners ehemaligem Verlag zusammenbrauen. Ja, komisch! Was bleibt uns übrig, als solche Deppen durch Gelächter zu marginalisieren? Nur möchte ich zart anmerken, daß Nietzsches Satz im ›Zarathustra‹: »Nicht durch Zorn, sondern durch Lachen tötet man«, noch schöner wäre, wenn er nicht nur in moderaten Zeiten stimmte. Wo der Fanatismus regiert, da töten die Verlachten, wie es in Deutschland trotz Dada, Heartfield und Tucholsky seit 1933 im Schwange war. Und wenn heute ein junger Buchhändler, also der Besitzer eines umfassenden Halbwissens, nicht nur mehr das übliche Cora-Stephan-Main-stream-Gequatsche vom Achtundsechziger-Sündenfall, sondern präsenile Vernichtungsphantasien im Kopf hat, dann läuft es mir doch kalt den Rücken runter. Nicht aus Angst vor einem durchgeknallten Fitti oder einer Randgruppe, sondern weil dir da plötzlich das Lebensgefühl einer heterogenen Generation entgegenschwappt, die nur eins gemeinsam hat: Die Suche nach dem Sündenbock für den Verlust von irgend etwas, das sie nicht beschreiben kann. Eine explosive Mischung aus betrillerten Elitären, besengten New-Age- und Tibet-Adepten auf der Suche nach fraglosen Gewißheiten, Rechten mit nationalistischen und biologistischen Leitbildern, fanatisierten Technik- oder Umweltfreaks, dazu kommen die schrillen ökonomischen Mißverhältnisse zwischen den verwöhnten Ravern vom Typ ›Sponsored by Oma‹ und den Massen der arbeitslosen Hooligans, denen nichts heilig ist außer Fußball, Bier und der Reichskriegsflagge.

Gut, überlegte ich mir, während die Swing-Band spielte, jetzt habe ich in diesem /// mal einen gefunden, von dem ich erfahren werde, was sie uns vorwerfen. Deshalb fragte ich gelassen: »Was meinst du mit Scherbenhaufen? Mit wem sitzt du zusammen? Wie soll die Strafe aussehen, die ihr uns zugedacht habt?« Und was kam? Nur wieder ein dumpfes Grollen: »Wir werden es euch heimzahlen!« Erst danach fing ich an zu schreien, wie seit langem nicht mehr. Loska und Maul, die vom Tanzen zurückgekehrt waren, machten runde Mäuler, der Hochzeiter Klaußner und Barbara wunderten sich über den tobenden Schröder: »Was willst du Arschloch von mir?! Dir geht es doch wunderbar! Du hast eine gestopfte Tochter geheiratet, deren Familie dir eine Buchhandlung gekauft hat. Du schreibst mir Briefe, in denen steht, daß du deinen Laden zur arschlochfreien Zone erklärt hast, und bist selbst das größte! Du jammerst, daß du mir meine Erlebnisse neidest. Erleb doch selber was! Ich bin weder für dein Lebensgefühl noch für Aids oder das Ozonloch zuständig! Du hockst mit deinem aufgeblähten Selbst in der Egoismusfalle und pendelst zwischen Übermensch und armem Schwein! …« Bestimmt zehn Minuten lang brüllte ich den Kerl an. Hilfesuchend blickte deshalb mein Möchtegernexekutor von Rainer Loska zu Gernot Maul, dann zu Martin Klaußner, bei dem er gelernt hatte. Plötzlich war er wieder der Sortimenter mit dem sensiblen Blick, zog sich in den Suhrkamp-Schafpelz zurück, suchte bei den anderen Schutz vor dem Berserker Schröder, hielt die Fresse und spielte die verfolgte Unschuld. Nein, ich will den jungen Mann nicht dämonisieren, und außer der Tatsache, daß er mir mit seinem Pogromgeraune eine halbe Stunde lang die Festtagslaune verdarb, muß ich ihm doch dankbar sein, weil er mir zeigte, was für Aggressionen unter dem Lack einer Generation lungern, die sich ständig darüber beklagt, zu kurz gekommen zu sein. Nach den Lost-, Beat- und Pop-Generationen haben wir es nun mit den Sado-Narzißten zu tun.

Fast hätte der Buchhändler es aber doch noch geschafft, mich um die Ecke zu bringen. Martin Klaußner hatte vorgeschlagen, daß wir ///s Wagen folgen, damit er uns zu dem reservierten Hotel in Fürth lotst, nach dessen Namen wir blöderweise nicht gefragt hatten. ///s Frau fuhr. Sie hatte nichts getrunken und bretterte aus Rache für meinen Abrotzer gegen ihren Mann nun mit einem Affenzahn durch die nächtliche fränkische Landschaft, um uns abzuschütteln. Doch die Autowerkstatt hatte mir, weil unsere Kiste zur Reparatur war, einen getunten, breitreifigen Punto mit der großen Aufschrift ›Autosport – Mayer – Leeder‹ geliehen. Unvernünftig und angeschickert nahm ich, trotz Barbaras heftigen Protestes, das Rennen auf, anstatt die beiden Spinner in den Wind schießen zu lassen, und klebte mit diesem Geschoß der rasenden /// an der Stoßstange. Nein, es ist nichts passiert, aber wer sich auf die Verfolgung der Frau seines Verfolgers einläßt, lebt gefährlich.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)


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