vonSchröder & Kalender 09.04.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Jetzt ist nicht die Zeit für Rentenlarmoyanz, im Gegenteil, es geht doch erst richtig los mit den jungen Pferden! Sehr zum Mißvergnügen des alten Melzer akquirierte ich ständig neue Bücher und Autoren. Eine Weile verstand ich seine ökonomischen Ängste, erklärte sie mit seinem Dreihunderttausend-Mark-Börne-Debakel. Aber inzwischen hatte ich aus seinem nahezu unbekannten, konkursreifen Winzigverlag ein Unternehmen gemacht, das in aller Munde war. Wenn du dir die Presse von damals anguckst, da steht es überall drin: »Melzer, einer der wichtigsten deutschen Verlage.« Gleichzeitig hatte ich den Laden saniert, was nun nicht bedeuten konnte, das Geld auf die Seite zu bringen und zu sagen: »Es reicht. Lassen wir mal ein Bändchen von Arnold Zweig erscheinen und später eins von Margarete Susman.« So aber stellte sich Joseph Melzer die Rettung seines Verlages vor. Du siehst, ich hatte ihn gründlich mißverstanden: Sein »Herr der Welt! Geld! Geld! Geld!«-Geschrei war keine witzige Marotte. Tatsächlich empörten ihn zwei Dinge: Erstens, ich schaffte den schönen Gewinn nicht auf die Seite – notabene für ihn! Zweitens, ich verschwendete denselben auch noch für Bücher, die er ablehnte – das ist zu milde ausgedrückt: die er für widerwärtig hielt. Oder einfacher: Alle Titel, die Profit abwarfen, fand er schrecklich, aber nützlich wie die ›Geschichte der O‹ oder ›Venus in Indien‹. Bücher, die keinen Umsatz brachten, fand er nur grauenhaft. Er war ein solcher Avantgardebanause, wie man es sich eigentlich gar nicht traut zu erzählen. Alles, was nicht in seine Judaica- oder Geistigkeits-Schublade paßte, bemeckerte er. Er beließ es eben leider nicht dabei, protestierend mit der ›FAZ‹ zu rascheln und zu jammern, wie die Nazis ihm das Leben versaut hätten. Von dem Moment an, da wir schwarze Zahlen schrieben, begann er, aggressiv zu mosern.

Es wurde immer schlimmer, plötzlich fing Melzer an, sich ums Programm zu kümmern, regte sich auf über Hermann Nitsch, weil ich dessen ›Orgien Mysterien Theater‹ angenommen hatte – der Titel erschien später bei März. Ursprünglich wollte ich ein Buch von Otto Mühl verlegen, der mich in Darmstadt besucht hatte. Er war damals wegen seiner wilden Happenings der bekannteste Vertreter des Wiener Aktionismus, nicht Günter Brus oder Hermann Nitsch. Ich war drauf und dran, dieses Manifest von Mühl anzunehmen, und erzählte es Bazon Brock. »Nein«, meinte der, »nimm Hermann Nitsch. Ich sage ihm, daß er sich bei dir melden soll, er ist der wichtigste Mann von denen, der wird ein Weltkünstler!« Er hatte recht. Nitsch ist der bedeutende Künstler geworden, und Mühl ein Guru, der kleinen Mädchen ins Knie fickte. Dann bot mir Chotjewitz seinen ›Roman‹ an, dieses DIN-A4-Buch, in dem der Autor auf hundert Seiten, von Gunter Rambow fotografiert, als nackter Mann herumspringt. Für Melzer war das: »Dreck! Dreck! Dreck!« Peter O. Chotjewitz empfahl mir Manfred Esser, der wollte seinen schwierigen Text ›1. Scientific Biografia Romancée – Leben + letzte Erkenntnis‹ am liebsten in trivialem Gewand sehen. Also erfand ich für ihn die Reihe ›Melzers Bibliothek der Unterhaltung und des Wissens‹, die so aussah wie die Romanhefte aus dem Bastei-Verlag – holzhaltiges Papier, zweispaltiger Satz, eingestreut dumpfe Anzeigen vom Waltraud Schirmer Versand: »Kein Nägelkauen mehr!«, »Augenwimpern wie erträumt!«, »Dünne Beine, dünne Arme«, »Der Hals verrät Ihr Alter«. Und weil eine Reihe mindestens aus zwei Titeln bestehen muß, paßte es mir gut, daß Uve Schmidt mich mit Otto Jägersberg bekannt machte. Der schickte mir den Debütanten Jürgen Schimanek, und so wurde dessen ›Na, komm!‹ in der Pseudo-Reihe plaziert. Jägersberg hatte den Judaica-Verleger Melzer schon früher, vor meiner Zeit in Düsseldorf, besucht, gleich nach seinem erfolgreichen Erstling ›Weihrauch und Pumpernickel‹ im Diogenes Verlag. Von ihm schwärmte Melzer einst: »Ein schöner Junge!« Damit war jetzt Schluß, weil der schöne Junge diesen Schimanek ins Haus gebracht hatte, da war Ende mit der Bewunderung.

›Die Revolution des Ja‹ von Bazon Brock lehnte der Verleger rigoros ab, obwohl er nie einen Text von ihm gelesen hatte. Ich leierte Jan Cremer an, auch das gefiel ihm nicht, er holte sich die Fahnen von mir, und bald hörte ich von nebenan: »Äh, äh, äh! Ein Dreck!« Dann besuchten mich die angetörnten ›Subkultur Berlin‹-Herausgeber Barbara, Christian und Hartmut mit ihren Materialien über die subversiven Gruppen – »Herr der Welt!« stöhnte Melzer. Gut, das war die rauhe Subkultur, umwölkt von Haschischschwaden, aber auch die ›Neue amerikanische Szene‹ von Rolf Dieter Brinkmann und Ralf Rainer Rygulla war dem Mann ein Dorn im Auge. Denn die Anthologie ›Acid‹ verursachte Kosten und würde noch viel mehr produzieren, das war schon abzusehen. Joseph Melzer bemerkte es, als Anne Hansal anfing, ein Bündel von Rechten einzusammeln. »Sie wollen mich ruinieren!« schrie er. Natürlich gab ich die Anthologie trotzdem in Satz. Vierhundert großformatige Seiten klebte ich in einer einzigen großen Session mit Brinkmann und Rygulla zusammen. Joseph saß währenddessen im Nebenzimmer, rang die Hände, weil eine Tür weiter wieder ein riesiges Buch entstand. Selbst den kleinen Band mit Erzählungen der Niederländerin Andreas Burnier, ›Die Schrecken des Nordens‹, worin sie in spröder Weise die Horrorsozialisation eines lesbischen Mädchens abarbeitet – das sind keine pornographischen, sondern trockene, abweisende Geschichten, bei denen sich jeder Voyeur die Nase abfriert –, legte er angewidert weg. Und erst recht das witzige Päderastenbuch von Robert Katzman. Hier wurde nicht literarisch wertvoll schwul gelitten und geseufzt. Also, das muß ich sagen, da war Joseph konsequent wie Reich-Ranicki: bei Thomas Mann stehengeblieben.

Fortsetzung folgt

(BK / JS)


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