vonSchröder & Kalender 17.04.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Katzman besuchte mich, als ich noch wegen des Beins im Krankenhaus war, aber bereits zwischen den Klinikrabatten herumhumpeln konnte. Von Tuli Kupferberg hatte er den Tip bekommen, dem Melzer Verlag sein ›Asbestos Diary‹ anzubieten. Ich kaufte das Buch, gab es Otto Wilck, der übersetzte die Hunderte von Wortspielen kongenial. Robert, der Deutsch lesen konnte, weil er wie Tuli Kupferberg am Yiddischen Lerer Seminar der Columbia University studiert hatte, war von dieser Übersetzung sehr angetan. Mein Besucher war ein kleiner rundlicher schwarzhaariger Mann von schätzungsweise fünfunddreißig Jahren, der sein ›Tagebuch eines Päderasten‹ unter dem Pseudonym Casimir Dukahz veröffentlichte. Das ist nicht etwa das schwülstige Gesülze eines Schokoladenonkels, sondern hier schildert zum ersten Mal seit dem Satyrikon ein Autor seine Pädophilie auf derart drastisch-komische Weise. Ich glaube, die Qualität des Textes kann einer, der selbst nicht homosexuell ist, besser beurteilen als ein Schwuler, denn mich reizten die sexuellen Eskapaden ja nicht als Wichsvorlage. Jedenfalls habe ich nie wieder so witzige Geschichten über ausgekochte, freche, listige Biester gelesen wie Robert Katzmans Stories über die dreizehn, fünfzehn und sechzehn Jahre alten Bengel Luc, Tinker oder Billy – keine verwahrlosten Strichjungs, sondern Knaben aus anständigen Familien, die den Erzähler ausnehmen wie eine Weihnachtsgans.

Das tat ihm überhaupt nicht weh, er mäzenierte schließlich auch die ›Fugs‹, eine Rockband, die Ed Sanders mit Tuli Kupferberg und Ken Weaver gründete. Katzman verdiente viel »Geld! Geld! Geld!« mit einem ungewöhnlichen Geschäft: Er erklärte mir, daß es in diversen Ländern, so zum Beispiel in England und Spanien, Münzen gebe, deren Silberwert höher sei als der Nennwert auf dem Geldstück. Sein System bestand darin, mit Hilfe einer Armada von kleinen Bankangestellten, die er für ihre Dienste gut entlohnte, beispielsweise für eine halbe Million Dollar Silberpeseten einzutauschen, die wurden dann in Containern gesammelt, und Katzman blieb nach dem Einschmelzen ein Profit von fünfzigtausend Dollar. Ein paar Millionen hatte er bereits mit seinem »Coin Business« verdient, er nannte das »praktizierten Anarchismus«.

Bevor Robert sich von mir verabschiedete, gab er mir noch den dringenden Rat, etwas theoretisch Anarchistisches zu verlegen, nämlich Paul Goodmans ›Growing up absurd‹. Ich besorgte mir das Buch, kümmerte mich um die Rechte, und als ich endlich im April für den März Verlag ein Angebot abgab, hatte sie gerade ein alter Anarchokopf gekauft, der nebenbei einen kleinen Verlag betrieb. Die Übersetzung war miserabel, der Titel ging unter, obwohl er eines der bedeutendsten Werke über Erziehung ist. Ich habe nach seinem Besuch nie wieder von Robert gehört, denn die Rechte des ›Asbestos Diary‹ blieben nach der Sezession bei Melzer, und der zahlte ihm natürlich keine Tantiemen, obwohl das ›Tagebuch eines Päderasten‹ gut lief und nicht indiziert wurde.

Wenn wir hier über die Protoszene eines Verlages reden – und die des März Verlages ist nun mal meine Zeit bei Melzer –, so kreisen die Gespräche meist um Autoren, allenfalls noch um Lektoren. Den anderen, also Beratern, Tipgebern, Zuträgern, Scouts, werden selten Kränze gewunden. Das ist einerseits der – allerdings meist schamlosen – Eitelkeit von Verlegern und Lektoren zuzuschreiben, liegt aber auch an der Schwierigkeit, ein Rhizom zu entwirren. Würde ein Literatursoziologe das März-Archiv in Marbach durchforsten, so fände er beispielsweise in den Planungsmappen einen Brief, in dem mich der Übersetzer Herbert Graf auf Castanedas ›Die Lehren des Don Juan‹ hinweist,

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oder einen, in dem mir der Züricher Literaturagent Rainer Heumann von Mohrbooks Leonard Cohens ›Schöne Verlierer‹ anbietet. Auf diese Empfehlungen hin las ich die Bücher, sagte: »Ja, machen wir.« Und deshalb sind sie bei März erschienen, so unspektakulär war das. In den meisten literatursoziologischen Untersuchungen beginnt die Editionsgeschichte nicht mit dem ersten Hinweis auf ein Buch, sondern mit der Korrespondenz des Verlegers oder Lektors mit dem Autor. Was vorher lief, das Schneeballsystem der Beziehungen, wodurch man Autoren findet, solche Verbindungsketten von Uve Schmidt zu Paulus Böhmer, Gunter Rambow, Peter O. Chotjewitz, von dem zu Manfred Esser und Wolfgang Kiwus, dazu die vielen mündlichen Tips wie zum Beispiel Bazon Brocks Nitsch-Empfehlung, darüber schweigen die Archivalien.

Einer dieser Kombattanten der ersten Stunde war Uve Schmidt. Mit seinen Texten, die bei Luchterhand erschienen, wurde er Anfang der Sechziger als junges Genie am Autorenhimmel gefeiert. Ich lernte ihn erst 1967 auf der Buchmesse kennen. Wir unterhielten uns über einen geplanten Roman und wippten dabei wie die Kinder auf zwei dicken Elektrokabeln, die im Messegang lagen, waren so im Gespräch versunken, daß wir die Arbeiter nicht bemerkten, die wütend am Ende des Gangs an den blockierten Strängen zerrten. ›Höchstens drei Minuten‹ sollte eine autobiographische Erzählung werden aus Uves Zeit in der Eremitenpresse. Der Titel spielte darauf an, daß Victor Otto Stomps seine Frühstückseier sehr weich genoß. Jeder, der Uve kennt, weiß, daß unsere späteren Projektkonferenzen nicht wie arkadische Schäferspiele abliefen. Bei Melzer und März erschienen schließlich nicht nur Gedichte von Charles Bukowski über Suff und Porno, wir bereisten den Untergrund real, zum Beispiel belegten wir einen Crashkurs London, kaum daß ich wieder am Stock gehen konnte. Einen solchen mit geschnitzter El-fenbeinkrücke brachte mir Uve in die Klinik, V. O. Stomps hatte ihm das gute Stück einst verehrt. Uve reichte es mit der Bemerkung an mich weiter: »Du kannst ihn jetzt besser gebrauchen.«

Fortsetzung folgt

(BK / JS)


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kommentare

  • Brain O. Drexel (1909 – 1988). Vern L. Bullough, “Before Stonewall“, S. 316, Google B., ist interessant im Zusammenhang mit seinem New Yorker Verleger, Numismatik und auch Tuli Kupferberg.

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