vonSchröder & Kalender 23.04.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Wir haben uns ein morgendliches Aufstehritual angewöhnt: Ich erhebe mich gegen 6:45 Uhr, Barbara bleibt bis 7:00 Uhr liegen, genießt die kostbarsten Minuten des Tages, den warmen Halbdämmer, kurz vor dem Dienst am Blog. Währenddessen setze ich Kaffeewasser auf und wasche mich. Als ich dies vorgestern tat, ging der Wohnungstürgong. Ich griff mir den weißen Bademantel und rannte die 20 Meter nackt durchs Dachstudio, denn Barbara geht nie an die Tür, wenn es morgens klingelt, weil sie vor der ersten Tasse Kaffee noch nicht sprechen kann.

Als ich den Flur erreichte, um den Türöffner zu bedienen und gerade den Bademantel überziehen wollte, stand Barbara mit dem Rücken zu mir in der weit geöffneten Wohnungstür und redete mit einer unbekannten etwa dreißigjährigen Frau. Diese erblickte mich also über Barbaras Schulter, nackt, kurz vor dem Moment des Zuklappens, also in der umgekehrten Aktion des exhibitionistischen Mantelaufklappens. Die Unbekannte wurde puterrot, machte einen runden Mund wie der Mensch auf dem ›Schrei‹-Gemälde von Edvard Munch, drehte sich um und stürzte davon.

Erst jetzt drehte sich Barbara um, sah mich im Bademantel, verstand sofort, daß sich etwas Peinliches hinter ihrem Rücken zugetragen haben mußte und brach in Gelächter aus. »Warum bist du heute an die Tür gegangen?« fragte ich sie entgeistert. »Ach, ich dachte, es ist der mufflige Paketbote, dem wollte ich mal vorführen, daß ich noch muffliger sein kann.« »Und was wollte diese Frau?« »Sie sprach gebrochen deutsch. Wahrscheinlich eine Polin, sie sucht die Leute, bei denen sie putzen soll. Die hat sich ja dermaßen erschrocken. Warst du denn noch nackt?« »Halbnackt«, antwortete ich.

Die Peinlichkeit nahm an diesem Tag kein Ende. Als ich am Nachmittag vom Friseur kam und die Straße überqueren wollte, kam die junge Frau, die ich am Morgen verschreckt hatte, aus unserer Haustür, fixierte mich, erinnerte sich, wurde unruhig, konnte aber wegen des Verkehrs nicht schnell über die Straße flüchten, drehte sich also verlegen um und studierte angelegentlich die Hausfassade. Vermutlich fürchtete sie, daß ich gleich meinen Trenchcoat aufklappe.

(JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/04/23/exhibitionismus-wider-willen/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert