vonSchröder & Kalender 16.06.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert heute nicht, die Fahne ist eingeholt.

Als wir 1989 ›Schröder erzählt‹ planten, überlegten wir auch, ob wir die Texte vielleicht in Kreta redigieren könnten, um so das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Als Sommerloch-Lektüre bringen wir in loser Folge Reisegeschichten aus ›Schröder erzählt‹.

Bleiben wir noch einen Moment bei den Ritualen, denen du dich nicht entziehen kannst, lassen das Basilikum ein Königskraut sein und wenden uns dem »kretischen Vorspiel« zu, wie Karl Kerényi es nannte. In einer anderen Inselhöhle wurde das Zeuskind von der Ziege Amaltheia und den Bienen ernährt. Vermutlich verschmolz in Kreta der mykenisch-griechische Zeus mit einer älteren Gottheit, die jedes Jahr aufs neue geboren wurde und starb: dem Fruchtbarkeitsgott Dionysos oder einer seiner vielen Erscheinungsformen. Zwar verlegten die Hellenen die Geburt des Zeus nach Kreta, den Tod ihres höchsten Gottes aber wollten sie den Minoern – die an ihrem alten Glauben festhielten – nicht zugestehen, und daher halfen sich die Griechen listig mit der Behauptung, »alle Kreter lügen«, denn ein Gott hat nun mal unsterblich zu sein. Diese Dialektik von Leben und Tod führte erst in neuester Zeit wieder zu einer Kontroverse, die unter Kulturwissenschaftlern und Archäologen mit Klauen und Zähnen ausgetragen wurde, weil ein Dogma ins Wanken geraten war.

Im Sommer 1979 entdeckte das junge Archäologenehepaar Efi und Ioannis Sakellarakis an den Hängen des Juchtas, nur etwa zehn Kilometer Luftlinie von Knossos entfernt, einen minoischen Tempel, in dem zum Zeitpunkt seiner Zerstörung ein Jüngling geopfert wurde. Als sich ein Erdbeben ankündigte, hatten eine Priesterin und ein Priester versucht, die Götter durch ein Menschenopfer zu besänftigen. Die Priester und ihr Opfer wurden von den einstürzenden Tempeltrümmern erschlagen und konnten von Efi und Ioannis Sakellarakis in situ ausgegraben werden. Eine Sensation! Bis dahin galt das minoische Kreta als Paradies, in dem Grausamkeit unbekannt war. Man war sicher gewesen, daß das Mutterrecht, also ein von Frauen geprägtes Priestertum, keine patriarchalisch grausamen Rituale aufkommen ließ. Doch nun war das Gegenteil bewiesen. Aber anstatt dem Archäologenehepaar für seinen Fund den griechischen Nationalpreis zu verleihen, wurde es wegen dieser alle bisherigen Erkenntnisse auf den Kopf stellenden Forschungsergebnisse von allen Fachkollegen wütend bekämpft. Mit vereinten Kräften verhinderten diese eine Berufung von Ioannis Sakellarakis zum ordentlichen Professor in Athen, und um ihn hier loszuwerden, wurde er zum Leiter des Museums von Heraklion ernannt. Diese Strafversetzung erwies sich aber als Glücksfall, denn seitdem haben Efi und Ioannis Sakellarakis dort zahlreiche weitere Entdeckungen gemacht, darunter die Nekropole von Furni bei Archanes, die zu den wichtigsten archäologischen Funden des zwanzigsten Jahrhunderts zählt.

Womit wieder einmal bewiesen wäre, daß Mißgunst nicht immer zu üblen Resultaten führen muß, vorausgesetzt, die Erde deckt genug Verschüttetes. Da wir aber nun mal keine Archäologen sind, hatten wir das ganz bestimmte Gefühl: Wenn wir hier bleiben, enden wir als alte Hippies. Denn die Insel war voller Leute, die sich einst große Projekte vorgenommen hatten und inzwischen träge in den Tag hinein träumten. Während unserer Recherche begegneten wir einer Menge gescheiterter Existenzen, nicht nur in Vai, Paleochora oder Matala. In der idyllischen Bucht von Matala lebten ja seit Anfang der Sechziger Hippies aus aller Herren Länder in den Höhlen der Sandsteinfelsen, die vermutlich schon von Menschen der Jungsteinzeit bewohnt wurden. Die Hippies haben diese Höhlen regelrecht vollgeschissen, deshalb sind die Felsen heute eingezäumt. Schon verrückt, daß dort, wo im Mythos die phönizische Prinzessin das erste Mal ›europäischen‹ Boden betrat, nun ein Zaun steht.

Die Frage war also: Kriegen wir hier unsere Erzählung hin? Ich ließ eine Reihe von Manuskripten Revue passieren, die mir Autoren im Laufe der Jahre aus irgendwelchen Rückzugsbastionen geschickt hatten. Da wurde ein Leben in Hellas oder Spanien geschildert, wofür sich keine Sau interessierte. Schließlich ist schon Kurt Tucholsky als Schriftsteller nicht nur an den Nazis gescheitert, sondern auch an den schwedischen Wäldern. Manche Autoren brauchen eben für ihre Arbeit das Land, worüber sie schreiben. Ganz recht, nenne es meinetwegen Heimat. Mir wurde klar, daß für die Atmosphäre unseres Projekts – was es werden sollte, muß ich jetzt, da es fertig ist, nicht mehr erklären – eine Basis in Deutschland nötig sein würde. Das konnte man weder in Griechenland noch in Frankreich, nicht auf Teneriffa oder in der Toskana machen. Dazu mußt du deutsche Leute, deutsche Zeitungen, deutsches Fernsehen, deutsche Kultur um dich haben, vor allem aber deutsche Unkultur. Und wir waren inzwischen sicher, wenn wir nach Kreta zögen, bekämen wir allenfalls einen komischen Roman zustande, aber viel wahrscheinlicher würden wir uns ein kleines Gewerbe suchen, ständig »wräää ochi!« schreien und dann versauern. Kurzum, wir flogen zurück, und in Schlechtenwegen stand das Thema ›Neues Domizil‹ wieder zur Debatte.

(BK / JS)

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