vonSchröder & Kalender 01.10.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Über das soeben erschienene Buch ›Er stand in Hitlers Testament‹ schreibt Ambros Waibel: »Es wäre besser nicht geschrieben worden.«

Es handelt von einem Meisteringenieur aus Deutschland, dem Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, Karl-Otto Saur. Geschrieben haben es sein Sohn Karl-Otto Saur jun. und der Enkel Michael Saur. Hinweise und Zitate zum Fall des Schreibtischmörders Saur hat Ambros Waibel unserem Blog (KG Saur oder die Rache der Chromosomen) entnommen.

Wir haben in den Jahren 1989 bis 1996 in der Nähe von Landsberg gelebt. 2001 erschien ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der der wir über das ›bayerische Argentinien‹ berichten. Aus gegebenem Anlaß bringen wir diesen Teil unserer Erzählung in Fortsetzungen:

Ich habe die Gegend, in der wir damals wohnten, gerade ein »bayerisches Argentinien« genannt. Das ist ein flotter Spruch, aber es ist viel Wahres dran, denn die meisten Leute hier sind auch heute noch in der Wolle gefärbte Nazis. Dazu kommt, daß vor nur wenigen Jahrzehnten viele Menschen diese Landschaft auf grausame Weise kennenlernen mußten. »Es gibt einen Ort, von dem man Ausblick auf Wiesen, auf Gruppen von Birken und Weiden, einen kleinen Tannenwald und die Kirche eines Dorfes hat«, so beschreibt der französische Germanistikprofessor Albert Fuchs die Lechauen, »wir werden oft hingehen und von dieser Aussicht träumen, obwohl wir dort nur zwei Meter von den Geräuschen und dem Gestank der Latrinen entfernt sind.« Der rumänische Jude Lászlo Salamon notiert: »Friedliche Häuser, in den Fenstern milder Lichtschein, hinter mir SS-Gewehre, auf meiner Schulter schmerzt der Spaten. Eine Wolke drohenden Unheils liegt über den stillen Bürgerhäusern, die Nähe des grausamen Schicksals, sei verflucht, Kaufering.« Und so erinnert sich der Ungar Jehuda Garai an dieses KZ-Lager IV in Kaufering: »Eines Tages gab es gar nichts mehr zu essen. Man trieb uns hinaus auf die Wiesen zum Weiden. Einige Tage waren wir dort. Zuerst weideten wir das Gras dort ab, dann anderswo, wo es noch zu finden war. Nach diesen Tagen sind von den fünfzig Menschen noch wenige geblieben, und wir konnten uns nicht mehr bewegen … Die Zahl der Toten wuchs mit einem fort, und ein starker Mann hätte sie mit einer Hand aufgehoben, so leicht waren sie. Und der erste Hungernde erschien mit dem Fleisch. Er knabberte daran. Es schmeckte ihm. Es war ein guter Braten. Danach folgten auch andere seinem Beispiel und kauten das blutige Fleisch der Menschen. Es schauderte uns. Das Menschenfleisch lockte, und unsere Sinne ekelten sich …«

Wo Menschen Menschenfleisch fressen müssen, flüchten die Ratten. Nun wohnten wir also bei Landsberg, und es nützte kein Rumreden: Wir waren im Zentrum des Schreckens gelandet. Hier hatte die Hitler-Epoche begonnen, und hier endete der Holocaust im wirklichen Sinne des Wortes: SS-Mannschaften übergossen das letzte »arbeitende« KZ mit Benzin und zündeten es an. 268 Häftlinge, die nicht mehr laufen konnten, verbrannten bei lebendigem Leib. Ein Gebirge aus Sadismus tauchte vor uns auf, und wir stellten uns wieder mal die schlichte adornitische Frage: Hat es überhaupt Sinn, nach solchen Angriffen auf die Grundlagen der Zivilisation operative Literatur zu machen? Jedoch, es mag ja falsch sein, daß der Mensch ein moralisches Tier ist, ein erzählendes Tier ist er allemal. Und während wir unsere Stollen immer tiefer in das Phänomen hineintrieben, wurde uns bewußt: Landsberg ist die Protoszene der deutschen Geschichte von 1923 bis heute. Und die Mentalitäten, die einen Hitler hervorgebracht hatten, waren an diesem Ort noch sehr gegenwärtig. Deshalb beschlossen wir, die Phänotypen dieser morbiden und makabren Szenen nicht im milden Vergessen versickern zu lassen.

Es nützt ja nichts, den jungen Mann, der in der ›Festung‹ in Ehrenhaft saß, nachträglich als gescheiterten Maler lächerlich zu machen oder ihm den irren Blick zu attestieren. 1923, nach dem Marsch auf die Feldherrnhalle, bei dem vier Polizisten und sechzehn Putschisten ums Leben kamen, diktierte der Schriftsteller Hitler, der beschlossen hatte, Politiker zu werden, seinem Paladin Rudolf Hess im Landsberger Gefängnis ›Mein Kampf‹. Er widmete es Ibsens ›Peer Gynt‹ – ich komme später darauf zurück, wenn ich über die Knöpflemacher erzähle. Mit diesem Buch, das nicht nur unmoralisch, sondern auch schauderhaft schlecht geschrieben und rasend dumm ist, begann Hitlers kometenhafter Aufstieg. Mit seinem in Landsberg verfaßten Werk, in dem der schlechte Geschmack an die Stelle des guten rückte, wurde er zum zeitweilig populärsten politischen Führer der Welt.

»Ich weiß, daß die Gefängniszellen der Nationalsozialisten einmal Wallfahrtsorte einer neuen deutschen Jugend sein werden«, schrieb Hitler in ›Mein Kampf‹. Zehn Jahre später besuchte er Landsberg als Reichskanzler und ehrte die Stadt mit dem Titel ›Stadt der Jugend‹. Nach München, der Wiege der Bewegung, und Nürnberg, der Stadt der Reichsparteitagstriumphe, wurde jetzt auch Landsberg ein historischer Ort des Nationalsozialismus. Im Anschluß an die Reichsparteitage in Nürnberg marschierten Abordnungen der Hitlerjugend mit ihren Fahnen zur Hitlerzelle, die zum ›Nationalen Heiligtum‹ erhoben wurde. Und obwohl die Gefängnisanlage in Landsberg der Bauweise von Knästen in anderen bayerischen Städten aufs Haar gleicht – zum Beispiel der in Aichach –, hieß sie von nun an nur noch »die Festung«, eben ritterlich getönt. »Diese kleine Zelle sah die größte Schmach deutscher Geschichte und zugleich den Sieg des unbändigen Glaubens und eines unbezwingbaren Willens«, erklärte Reichsjugendführer Baldur von Schirach bei einer Weihe der Bannfahnen auf dem Landsberger Hauptplatz vor dem schönen Rathaus, das einst der Bürgermeister Dominikus Zimmermann gebaut hatte.

Als der Zweite Weltkrieg begann, war Schluß mit »Friedensparteitagen« und »Sternmärschen nach Landsberg«, die Hitlerjugend bereitete sich auf den Heldentod vor. Und kurz vor Ende verkroch sich das Dritte Reich dann unter die Erde. Bei Landsberg wurde das babylonische Projekt ›Ringeltaube‹ realisiert, das du noch heute als Luftwaffenwerft 31 der Bundeswehr besichtigen kannst. Da bedarf es keiner Bunkerarchäologie, um sich die Hauptwerke deutscher Ingenieurskunst vor Augen zu führen. Und deren Opfer liegen gleich nebenan. Wer die ›Romantische Straße‹ entlangfährt, sieht von Hurlach bis Seestall fünf grüne Wegweiser mit der euphemistischen Aufschrift »KZ-Friedhof«. Natürlich sind das keine Friedhöfe, sondern Massengräber, in denen die Toten aus den elf Konzentrationslagern rund um Landsberg verscharrt wurden. Bei den Häftlingen, die zum Teil aus Auschwitz kamen, hießen diese Arbeitslager »kalte Krematorien«, denn hier ereignete sich die letzte Phase der »Vernichtung durch Arbeit«. Da gab es viele kleine Täter: SS-Wächter, sadistische Baupoliere und brutale Kriminelle, die als Kapos die Häftlinge drangsalierten und massakrierten. Planvoll unterernährt mußten die Sklavenarbeiter in vierzehnstündigem Einsatz auf der Baustelle der Firma Moll schuften, wurden mißhandelt und gingen, zu Gerippen abgemagert, nachdem sich ihre Körper selbst verzehrt hatten, zugrunde. Tagtäglich wurden zahlreiche erstarrte Leiber auf Karren geladen und in die Massengräber gebracht. Der tschechische Häftling Norbert Fryd veröffentlichte einen Tatsachenroman über seine Zeit als Lagerschreiber im KZ Igling. ›Kartei der Lebenden‹ erschien 1960 in der DDR bei Volk und Welt.

(Fortsetzung folgt. Der zweite Teil erschien bereits unter dem Titel: KG Saur oder die Rache der Chromosomen)

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/10/01/brennglas-landsberg-1/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert