vonSchröder & Kalender 01.11.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

In den Jahren 1989 bis 1996 lebten wir in der Nähe von Landsberg am Lech. 2001 erschien dann ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der wir über dieses ›bayerische Argentinien‹ berichten.

Aus Anlaß des Erscheinens von ›Er stand in Hitlers Testament‹ über Karl-Otto Saur, den Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, bringen wir unsere Landsberg-Erzählungen in Fortsetzungen.

Uns so geht es weiter: Bei den Recherchen zum historischen Brennglas Landsberg hörten wir noch so manche erstaunliche Geschichte. So erzählte uns, gleich nach unserem Einzug in die Villa, unsere Vermieterin: »Eines Tages im April, es war kurz vor Kriegsende, da waren plötzlich alle Stadel in Leeder belegt, im ganzen Dorf wimmelte es von russischen Soldaten, aber die trugen deutsche Uniformen. Wir mußten aus der Villa raus und in den Gasthof ziehen. Ich war damals dreizehn Jahre alt.« Frau Schelkle war noch immer begeistert von den Offizieren, die alle gut deutsch gesprochen hätten. Von dem Kommandeur schwärmte sie geradezu: »Ein großer schöner Mann mit dunklem Haar, glühenden Augen und glänzenden Juchtenstiefeln. Die Leute vom Veteranenverein meinen, das sei der General Wlassow gewesen. Die Russen verließen dann fluchtartig das Dorf, weil ein paar Tage später die Amerikaner kamen. Es hieß, daß sich viele, um nicht in Gefangenschaft zu geraten, am Lech erschossen hätten. Der Fluß war tagelang rot von Blut.« Wir gingen den Spuren des schönen Generals nach und ermittelten, daß jener Offizier, der in unserer Villa Quartier bezogen hatte, ganz gewiß nicht Wlassow gewesen sein konnte. Sicher war es einer von den weißrussischen Generälen, der sich mitsamt seiner Heeresgruppe aus dem Staube gemacht hatte, ein Verräter des Verräters Wlassow auf dem Weg in die obskure ›Alpenfestung‹ oder ins rettende Liechtenstein.

Damit war unser Interesse für die Wlassow-Legende geweckt: Generalleutnant Andrej Andrejewitsch Wlassow verteidigte 1941 Kiew und geriet 1942 in deutsche Gefangenschaft, dort gründete er das ›Komitee zur Befreiung der Völker Rußlands‹, denn er war Natio-nalist und haßte Stalin. So wie Wlassow unternahmen allenthalben Parteien und Zirkel letzte verzweifelte Versuche, ihre nationalen Sehnsüchte mit Hilfe der Waffen-SS zu stillen. Noch Mitte 1943 hatte Hitler das Paktieren mit russischen Nationalisten wütend verboten und erklärt: »Nie baue ich eine russische Armee auf … Wir würden einen einzigen Wahnsinn begehen!« Himmler knickte ein, konnte aber nicht verhindern, daß sich in der SS eine regelrechte Wlassow-Untergrundbewegung bildete. HJ-Führer, der Galizien-Gouverneur Otto Wächter, der Chef der SS-Heeresberichterstatter, Gunter d’Alquen, Erfinder des ›Unternehmens Wintermärchen‹, vor allem die gebürtige Petersburgerin Melitta Wiedemann, Chefredakteurin der Antikomintern-Kampfschrift ›Die Aktion‹, ließen nicht nach.

Als die Götterdämmerung für die militärische Führung Großdeutschlands nahte, gab der Reichsführer angesichts der verzweifelten Lage an den Fronten nach. Der erste Beutegermane in der Uniform eines SS-Gruppenführers war der ukrainische General Schandruk. Dann gab es noch eine russische Brigade unter ihrem Führer Kaminski, eine weißrussische SS-Division und Kosakenverbände unter dem Befehl des Heeres-Generalleutnants von Pannwitz. Am 28. Januar 1945 stellte Wlassow zwei Divisionen, bestehend aus Freiwilligen, Gefangenen und Überläufern, auf. In seiner ›Russischen Befreiungsarmee‹ wurden die deutschen Dienstgrade eingeführt, damit hatten die ›Untermenschen‹ den Status eines gleichberechtigten Alliierten des Reiches. Und es klingt wie ein Treppenwitz zur Agonie des deutschen Herrenmenschentums, daß ein russischer General als letzter Befehlshaber im unbesetzten Territorium für das Deutsche Reich kämpfte. Noch am 7. Mai, am Tage der bedingungslosen Kapitulation, versuchte er den Aufstand in Prag niederzuhalten, wo die Tschechen sich gegen die deutsche Besatzung erhoben hatten. Wlassow wurde von den Amerikanern gefangengenommen, den Sowjets ausgeliefert und 1946 in Moskau gehenkt, den Rest seiner Truppen liquidierte der NKWD.

(BK / JS)

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kommentare

  • ROA hat am 5 Mai 1945 Deutschen in Prag angegriffen und in folgenden 3 Tagen die Stadt völlig befreit. Das ist die Wahrheit.

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