vonSchröder & Kalender 11.11.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

Mehr über diesen Blog

Es schneit, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.

In den Jahren 1989 bis 1996 lebten wir in der Nähe von Landsberg am Lech. 2001 erschien dann ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der wir über dieses ›bayerische Argentinien‹ berichten.

Aus Anlaß des Erscheinens von ›Er stand in Hitlers Testament‹ über Karl-Otto Saur, den Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, bringen wir unsere Landsberg-Erzählungen in Fortsetzungen.

Uns so geht es weiter: Versprengte deutsche Soldaten und russische Hiwis waren durch die Dörfer gezogen, Nazi-Funktionäre, Geheimdienstspezialisten und SS-Führer setzten sich in Richtung Alpenfestung ab. Jetzt kamen die ›Amis‹, und auch über diese erzählten uns die Leute vom Lechrain die tollsten Räuberpistolen. Ein alter Lehrer berichtete von einem weißen und einem schwarzen Amerikaner, die betrunken durch Oberdießen zogen und mit Mädchen anbändelten. »Da traten drei Männer dem Neger entgegen, um ihm Einhalt zu gebieten, und der erschoß alle drei, dann haute er ab«, so der Lehrer, »der blonde Ami blieb nach dem Mord da und hat immer vor sich hin gemurmelt: ›Three men, three men.‹ Der Neger wurde im nächsten Dorf vom Höflerwirt mit einer List aufgehalten: Er versorgte ihn so lange mit Essen und Trinken, bis er ein vorbeifahrendes Militärauto stoppen konnte, das den Mörder mitnahm. Die drei Toten waren im Feuerwehrhaus aufgebahrt, andauernd kamen Amis und verhörten die Leute.« Später brachte man die Zeugen aus Oberdießen nach Salzburg zur Verhandlung vor dem Militärgericht. Der weiße G.I. wurde zu zwanzig Jahren Gefängnis, der schwarze zu lebenslänglich verurteilt.

»Schwer zu leiden hatten wir auch unter plündernden Franzosen«, klagte ein anderer Dorfbewohner, »die kamen auf dem Weg nach Hause hier vorbei und nahmen mit, was sie finden konnten.« Der nächste berichtete: »Alle vergruben Wäsche und Lebensmittel. Nichts war mehr vor denen sicher! Manche Verstecke machten sie ausfindig und raubten sie aus. Besonders schlimm waren die Russen, die vorher als Fremdarbeiter auf den Bauernhöfen arbeiten mußten. Sie hatten eine Anführerin, die berüchtigte Mila, die war jetzt sehr brutal zu den Bauern.« Und so erinnert sich die Landbevölkerung an die KZ-Häftlinge: »Die halbverhungerten polnischen und ungarischen Juden bettelten auf untertänige Weise. Das waren zu viele, einer gab dem anderen die Klinke in die Hand, bis wir genug davon hatten. Aber dann zwangen uns die Amis zu einer Kleidersammlung für die Juden, und nur gute Sachen wurden angenommen.« Keiner der Befragten zeigte Mitleid mit diesen Überlebenden aus den KZ-Lagern, die natürlich vorher niemand jemals gesehen haben wollte, obwohl die Elendsgestalten monatelang vor ihrer Nase kompanieweise zur ›Ringeltaube‹-Baustelle getrieben worden waren. Also keine Rede von einem »hilflosen Schaben an einem Gebirge von Schuld«.

Nach solchen Berichten der Zeitzeugen und den von ihren Kindern und Kindeskindern kolportierten Erzählungen fragt man sich, wo eigentlich die »Zerknirschungsmentalität« zu finden ist, die von Schriftstellern mit galoppierendem Apperzeptionsschwund wie Martin Walser als »Moralkeule« postuliert wird. Was die Menschen in diesem Lande massenhaft denken, sagen und schreiben, und zwar neuerdings querbeet vom dumpfesten Stammtischbruder bis zu dem ›Merkur‹-Beiträger David Wagner, dem Provokationsphilosophen Rudolf Burger oder der Rowohlt-Autorin Antonia Grunenberg, ist: Die Deutschen haben einfach keine Lust mehr, sich schuldig zu fühlen. Dabei wird geflissentlich übersehen, daß es noch nie anders war. Tatsächlich wurde Reue immer nur deklamatorisch geheuchelt. Inzwischen wollen die Deutschen sogar das Selbstverständliche nicht mehr wahrhaben, daß sie nämlich nicht nur Geist, Kultur und Sprache ihres Landes in sich tragen, sondern auch dessen Schuld – und zwar bis ins dritte und vierte Glied.

Unser Land der Dichter und Denker bleibt also bis auf weiteres auch eines der Richter und Henker, da nützt das ganze intellektuelle ›Merkur‹-Brimborium nichts. Und der Enkel des Blutordensträgers Wagner mit dem Vornamen David – den man ihm von Rechts wegen aberkennen müßte – kann noch so lange lamentieren: »Die Schuld habe ich wie ihr Geld geerbt«, und ein paar Absätze weiter seine »Schuldgefühle nur noch plätschern« lassen. Ich kann ihm nicht helfen, sondern nur der zynischen Hoffnung Ausdruck geben, daß er nicht auch sein ganzes schönes Blutgeld schon ausgegeben hat. Machen wir uns doch nichts vor, die ›Bewältigungsmafia‹ existiert nur in Romanen, Essays und im Feuilleton, und eine ›Erinnerungsindustrie‹ gibt es noch weniger. Denn wahre Mafia hätte Macht und eine Industrie erst recht. Ich habe sowohl am Lechrain als anderswo in unserer Republik immer nur einen breiten Strom von Gequassel rauschen hören, in dem sich Larmoyanz mit faulen Ausreden vermengte. Bereits 1945 schrieb der Leiter des Landsberger DP-Lagers, Samuel Gringauz, eine bissige Satire über die vergebliche Suche nach drei echten Nazis für einen Dokumentarfilm. Die waren in Landsberg nicht zu finden gewesen, wo sich nach Auskunft des Bürgermeisters »die Brücken gebogen haben ob der schweren Geschenke, mit denen man die Juden im KZ-Lager versorgte«.

(BK / JS)

Anzeige

Wenn dir der Artikel gefallen hat, dann teile ihn über Facebook oder Twitter. Falls du was zu sagen hast, freuen wir uns über Kommentare

https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/11/11/brennglas-landsberg-7/

aktuell auf taz.de

kommentare

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert