vonSchröder & Kalender 03.12.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Wir fuhren zurück ins Collegienhaus und öffneten die erste Flasche Wein. Dann redeten wir über mein Schlitzohr und andere Unfälle, jedem war schon mal ein Ungemach zugestoßen. Doch gegen die Abenteuer des Pingpongmeisters Schreiner kam mir meine Verletzung wie eine Bagatelle vor. Er war fernab von aller Zivilisation an einem Strand in Mexiko von einer Raja an der Ferse verletzt worden. Der skalpellartige Stachel am Schwanz dieses Rochens ist so spitz und scharf, daß die Indianer ihn als Pfeilspitze verwenden. Das Unglück geschah in einer Gegend, wo das nächste Krankenhaus zweihundert Kilometer entfernt war, und um ihren Wagen zu erreichen, mußten sie eine Stunde durch die Lagune waten. Helga und ein Freund schleppten abwechselnd den Mann mit der Schnittwunde und einem Stachelsplitter im Fuß, den sie mit einer Plastiktüte umhüllt hatten. Es war wie bei ›Crocodile Dundee‹. Aber wirklich gekugelt haben wir uns über sein zweites Mexiko-Erlebnis: Mit Rücksicht auf dieses Lagunen-Mißgeschick besuchten die beiden keine einsamen Strände mehr. Und in Oaxaca spazieren sie einen Bürgersteig entlang, Michael betrachtet die Häuser, da versinkt sein linkes Bein plötzlich bis zum Knie im Boden, und der Knöchel ist verstaucht, Helga muß ihn wieder stützen und tragen. Nach diesem Loch im Pflasterstrand wollen unsere Freunde mit Mexiko nichts mehr zu tun haben, obwohl es lange ihr bevorzugtes Reiseland war. Mit solchen Schauergeschichten verbrachten wir den Abend und leerten vier Flaschen Wein.

Um halb zwei folgten Helga und Michael – voll des Bönnigheimer Strombergs – der Schlangenlinie des Collegienhauses und machten sich auf den Weg zum nahegelegenen Hotel. Die geschwungene Grundrißform des Collegienhauses entwarf Dieter Herrmann, das schöne Gebäude wurde 1993 an den Hang unterhalb des alten Schiller-Nationalmuseums gebaut. Allerdings wußte der Architekt bei der Planung des Hauses noch nichts von Schillers Kalliasbriefen, in denen der Dichter die rhetorische Frage stellt: »Warum wird die Schlangenlinie für die schönste gehalten?«, die er sich selbst so beantwortet: »Die Natur liebt keinen Sprung.«

Sei dem, wie ihm wolle, am nächsten Morgen trafen wir uns um elf im Museum zu einer Führung, die Ulrich Ott durch seine Ausstellung ›Protest! Literatur um 1968‹ machte. Mein Ohrverband wurde allgemein mitfühlend bestaunt und hinter vorgehaltener Hand belacht. Es ist ja auch komisch, wenn ein Mensch, der in seinem Leben am häufigsten mit dem Übernamen ›Schlitzohr‹ belegt wurde, dann tatsächlich mit einem solchen herumläuft. Nur die flüsternden Bibliothekarinnen sahen dezent weg, als ich montags mit der ominösen Mullkompresse auftrat wie ein Corpsstudent nach der Mensur. Wir saßen nicht im lichtdurchfluteten Lesesaal, wo die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Handschriften, die sie vorher an der Theke neben dem Eingang in Empfang genommen haben, lesen und die Exzerpte in ihre Laptops füttern, sondern in einem der »Studienzimmer«, die verglast sind mit Sicht auf die Ausgabetheke und den Saal.

Gerade hatte ich begonnen, eine der säurefreien grauen Mappen mit dem Faber Castell HB zu beschriften, da starrte Barbara entsetzt durch die Scheibe. »Was ist denn passiert?« fragte ich, und sie: »Eben ist einer mit voller Wucht gegen den Eisenträger gedonnert!«

Fortsetzung folgt

(BK / JS)

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