vonSchröder & Kalender 08.12.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

An diesem Punkt waren wir, als Herr Weigel kam, um unsere Küche auszumessen. Ein anderer Schreiner hatte uns ewig hingehalten, bis wir beschlossen: »Jetzt reicht’s aber! Wir gucken einfach mal in die Anzeigen.« Und da stand: »Schreinermeister führt aus …« Ich telefonierte mit ihm, anschließend berichtete ich Barbara: »Du, den können wir nicht nehmen. Der muß steinalt sein! Der versteht ja überhaupt nichts mehr.« Ich rief zwei weitere Nummern an, alle Handwerker waren auf dem Vertröstungskurs, daher entschieden wir: »Na, dann lassen wir eben den ollen Sack doch kommen, der hat wenigstens Zeit.« Und der alte Sack zeigte sich als ein Mann in den besten Jahren, vielleicht fünfundfünfzigjährig. Allerdings sahen wir, als er sich die Maße notierte, daß er hinter beiden Ohren Hörgeräte trug, und wir merkten, er verstand uns trotzdem schlecht.

Herr Weigel erzählte, daß er eine große Schreinerei in Lechhausen habe aufgeben müssen, einerseits wegen seiner Schwerhörigkeit, aber auch, weil die Stadt Augsburg ihm extreme Umweltauflagen gemacht habe, da sein Betrieb in einem Wohngebiet lag. Er entließ also zwölf Leute, gab die Schreinerei auf, verkaufte das Grundstück und macht jetzt nebenbei kleinere Ausbauten. »Ich habe aber auch noch einen Nebenjob bei einer Bank wegen der Rente«, fügte er hinzu, »mein Bruder ist dort Direktor, ich transportiere Geld – nicht mit den gepanzerten Wagen, die fahren ja mehrere Millionen. Wir dürfen nur hunderttausend mitnehmen, mehr ist nicht versichert, wenn ich nur eine Mark mehr bringen soll, sagt mein Chef: ›Dann fahren Sie eben zweimal.‹ Frau Schröder, Herr Schröder, Sie wissen gar nicht, wieviel Geld auf der Straße unterwegs ist! Wir tragen es ständig hin und her, von der Landeszentralbank zur Bank und zu den Geldautomaten. Da gibt es welche, die nehmen nur gebrauchte Scheine und andere nur frisch gedruckte. Doch am schlimmsten ist das Hartgeld. Diese Pfennige! Ich sage Ihnen, wenn ich tausend Mark in Pfennigen schleppen muß, Sie glauben nicht, wie schwer das ist!«

Während wir so plauderten, fragte ich ihn: »Sie tragen diese Hörgeräte und haben sicher einige Erfahrung – ich war gerade bei einem Akustiker, der wollte mir gleich welche verpassen …« »Was?« meinte Weigel, »Sie?! Aber Sie hören doch noch ganz gut! Wozu brauchen Sie die? Ich habe ja ein besonderes Problem, meine Schwerhörigkeit liegt in der Familie, bei mir sind die inneren Haarzellen beeinträchtigt. Sie müssen sich das so vorstellen wie bei jemand, der Glasknochen hat, statt der Knochen brechen bei mir die Härchen des Innenohrs. Ich benutze jetzt die vierte Generation von Digitalgeräten – bin privat versichert –, die drei anderen liegen in der Schachtel. Ich habe schon Tausende von Mark ausgegeben, und mein Bruder, der Bankdirektor, hat ganz neue Geräte, das Paar kostet dreißigtausend Mark. Trotzdem bringen sie wenig!«

Herr Weigel hatte sich richtig in Rage geredet, ich unterbrach ihn: »Aber dieser Akustiker hat mir doch gerade erklärt, daß bei den neuesten Modellen in Gesprächssituationen die Hintergrund- und Nebengeräusche differenziert ausgefiltert werden …« »Ach, alles Quatsch! Alles Lüge! Das gibt es gar nicht! Seit ich Hörgeräte habe, kann ich an keiner Veranstaltung mehr teilnehmen. Wenn Sie an einem Tisch mit vielen Leuten sitzen, hören Sie weit hinten jemand reden und verstehen plötzlich den nicht mehr, der Sie anspricht. Neulich war ich bei einem Treffen der Handwerkskammer und mußte gleich wieder gehen, weil ich nur noch ein verstärktes Stimmengewirr hörte. Und diese Halsabschneider von Akustikern erzählen dir genau das Gegenteil, das ist ein Abermillionenbeschiß, an dem Siemens und die anderen Konzerne so lange verdienen, bis sie vielleicht mal etwas entwickeln, was dann wirklich funktioniert. Bis dahin verkaufen sie dir einen Dreck, der nichts nützt. Ich rate Ihnen, Herr Schröder, wenn Sie noch einigermaßen hören können, lassen Sie sich bloß auf keine Hörgeräte ein! Die bestellen Sie, verpassen Ihnen die Dinger, und wenn Sie die zwei Monate getragen haben und rausnehmen, hören Sie gar nichts mehr. Dann ist Stille!«

Fortsetzung folgt
(BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2007/12/08/marbacher-verletzungen-5/

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kommentare

  • Da muss ich 100 % Herrn Weigel zustimmen . Ich versuche es z. Zt. mit
    SIEMENS-Geräten , erstanden auf der Durchreise in Düsseldorf ! Genau dieser
    Effekt !

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