vonSchröder & Kalender 14.12.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

In den Jahren 1989 bis 1996 lebten wir in der Nähe von Landsberg am Lech. 2001 erschien dann ›Ratten und Römer‹, eine Folge von ›Schröder erzählt‹, in der wir über dieses ›bayerische Argentinien‹ berichten.

Aus Anlaß des Erscheinens von ›Er stand in Hitlers Testament‹ über Karl-Otto Saur, den Planer des Projekts ›Ringeltaube‹, bringen wir unsere Landsberg-Erzählungen in Fortsetzungen.

Uns so geht es weiter:

Wie kam es zu diesem Aufstand? Um das DP-Lager hatten sich im Landkreis neun Kibbuzim gegründet. Hier wurden Jugendliche ausgebildet, bis sie nach Palästina gehen durften, denn es galten die limitierten Einwanderungsregularien der Briten. So gab es in Dießen am Ammersee, in dem aufgelassenen ›Gasthof Finster‹, eine Töpferfachschule, fünfzig junge Leute lebten in diesem Kibbuz. Weil sich seit einigen Nächten Dorfbuben bei dem Gasthof herumgetrieben hatten, fühlten sich die Juden bedroht. Und die Kibbuzleitung verstärkte die Wachtposten für die Nacht, denn der 27. April 1946 war ein besonderer Tag: Genau vor einem Jahr hatten die Amerikaner die KZ-Häftlinge in Kaufering und Landsberg befreit. Zunächst verlief die Sonntagnacht ohne weitere Vorkommnisse; als dann die siebzehnjährigen Wachtposten Mordechaj Rain und Oszer Blosztein abgelöst werden sollten, waren beide verschwunden. Amerikanische MP und deutsche Hilfspolizei suchten sie und bildeten eine Sonderkommission, fanden aber keine Spur von ihnen. Erst später erinnerte sich der Bahnhofsvorsteher von Riederau am Ammersee, zwei Jungen gesehen zu haben, auf die die Beschreibung paßte. Vermutlich hatten die beiden Burschen einfach keine Lust mehr, die zionistische Töpferscheibe zu drehen, und waren in die große Welt nach München ausgerissen.

Eine solche Möglichkeit zogen die Kibbuzniks in Dießen gar nicht in Betracht, sie glaubten an eine Entführung, und noch andere Gerüchte und Greuelnachrichten hatten das DP-Camp in Landsberg erreicht: »Mit Maschinenpistolen bewaffnete Deutsche haben den Kibbuz Dror überfallen, sechs Kinder entführt und sechs Kibbuzniks getötet.« Empörte Juden sammelten sich morgens vor dem Haupttor des Lagers, dann zogen sie in Trupps durch die Straßen, beschimpften und schlugen Passanten, einige stachen auch mit Messern zu. Neunzehn Deutsche wurden durch Steinwürfe und Messerstiche verletzt. Die Aufrührer verprügelten einen Busfahrer und steckten seinen leeren Bus in Brand. Außerdem wurden von einem Milchauto fünf Milchkannen gestohlen. Die Militärpolizei nahm drei Aufwiegler fest, die aufgebrachte Menge beschimpfte sie als »amerikanische SS«, »Gestapo« und »SS-Schweine«. Daraufhin ließ die MP die drei Verhafteten frei, verhängte aber den Ausnahmezustand über das Lager und den gesamten Stadtbereich Landsberg – der jüdische Aufstand war niedergeschlagen. Zwanzig Juden wurden bald darauf vom US-Militärgericht verurteilt: Sechs Angeklagte bekamen jeweils zwei Jahre, zwölf ein Jahr und einer drei Monate Gefängnis, nur ein Angeklagter wurde freigesprochen.

In die Stadtchronik von Landsberg ging die Geschichte vom jüdischen Aufstand als »Greuel am Weißen Sonntag« ein. 1993, also genau 47 Jahre später, stand im ›Landsberger Tagblatt‹ unter dem Foto des ausgebrannten Stadtbusses die Greuelnachricht: »Angezündet wurde am 28. April 1946 vor der Saarburgkaserne dieser mit Kommunionkindern besetzte Bus von Insassen des jüdischen DP-Lagers.« Weder im Polizeibericht noch in der Presse des Jahres 1946 finden sich Hinweise darauf, daß Kommunionkinder im Bus saßen. Er war laut Aussage des Fahrers leer.

Da lebten wir nun in dieser schönen Gegend am Lech, in der uns das Grauen ansprang, wenn wir nur einen Stein umdrehten. Das kannst du nicht wegzappen wie eine Fernsehsendung. Du sitzt im Biergarten, säufst dir fröhlich einen an, am nächsten Tag mußt du dir klarmachen, daß nebenan vor fünfzig Jahren Menschen verreckten. Wir begannen also, nach Autorenart Dossiers anzulegen, um die gefundenen Fakten und Materialien zunächst einmal zu ordnen. Eine Weile spielten wir sogar mit dem Gedanken, dieses Panorama deutscher Geschichte, das sich hier auf einen kleinen Raum fokussierte, in unseren Erzählungen ausführlich abzuarbeiten. Doch bald mußten wir einsehen, daß Landsberg als Probebühne, angefangen mit Hitlers Festungshaft über das ›Ringeltaube‹-Projekt, die Rotjacken und die Wirtschaftskapitäne im Kriegsverbrechergefängnis, die Wlassow-Truppen, die Besatzungszeit mit »three men« bis zu den DP-Lagern mit dem Ausblick auf die Gründung des Staates Israel, ein anderes Konzept erfordert hätte, zum Beispiel die Erfindung von Parallelbiographien. Wir hatten uns aber nun mal vorgenommen, ›Schröder erzählt‹ als Mentalitätsgeschichte der Bundesrepublik am autobiographischen Gerüst entlangranken zu lassen und dabei blieb es.

(BK / JS)

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