vonSchröder & Kalender 28.12.2007

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in schwach nordöstlicher Richtung.

Die Zigarre an Silvester war sozusagen unsere letzte Zigarette. Wir blieben bei dem Vorsatz, im neuen Jahr nicht mehr zu rauchen. Das war am ersten Tag noch kein Problem, wir hatten sowieso einen dicken Kopf, pennten bis Mittag, aber dann begann der Entzug, fürchterlich! Wir unterhielten uns ständig über die Raucherei, waren gereizt, schlecht gelaunt. Zudem fing Monsieur Guy an, uns zu nerven, er schickte plötzlich Boten ins Hotel, wo wir denn blieben. Deshalb besuchten wir ihn, um ihm zu sagen, daß wir nicht mehr zum Reiten kämen. In seinem Garten trafen wir einen deutschen Architekten, der Häuser in der Provence baute, und seinen Freund; die beiden inhalierten genußvoll – also ganz normal – ihre Marlboros. »Diese Raucher eben haben mich richtig verrückt gemacht«, sagte Barbara auf der Rückfahrt ins Hotel, »als die so gierig an ihren Lullen zogen, hatte ich eine Halluzination. Plötzlich wurde das Gesicht des Architekten zu einer riesigen Zigarette, die aus seinem Oberkörper herauswuchs.« So weit ging das mit den Entzugsphantasien.

Die letzte Urlaubswoche war also nicht angenehm, dazu kam eine sibirische Kälte mit Glatteis und Schnee. Die Franzosen fuhren wie die Idioten weiter auf ihren Sommerreifen herum, schleuderten und dotzten sich Beulen in ihre Karren. In Ländern, in denen es selten friert, fahren die Leute eben so, als ob es das Glatteis nicht gäbe. Unser Hotelier hatte einen Gipsfuß und sogar sein Beifahrer, der Hund mit der Ockerschnauze, trug einen Vorderlauf in Gips. Einen anderen Hund hätten wir wegen der Glätte fast überfahren, ich konnte ihm gerade noch ausweichen. Es war ein junger braungeschimmelter Pointer, eine Art Deutsch-Kurzhaar, der schnürte ungerührt mit der Nase auf der Fährte über die vereiste Fahrbahn. Ich bremste auf dem Bankett und wollte den Wagen gerade wieder auf die Straße lenken, da nahte die dazugehörige Jagdgesellschaft, zwei Frauen, elegant gekleidet, auch ihre Männer in teuren Jagdklamotten. »Der Köter gehört sicher zu denen, der ist ihnen weggelaufen«, sagte Barbara. Es war nicht unsere letzte Begegnung mit dem Tier.

Aber erst mal erwischte mich eine schwere Erkältung, mit vierzig Grad Fieber lag ich im Bett. Barbara machte mir kalte Wadenwickel und brachte mir Kraftbrühe. Nach zwei Tagen war die Krankheit wie weggeblasen, ich fühlte mich nur noch schwach. Da mußte Barbara bereits ihren Koffer packen; weil sie ja gerade erst die neue Stelle bei Zweitausendeins angetreten hatte, konnte sie nicht länger Urlaub nehmen. Ich wollte aber noch eine Woche bleiben, daher war geplant, daß sie von Avignon mit dem Zug nach Frankfurt zurückfährt. Gerade war ihr Koffer im Wagen verstaut, ich saß matt auf dem Beifahrersitz, sie ging auf das Hotel zu, um den Zimmerschlüssel abzugeben, da öffnete sich die Tür des ›Résidence des Ocres‹ einen Spalt weit, und mit einem Tritt – man sah nur den Fuß, wie im Comic – wurde ein Pointer herausbefördert. Unverkennbar der braungeschimmelte Kamerad, der mir vor ein paar Tagen fast ins Auto gelaufen war. Der Hund wendete nur kurz den Kopf, sah Barbara auf sich zukommen und sprang ihr aus dem Stand aus zwei Metern Entfernung in die Arme. Sie konnte gar nicht anders als ihn auffangen und halten, dann setzte sie ihn ab. Bevor sie ins Auto einstieg, tätschelte sie noch mal seinen Kopf. Der Hund trottete traurig mit eingeklemmtem kupiertem Schwanz und hängenden Ohren davon.

Während der Fahrt sprachen wir über den formidablen Sprung, Barbara machte sich Vorwürfe, ein Tier, das sie so eindeutig als Gefährtin erwählte, weggestoßen zu haben. Unter solchen sentimentalen Reden erreichten wir Avignon. Bis zur Abfahrt des Zuges blieb uns noch etwas Zeit, wir wollten schnell etwas essen und gerieten im Bahnhofsviertel in ein Touristenrestaurant, Typ zwei bis zwölf Gänge. Wir bestellten drei, jeder einzelne ein Graus: die Suppe Spülwasser, und so ging’s weiter! Wenn die Franzosen schlecht kochen, dann machen sie es konsequent, und der Fraß ist schlimmer als sonst irgendwo auf der Welt. Als Amusegueule fungierte eine böse Kellnerin, ein alter giftiger Transvestit mit verschobener Perücke und schwarzem Lederminirock, darunter knotige Knie an dürren Beinen. Das war zuviel für mich, mein Kreislauf brach zusammen, ich bekam Panik. Barbara erzählt mir noch heute, ich hätte wie ein Albinoleopard ausgesehen: käseweißes Gesicht mit roten Flecken. Eben ein veritabler Kollaps, kein Wunder nach dem hohen Fieber jetzt die Schwäche. Jedenfalls erschien mir diese unangenehme, aber harmlose Fellini-Schabracke als bedrohlicher Dämon. Mit letzter Kraft sagte ich zu Barbara: »Nur raus hier! Bring mich schnell zurück ins Hotel! Du kannst mich nicht allein lassen, ich bin krank! Morgen fahren wir gemeinsam mit dem Wagen zurück.«

Auf halber Strecke nach Roussillon stabilisierte sich mein Kreislauf. Vielleicht auch, weil uns klargeworden war: Nichtrauchen ist nicht gesund für uns. Deshalb wollten wir in der ›Bar de la Mairie‹ noch Zigaretten holen. Kurz vor dem Ziel mußte Barbara scharf bremsen, abermals huschte dieser braune Hund über die Straße und verschwand hinter der Böschung. Sie hielt an, kraxelte ihm den Hang hinunter nach, unter der Steinbrücke hatte er sich zusammengekauert, zitterte, lief aber nicht weg. Sie hob ihn hoch – das Biest wog immerhin sechzehn Kilo, also winzig war der nicht – und trug ihn zum Auto. »Was willst du mit dem? Wir können keinen Hund gebrauchen! Wir fahren morgen nach Frankfurt«, sagte ich. »Der findet doch seinen Besitzer nicht mehr. Seit drei Tagen läuft er schon allein hier rum!« »Aber morgen bringen wir ihn in ein Tierheim.« »Ja sicher, doch jetzt können wir den nicht rumirren lassen. Einer muß sich um ihn kümmern!« Sie hielt ihn fest in den Armen, und während dieses Disputs zitterte das Aas noch heftiger, er war halt ein Schauspieler. Ich gab es auf, war ja immer noch ziemlich geschwächt, startete den Wagen, Barbara saß mit dem Tier auf dem Schoß neben mir. Da zitterte der Hund schon nicht mehr, sondern schnaufte nur noch »chmm, chmm, chmm« – seine Laute der Zufriedenheit nach längerer Unbill, wie wir später lernen sollten.

Weil Hunde im Hotel verboten waren, das stand überall deutlich angeschrieben, denn die Wirtin besaß doch diesen ekligen weißen Pudel – noch nicht mal der Ockerhund ihres Mannes durfte rein –, schmuggelte Barbara das große Tier unter dem Mantel versteckt ins Zimmer. Dann baute sie ihm aus Kissen und Wolldecken ein Lager neben unserem Bett. »Wunderbar«, sagte ich, »da schläft er sicher gut.« Kaum waren wir eingeduselt, wupp, sprang der Kerl aufs Bett, legte sich ans Fußende. Natürlich schmiß ich ihn raus, aber er gab keine Ruhe, kam immer wieder. »Laß ihn doch«, sagte Barbara nach dem vierten Versuch. »Nein! Ich will nicht mit einem Köter im Bett schlafen!« »Mein Gott, laß ihn doch am Fußende liegen, morgen ist er im Tierheim!« Und kaum durfte er dort schlafen, reichte ihm auch das nicht mehr. Er kroch unter die Decke, legte sich dann auf den Rücken und robbte allmählich nach oben, immer ein Stückchen weiter, bis er mit seiner feuchten Nase zwischen unseren Köpfen lag – wie im Rotkäppchen-Märchen der Wolf, nur eben mit Schlappohren. Barbara lachte, streichelte ihn und fand ihn süß, er schmatzte zufrieden. Ich war entsetzt, aber auch todmüde nach dem Kreislaufkollaps, dachte mir: Scheiß was drauf, morgen gehe ich zur Mairie.

Das wollte ich auch, aber das Gemeindeamt war geschlossen. Ich fragte in der Bar: »Wissen Sie vielleicht, wem der braune Jagdhund gehört?« »Aaaa!« sagte der Patron, »ce petit braque marron!« Nun war das zwar keine Bracke, sondern ein Hühnerhund, aber er hatte seinen Namen weg, denn ›marron‹ heißt kastanienbraun und in zweiter Bedeutung ›entlaufen‹. »Nach dem hat bisher keiner gesucht«, meinte der Patron, wenn er mir gefalle, solle ich ihn doch behalten, der streune schon seit ein paar Tagen hier herum. Unverrichteter Dinge ging ich zurück ins Hotel, da saß der entlaufene Hund einträchtig mit Barbara im Bett. Marron guckte mich an wie einen Störenfried, ahnte wohl, daß ich versuchen würde, ihn loszuwerden. Barbara freute sich über meinen Bericht, denn sie wollte ihn sowieso nicht mehr hergeben. »Guck ihn dir doch mal an«, sagte ich zu ihr, »das ist ein wertvolles Tier! Das sieht man doch, der kostet mindestens zweitausend Mark. Was meinst du, was das für Scherereien geben kann, wenn wir den einfach mitnehmen! Außerdem habe ich zu Hause schon einen Hund.« Darauf erwiderte Barbara: »Kein Problem wegen Chico, ich nehme Marron einfach mit zu Zweitausendeins.«

Entschlossen griff ich zum Hörer: »Ich werde jetzt die Gendarmerie anrufen.« Die beschieden mich: »Ein Hund?! Na und?! Behalten Sie ihn. Sie können ihn uns auch bringen, wir geben ihn ins Tierheim, aber wenn sich dort keiner meldet, wird er sowieso getötet.« Ich bezweifele, ob das im Lande der Tierschützerin Brigitte Bardot stimmt. Vermutlich hatte der Gendarm bloß keine Lust, ein Protokoll aufzunehmen, denn er wiederholte: »Wenn er Ihnen gefällt, dann nehmen Sie ihn mit nach Deutschland.« »Aber das kann man doch nicht machen!« »Wieso nicht?!« fragte er zurück. Alle schienen sich verschworen zu haben, alle wollten, daß wir diesen Wegläufer behalten – ich selbst natürlich auch, hatte aber diesen Hund nicht einfach stehlen wollen und, um mein Gewissen zu beruhigen, die Behörde eingeschaltet. Kurz, es ist ja klar, worauf die Geschichte hinausläuft: Wir behielten Marron, obwohl er in seinem Leben jeden zweiten Tag weglief, also rund zweitausendfünfhundertmal – stundenlang. Er war auch nicht schußfest, das erfuhren wir allerdings erst später. So betrachtet, war dieser Streuner für einen Jäger ein Scheißhund, und wahrscheinlich haben sich die Vorbesitzer gedacht: Für die Töle ist jede Kugel zu schade. Wir aber liebten Marron und lebten vergnügt mit ihm bis an sein Ende.

(BK / JS)

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