vonSchröder & Kalender 17.01.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nördlicher Richtung.

Dreißig Meter Holz im Jahr: Zunächst mußt du es im Wald finden, wenn du es nicht selbst schlägst. So was verlangt zuweilen einige Kletterarbeit, so kriechst du rum als Mittelgebirgsalpinist auf der Suche nach deinen Holzstapeln, die dir die Waldarbeiter an den unzugänglichsten Stellen hingesetzt haben, die alten Chatten, diese Hunde. Erst als sie wußten, daß wir ihren Kollegen Becker, einen professionellen Rücker, beauftragt hatten, war das geklärt. Herr Becker setzt es dir in den Hof in fünfzehn Meter langer Reihe, zwei Meter hoch. Bald kommt der listige Müller Heinz Möller, für den sich allerdings kein Mühlrad mehr dreht, seine Mühle nebst Landwirtschaft verkaufte er den Anthroposophen, und vom Erlös baute er sich wie ›Hans im Glück‹ ein Einfamilienhaus in Altenschlirf, den Rest schluckte das Finanzamt. Sein Häuschen hat einen kleinen andalusischen Bogen, der klägliche Rest von dreihundert Jahren stolzen, freien Müllerns. Gut, dafür stehen auf seinem alten Anwesen inzwischen Gebäude mit Demeterbögen und monströse kanadische Bulldogs auf zwei Meter hohen, krumeschonenden Ballonrädern. Und Heinz Möller arbeitet jetzt mit der Bandsäge auf seinem Sägetisch hinten am Traktor — klatsch, nach jedem halben Festmeter einen Kringel Staufferfett auf den Tisch, damit der Stamm besser drübergleitet — flutsch! Du stehst dabei im Overall als Knecht, mit Skibrille und Wollmütze vermummt bei vierundzwanzig Grad im Schatten. Über solcher Tätigkeit entsteht schnell eine neue alte Hierarchie. Da magst du dreist Verleger sein und das schönste Haus im Dorf be-sitzen, kaum tuckert der Faun-Traktor und singt die Bandsäge, schon sind die Autoritätskarten neu gemischt. Jetzt ist Möller der Chef, du bist als Holzanreicher und -wegschmeißer sein Hilfsarbeiter. Er legt die Gangart vor — frag nicht nach Sonnenschein! Jedes Holzstück, ob gewachsener Stamm oder gerissen, ist einen Meter lang, hat einen Durchmesser von fünfzehn bis fünfundzwanzig Zentimetern und ist je nach Umfang zwischen dreißig bis fünfzig Kilo schwer. Hopp, hebst du das auf den Sägetisch, Möller schiebt es durch sein Sägeblatt. Die Skibrille brauchst du, weil der Vogelsberger Wind dir das Sägemehl in die Augen pustet, es ätzt gnadenlos, ist ja noch halbfrisches Holz. Jetzt weißt du, warum du mal Skifahrer warst in Bad Kleinkirchheim und es richtig war, die Skibrille aufzuheben.

Es gehörte zu Möllers Akkordarbeitsrhythmus, seinem Stolz, daß die Arbeit innerhalb von vier Stunden fertig sein muß. Also pro Festmeter etwa vierzig Stämme hochwerfen, die jeweils durch zwei Schnitte zerteilt werden, gut dreitausendfünfhundert Klötzer wurden so auf den Wagen geschmissen zur Abfahrt und Stapelung in der Scheune. Das war die Brennholzration für ein Jahr. Möller bekam hundertzwanzig Mark für seine vier Stunden. Wieso ließen wir uns von dem Mann eigentlich derart antreiben? Es hätte doch auch sieben Stunden dauern können, wäre Wurscht gewesen wegen der paar Mark mehr. Aber solche Tätigkeiten haben ihren eigenen mikro-ökonomischen Takt, da gibt es kein Ausklinken. Alle Versuche, »bitte etwas langsamer«, fruchteten nichts, er sägte zehn Minuten moderater, dann zwang er uns wieder seinen Landrhythmus auf.

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1986, bei diesen schweren Hebearbeiten, wurden die Brustschmerzen häufiger, ich setzte öfter aus. Da grinste Möller neugierig-lüstern: »Ah, jetzt macht er schlapp, der Verleger.« Das ärgerte mich, er arbeitete schließlich seit 1981 für uns, fünf Jahre lang hatte ich nicht gemuckt, nach seinem Takt gearbeitet. Ich frage mich, wieso ich überhaupt noch weitermachte, anstatt zu sagen: »Möller, fahr nach Hause, komm morgen wieder. Wir organisieren Leute, die das für uns machen.« Nein, es ging so weiter, da stirbst du eben wirklich wie Gerhard Prinz, der Mercedes-Chef, weil du weiterruderst. Ob du unter Angina-pectoris-Krämpfen Holz hebst oder der Herzinfarkt dich auf deinem Heimruderapparat erwischt, ist egal. Der Mensch ist mehr Maschine, als er zugibt, während des Arbeitens reflektieren funktioniert nicht, so stirbst du halt in den Sielen, wenn du Pech hast.

Danach gab es die traditionelle Mittagstafel, Möller saß in der mit Sägemehl bestäubten blauen Jacke an unserem beschnitzten Eichentisch, einem Relikt aus dem Herrenhaus in Florstadt. Jetzt war ich wieder Chef und thronte vor dem Ficus benjamini an der Kopfseite des Ovals. Es gab die übliche Hülsenfrüchtesuppe, heute waren es rote Bohnen, weich und mehlig, mit Speck und Zwiebeln. Das bittere Lauterbacher Pils wurde dazu reingegurgelt, danach drei, vier alte Elsässer Mirabellenwasser. Meine Mutter holte das Bargeld aus der kleinen grünen gehämmerten Kasse. Möller erzählte seine Geschichten über die Anthroposophen, welchen Bauernhof sie jetzt schon wieder zur ökologischen Eierfarm machen wollen, daß sie pro behindertes Kind dreitausend Mark im Monat kassieren und doch höchstens fünfhundert dafür aufwenden. Sei ja kein Wunder, daß sie deshalb die ganze Gegend aufkaufen könnten. Dann, nach dem vierten Obstwasser, hüpfte er behende auf seinen Traktorsitz und tuckerte vom Hof.

Unter die heiße Dusche! Gehüllt in den Badenmantel, legte ich mich für ein Stündchen ins Bett. Da rollte dieser Schlag heran, langsam. Ich dachte zunächst, es wäre wieder der übliche Krampf, aber es hielt an und überschlug sich. Ich richtete mich panisch im Bett auf, bekam keine Luft mehr — ja doch, jetzt Todesangst —, dann fiel ich zurück, verlor das Bewußtsein. Barbara kam in diesem Augenblick ins Zimmer. Sie sagt, ich hätte auf dem Rücken gelegen und geschnauft, die Kotze sei mir aus dem Mund gequollen. Sie drehte mich auf die Seite, ich kotzte eine Weile konvulsivisch, ohne Bewußtsein, dann kam ich zu mir. Nach einem Tag im Bett ging es wieder.

Das war der erste Infarkt, wie ich heute weiß. Frau Dr. Meissner, die Internistin, beruhigte mich: »Nichts weiter als Überarbeitung!« Damit war ich hochzufrieden. Es gehört in dieses Krankheitsbild, bei einer solchen Lusche zu bleiben, denn Barbara versuchte ständig, mich zu anderen Ärzten zu schicken. Schließlich, als ich kurz darauf einen kleinen Zusammenbruch am Schreibtisch hatte, wurde mir trotz aller Verdrängung klar, daß etwas nicht stimmen konnte mit der Diagnose dieser Dumpfmeisterin. So begab ich mich in Behandlung eines Frankfurter Kardiologen, der erklärte mir: »Die Sache ist sehr ernst.«

(BK / JS)

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kommentare

  • jetzt sind die geifernden deutschen rentner im gespräch….gab`s keinen geifernden schornstein-block-wart in der gottverlassenen räucherecke?holz zerkleinern ist doch die erprobte rentnertätigkeit für abgedankte chefs aller art….euer hilfs holz heizer.

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