vonSchröder & Kalender 30.01.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert schwach in nordöstlicher Richtung.

Morgen werden wir in Stuttgart mit Jürgen Jankowitsch & Andreas Vogel über den März Verlag, das Desktop-Publishing von ›Schröder erzählt‹ und unser Tazblog ›Schröder & Kalender‹ sprechen (mehr dazu in lift-online). Anschließend wird der mit einem Adolf-Grimme-Preis ausgezeichnete Film ›Die MÄRZ Akte‹ gezeigt.

Wir würden uns über Euer Kommen am Donnerstag, den 31. Januar, um 20:00 Uhr in der Stadtbücherei im Max-Bense-Saal freuen. (Ort der Veranstaltung: Wilhelmspalais, Konrad-Adenauer-Straße 2, Stuttgart/Mitte. Eintrittspreis an der Abendkasse 3 / 4 Euro.

***

Aus diesem Anlaß bringen wir hier einen Text, in dem es um eine Veranstaltung in Stuttgart geht, und zwar im Jahre 1969, kurz nach der Gründung des März Verlags:

1. Teil

›Sexfront‹ war noch nicht erschienen, um die Mauern von Stuttgart erzitterten zu lassen, als mich Wendelin Niedlich zu einer Präsentation des neuen Verlages einlud. Ich kannte ihn bisher nur vom Namen her. Nun begegnete ich zum ersten Mal diesem vergrämt, ja verkniffen guckenden Mann, den es aus Berlin nach Stuttgart verschlagen hatte. Er trug eine Schiebermütze, stotterte auf der Bühne herum. Ich hatte schon viele Buchhändler kennengelernt, die keine Bücher mehr lasen, aber so brutal wie bei Wendelin habe ich es noch nie erlebt. Zigmal sprach ich später mit ihm, der hatte kein März-Buch gelesen, aber auch nicht die Werke von Max Bense oder die seiner Schüler, zu deren Kreis Niedlich zählt. Es gibt einen Film über Wendelin, in dem redet er einen derart unfreiwillig dadaistischen Stuß, das ist wirklich ein wirr Strohhaufen.

Ich muß erklären, was ich damit meine: »Wirr Strohhaufen« kommt in der achtzehnten Lektion von ›Chinesisch in 24 Stunden‹ vor: Die Geschichte heißt ›Zehn Eier‹, und die deutsche Übersetzung unter den chinesischen Schriftzeichen lautet: »Klein Bai sein China Volksbefreiungsarmee gewisse Einheit ein Koch. Ein Tag, er fegen Hof, entdecken wirr Strohhaufen in haben sieben Hühnerei. Dies sein wessen Familie Huhn legen Ei? Kochen Gruppenführer und Klein Bai zusammen, fragen Dorf in sehr viel Mensch, auch nicht finden Hühnerei Besitzer. Vorbei drei Tag, Gruppenführer zu alle sagen: ›Wir müssen schnell finden Hühnerei Besitzer.‹ Folgend, alle dann diskutieren anfangen. Halb Tag, Klein Bai schließlich sagen: ›Ich haben eine Methode, nicht wissen wie.‹ Gruppenführer sagen: ›Welch Methode? Schnell reden weiter.‹ Klein Bai sagen: ›Jene Henne gehen gewöhnlich dort, wieder legen Ei sicher noch können gehen. Wenn fangen Huhn, dann können finden Hühnerei Besitzer.‹ Alle alle sagen: ›Dieser Methode gut.‹ Zwei Tag Mittagessen nach, Gruppenführer schicken Klein Bai gehen Strohhaufen Nähe warten. Eine Weile, ein schwarz Henne zu wirr Strohhaufen laufen. Klein Bai laufen hin, fangen Henne, auch aufheben drei Hühnerei. Dann Klein Bai nehmen zehn Hühnerei, tragen schwarz Henne, von Haus zu Haus gehen fragen. Schließlich finden Hühnerei Besitzer, er gerade sein alt arm Bauer Huang Großpapa. Huang Großpapa fest drücken Klein Bai Hand, außerordentlich bewegt sagen: ›Welch gut Soldat! Welch gut Armee!‹«

Wobei ich betonen möchte, daß nur für uns der Strohhaufen wirr ist, für Xiao Bai ist er natürlich geordnet. Aber so mußt du dir Niedlich vorstellen, so denkt und argumentiert er. Ein außerordentliches Phänomen, einer, der nicht liest, was er einkauft, es anschließend hortet und ungern verkauft, ein solches Trüffelschwein ist und dabei seiner Buchhandlung die Aura verschafft hat, eine der besten der Republik zu sein. Denn das ist sie! Eine wunderbare Figur der Literaturvermittlung, ein aktiver Döblinscher Schornsteinfeger, ein Katalysator sui genesis.

Die Schwaben kamen in Scharen, Niedlich hatte einen großen Saal gemietet, und der war tatsächlich voll. Zur Einführung redete also Wendelin Wirres über den März Verlag, auf der Bühne neben ihm standen KD Wolff und ich sowie als Autoren Uve Schmidt, Hermann Nitsch und Augustin Souchy, deren Bücher in Kürze erscheinen sollten. Wir wollten nicht an einem Tisch sitzen wie bei einer langweiligen Podiumsdiskussion, sondern an die Rampe treten und mit dem Publikum diskutieren. Zur Einstimmung sollte Uve ein Kapitel aus seinem geplanten Roman ›Höchstens drei Minuten‹ vorlesen. Doch Uve mit seinen Underbergs im Patronengurt scherte sich nicht um diese Vereinbarung, und obwohl das ›Einmaleins für Zwei‹ streng geheim war, fing er an, aus dem Stellungsbuch zu deklamieren: »In einer Naturgeschichte des neunzehnten Jahrhunderts lesen wir über Balzspiele der Affen: ›Der Gibbon bringt es dahin, daß er die Tonleiter richtig singen kann. Er singt sie immer wieder … in seinem tiefen Urwald.‹ Die äffische Musikalität des Gibbon (den wir – solange man es nicht besser weiß – zu unseren Ahnen rechnen müssen) läßt den Verfasser schließen: ›Was die Tonleiter in des Menschen Hand geworden, wissen wir … die reine Kunst zur Liebe. Die Liebesleiter.‹« Uve ist immer solidarisch, aber wenn er genug Underberg drin hat, hält er sich an keine Verbote. Deswegen ist er so gefürchtet! Weil er unberechenbar ist und manchmal auch im Suff seine Freunde gemein beschimpft.

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Schmidts Lesung war dreifach virtuell: Erstens gab es das Buch offiziell gar nicht, zweitens waren die Zitate darin erfunden, und drittens wollten die Leute es nicht hören. Es war ihnen höchst peinlich, daß bei einer literarischen Veranstaltung jemand Kopulationsstellungen verlas. Diese rigiden Schwaben mit ihren blauen Lippen … ich tu’ dem Stamme unrecht! Es gibt auch große Ficker unter ihnen. Neulich in Marbach, als wir uns die ›Stimulanzien‹-Ausstellung ansahen, kam Friedrich Pfäfflin angeschnurrt, zerrte uns vor ein Exponat, das wir ohne ihn vielleicht nicht entdeckt hätten. Klar, für den Pornokönig sofort die richtige Stelle. Da berichtet Johann Wilhelm Petersen in seinen ›Anecdoten von Schiller‹: »Einen Tabackschnupfer wie Schiller war, wird man nicht leicht finden. … Hatte er bisweilen gerade keinen in seiner Dose, so kitzelte er sich die Nasennerven mit Staub.« Und weiter: »Mehrere seiner Bekannten waren Augenzeugen, daß er, während eines Beischlafs, wobey er brauste und stampfte, nicht weniger als fünfundzwanzig Prisen … geistigen Taback in die Nase nahm.« Weil es der Marbacher Museumsleiter offenbar hintersinnig darauf anlegte, Barbara mit dieser Fundstelle zu pikieren, konterte sie, um den schlechten Ruf der Familie zu wahren: »Na ja, wenigstens hat der Schiller sich dabei Zeit gelassen.«

(Fortsetzung folgt)

(BK / JS)

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kommentare

  • Mit wem hat denn der mutmaßlich verstorbene Dichter Schiller den obern erwähnten Beischlaf ausgeübt?
    War es Goethe?
    Denn steht nicht im Stadtwappen von Weimar der Sinnspruch
    „Goethe spielt Flöte/auf Schiller/sein Piller?“

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