Der Bär flattert in südöstlicher Richtung.
Tagebuch 13. Februar: Lesereise nach Düsseldorf, wieder streikte die BVG, aber der Bus vom S-Bahnhof Jungfernheide zum Flughafen Tegel kam auf die Minute. In der Zeitung stand: »Dieses Mal streikt nur das Büropersonal …« Als alte Syndikalisten kam uns der Gedanke, daß die meisten Leute in der Verwaltung wohl überflüssig sind. Dafür standen wir dann eine Stunde auf dem Rollfeld wegen Nebels in Düsseldorf.
Dort war es ungemütlich kalt. Der Taxifahrer – offenbar ein Mann aus der Levante – machte einen Umweg. »Warum fahren Sie nicht die Graf-Adolf-Straße runter?« fragte Jörg. »Das geht nicht, da stehen jetzt Palmen«, und ungefragt ergänzte der Mann stolz, »die vertragen bis minus 20 Grad.« Sehr vorausschauend, die Düsseldorf Stadtplaner! Dieser Palmengarten ist offenbar ein Vorgriff auf den Klimawandel. Wir kamen auf die Streiks zu sprechen, der Taxifahrer war wütend über Finanzsenator Sarrazins Hartz-IV-Speiseplan – tolle Imagewerbung für Berlin – und über die Ein-Euro-Jobs: »Eh, ich für so einen Lohn arbeite, hacke ich mir lieber beide Hände ab! Aber die Bosse schleppen ihre Millionen ins Ausland.« »Wollen wir eine Revolution machen?« fragte Barbara. »Ich bin dabei!« rief er begeistert, und dann hielt er auch schon vor dem Carat Hotel.
Wir stellten nur schnell den Koffer ab und gingen die paar Schritte zum ›Schiffchen‹, eines der Traditionsgasthäuser in der Altstadt. Natürlich bestellten wir Rheinischen Sauerbraten und Alt. Unser Essen wurde gerade serviert, da setzten sich drei Frauen und ein Mann an den Nebentisch. Die jüngste war eine rundliche Dame mit blitzenden Diamanten an den Wurstfingern, ein Ebenbild von Jörgs Zimmerwirtin Änne Schiffers, bei der er Ende der 50er Jahre wohnte. Offenbar war diese Frau auch ebenso verfressen wie Änne, denn sie plierte zu unseren Tellern mit den üppigen Rindfleischscheiben, Kartoffelklößen, Apfelkompott und Rotkohl. Dann fragte sie Barbara: »What is this?« Sie erklärte es ihr. Jetzt bestellten drei von ihnen beim Köbes, indem sie auf unsere Teller zeigten. Nur eine Frau wollte etwas anderes essen, da gab der Köbes es auf und schickte einen deutschen Kollegen, der stureweg auf spanisch radebrechte, obwohl die vier Gäste mit ihm englisch sprachen. Wir hatten inzwischen herausgehört, daß sie miteinander griechisch sprachen und halfen mit Englisch aus, obwohl wir ein wenig Portiersgriechisch sprechen. Wir wollten nämlich nach dem Essen am Rhein spazierengehen und das wäre mit entaxi und kalitera etsi und mila pio siga parakalo wohl ausgefallen.
Die Griechen ließen es sich schmecken, wir spazierten zum Rhein. Es war ungemütlich kalt und noch leicht neblig, deshalb gingen wir bald hoch zum Burgplatz. Als wir auf der Höhe des Schloßturms waren, knallte neben uns in etwa vier Meter Entfernung ein kinderkopfgroßer Steinbrocken aufs Pflaster, gleich darauf prasselten ein paar faustgroße Brocken hinterher, sie hatten sich aus dem herauskragenden Dachgesims gelöst.
Wir standen da wie angewurzelt und sagten beide das, was man in einem solchen Fall eben sagt: »Was wäre gewesen wenn …« Na, jedenfalls hätten wir dann kein Tagebuch mehr schreiben können. Barbara zückte die Kamera, da rief uns ein Punk zu, die Gruppe hatte unten am Rhein rumgegrölt und gesoffen: »Mer hand d’ Bullen schon anjerufe.« Ein Mädchen sammelte zwei Steinbrocken auf und trug sie ins Schloßmuseum, offenbar um den Schaden zu melden. Wir wußten es doch immer schon, die Punks sind die Pfadfinder des 21. Jahrhunderts.
Am nächsten Tag stand auf den Pappschildern der Absperrungen: »Liebe Besucherinnen und Besucher, das Schiffartsmuseum und das Café in der Laterne des Schlossturms müssen bis auf Weiteres wegen dringender Reparaturarbeiten geschlossen bleiben. Wir bitten um Ihr Verständnis. Ihr Museumsteam.«
(BK / JS)