vonSchröder & Kalender 22.04.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

Nach dem Kriegsende gab es am Bismarckplatz noch die Kneipe ›Sturmeck‹, und der Sohn des Wirts, Kalle Backs, war einer der wenigen katholischen Jungs in der Gegend, etwa zwölf Jahre alt. Von ihm lernte ich, wie gefährlich Literatur sein kann. Ich war in die zweite Klasse gekommen, obwohl ich in den Nachkriegswirren von der ersten Klasse nur drei Monate gemacht hatte. Die Schule war erst in der Bismarckstraße, in der Turnhalle hatte man die Leichenhalle untergebracht, es roch süßlich und nach Lysol.

Irgendwo schnappte ich einen Spruch auf, der mir gut gefiel, weil er sich reimte und mir Publikum verschaffte: »Katholiken müssen ficken, wennse in die Bibel kieken.« Ich hielt ficken, ich kann’s nicht ändern, es war so, für eine angenehme Form von Kotzen, das Kind ist eben polymorph pervers. Diesen Spruch posaunte ich auf dem Schulweg heraus, immer wieder. Die anderen Kinder sprangen »hehehe – hahaha« um mich herum. Ich liebte es eben schon als Kind, Aufsehen zu erregen, da kommt Kalle Backs auf mich zu und klatscht mir unvermittelt zwei Backpfeifen. Ich, mit dröhnendem Kopf heulend und den Spuren der zwei Backpfeifen im Gesicht, fand das ungerecht, daß der blöde Hund mich geschlagen hatte wegen eines Spruchs, den nicht schlimm fand, bin zu meiner Mutter gerannt in die Friedrich-List-Schule, in deren Hauptgebäude ein Notlazarett arbeitete.

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Das ehemalige Rathaus Niederschönhausen
(1928 Umbau zum Reform-Realgymnasium / heute Friedrich-List-Schule)

Hier pflegte man russische und deutsche Soldaten gemeinsam, bis die Russen dann abtransportiert wurden, trotz ihrer schweren Verwundungen. Ein fürchterliches Gestöhne und Geschrei begleitete diesen Abtransport. Zusammen mit Russinnen, die als ›Ostarbeiterinnen‹ für die Nazis schuften mußten, wurden sie auf Lastwagen verladen. Die Frauen weinten, wollten nicht weg, weil sie Schlimmeres befürchteten. Es hat sich als berechtigt herausgestellt, denn Stalin ließ bekanntlich alle Russen, die in Deutschland überlebt hatten, nach Sibirien transportieren. Kollaborateure, Ostarbeiter, Kriegsgefangene in die Zwangsarbeitslager, es ist nicht gut für die Entwicklung des Sozialismus zu wissen, daß es die Wasserspülung gibt. Ich sah die lange Schlage der olivbraunen Lastwagen von weitem, das Laufen der Soldaten mit den Bahren, auf denen die Verwundeten schrien, die Aufregung der Menschen in den weißen Kitteln, der Ärzte und Krankenschwestern. Panik erfaßte mich, sie würden vielleicht auch meine Mutter mitnehmen, aber mich durften sie nicht kriegen. Ich schlich mich an den rauchenden Posten vorbei, die locker die Straße abgesperrt hatten. Eine Gruppe junger Frauen stand abseits an der Schulmauer, die Tränen liefen ihnen über die Gesichter. Ein Mädchen von vielleicht achtzehn Jahren mit dicken blonden Haaren unter dem Kopftuch sagte: »Hab keine Angst, kleiner Junge, wir kommen weg, du bleibst hier.« Dann faßte sie in die Tasche ihrer braunen Kittelschürze, gab mir eine kleine Handvoll Münzen, Groschen und Fünfziger: »Das brauche ich nicht mehr.« Ich sah meine Mutter und lief zu ihr hin.

In dieses Notlazarett für deutsche und russische Verwundete, in dem 1946 meine Mutter als Krankenschwester arbeitete, ging ich jeden Mittag, kriegte dort etwas zu essen. Ich kam mit einem Henkelmann, um noch etwas mitzunehmen, zuerst mal aber wurde mit den Ärzten und den Schwestern in einer Kantine gegessen, es gab manchmal sogar Vanillepudding mit Himbeersoße, eine wunderbare Delikatesse. Ja, ich mußte sowieso ins Krankenhaus, nach den Backpfeifen von Kalle Backs stand ich flennend auf dem Flur. Meine Mutter kam aus einem Krankenzimmer: »Was heulst du denn?« In diesem Augenblick stakste mit steifem Kreuz Major Schnell heran, ein Freund unserer Familie, ehemaliger Generalstabsmajor, den sie degradiert und zur Strafe nach Narvik versetzt hatten, weil er sich mit einem Generalleutnant anlegte, der irgendwie seine Würde verletzt hatte. Meine Mutter erzählte häufig, was für ein mutiger Mann dieser Major Schnell sei, der »Herr General, ich bin Major im Generalstab, aber nicht Ihr Stabsnarr« gesagt hatte. Da man wußte, daß er nicht ganz seefest war, hatten sie ihn nach Narvik an den nördlichen Polarkreis versetzt, dort mußte er auch zuweilen mit Patrouillenbooten rausfahren.

Dieser Major Schnell trat im Lazarett auf uns zu, hatte auch einen Henkelmann, denn er holte sich als Freund der Familie Schröder ab und zu einen Schlag Suppe oder Vanillepudding. Er beugte sich väterlich zu mir herunter, tätschelte freundlich meinen blonden Scheitel: »Was weinst du denn? Was ist denn geschehen?« »Kalle Backs hat mir eine geklebt.« »Und was hast du gemacht?« »Ich hab doch nur gesagt: ›Katholiken müssen ficken, wennse in die Bibel kieken‹.« Patsch, bong, hatte ich zwei neue Bomben von dem blöden Major Schnell gefangen. Daraufhin trieb meine Mutter Major Schnell hysterisch aus dem Krankenhaus und rief ihm nach: »Das ist ja unverschämt, verschwinden Sie, machen Sie das ja nicht noch mal! Sie schlagen mein Kind nicht! Sie kriegen auch keine Suppe mehr!« Seitdem haben wir von Major Schnell nie wieder etwas gehört. Doch, einmal sah ich ihn im Vorbeifahren mit der S-Bahn, da stand er steif und abgehärmt auf dem gegenüberliegenden Bahnsteig von Gesundbrunnen.

( BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2008/04/22/ein-spruch-mit-folgen/

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kommentare

  • Major Schnell reagiert wie alle “Nazis” und andere Autoritären, lieber Jörg,

    erstmal ein paar “Untermenschen” gekillt, ist Gewaltanwendung gegen ein Kind kein Problem mehr… bei anderen klappt es auch ohne vorher zu üben.

    Und da schwafelt Götz Aly was von “Mein Kampf 1968” und setzt das mit einer “Generation 33” gleich. Wovon redet der?

    Grüße

  • Sehr schöne Geschichte, Jörg!
    Von Deinen Kindheitserinnerungen aus Niederschönhausen hast Du früher noch nicht so viel erzählt, oder? Macht großen Spaß zu lesen.
    Bin neulich mal an “Deinem” alten “Stern Kino” vorbeigefahren. Unglaublich, dass das noch existiert!
    Herzliche Grüße, HP

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