vonSchröder & Kalender 12.09.2008

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in nordöstlicher Richtung.

»Immer will jemand bei uns klingeln!« Von solchen Ansinnen handelt unsere heutige Kolumne in der jungen Welt:

So geht es Tag ein, Tag aus, immer will jemand bei uns klingeln. Bei einem Rechtsanwalt kannst du doch auch nicht klingeln, ohne daß die Kasse klingelt. Und bei einem Arzt mußt du die Versicherungskarte zücken und erst einmal zehn Euro Praxisgebühr berappen. Aber uns will alle Welt als kostenlose Auskunfts- und Vermittlungsagentur benutzen. Das ist der Fluch, wenn du mal Verleger warst. Gar nicht zu reden von den ständigen Fragereien der Studenten, Magistranden, Doktoranden und Professoren: »Ich brauche für meine Arbeit über Bernward Vesper« oder über R.D. Brinkmann oder über Valerie Solanas oder ›Die Erziehung zum Ungehorsam‹ … »sämtliche Informationen. Sie haben doch das Buch veröffentlicht. Bitte schicken Sie mir alles per Mail, ich brauche es bis morgen für meine Magisterarbeit.« Seit Jahren arbeiten wir in diesem Stil als Literaturauskunftei ohne den Status der Gemeinnützigkeit. Du meinst, den brauchen wir nicht, weil wir ohnehin für diese Tätigkeiten kein Geld nehmen können? Natürlich gibt es auch Anfragen nach der Genehmigung, das März-Archiv im Deutschen Literaturarchiv einsehen zu können, das ist dann der normale Weg. Aber es gibt auch Studenten, für die wir dieses Material auch noch kommentieren sollen, und wage nur ja nicht bei solchen Anfragen zu antworten: »Keine Zeit!« Dann muß man sich anhören: »Sie haben schließlich den Autor verlegt, da haben Sie doch auch eine Verantwortung …«

Hinzu kommen die samt und sonders sinnlosen Versuchungen im Erwähnungsgeschäft, denen man manchmal blöderweise sogar nachgibt. Die letzte Anfrage dieser Art kam von ›Park Avenue‹, ein Personality-Magazin bei Gruner und Jahr. Ein Herr Werkmeister rief an und erklärte: »Wir planen eine umfangreiche Fotodokumentation über die Schlüsselfiguren der Achtundsechziger und hätten Sie gern dabei. Wir haben den Kunstfotografen Olaf Martens unter Vertrag, der Sie dann an ausgefallenen, speziellen Locations fotografiert.« Ich fragte: »Und wer wird mich interviewen?« »Wir machen nur Fotos, es soll wenig Text geben. Frau Lehnen stellt Ihnen einige Fragen, wie Sie persönlich die Zeit damals bewerten. Außerdem kommt noch unser Assistent, er bringt etwas Garderobe mit.« Ich unterbrach ihn: »Wieso Garderobe?« »Das ist so üblich«, entgegnet der Mann, schon etwas genervt, »Sie kennen das doch: ›Jörg Schröder trägt Budapester Schuhe von Bally, ein Hemd von Van Laack, Gürtel von Hechter und ein Jackett von Joop!‹«

Die Dreistigkeit solcher Medienfittis ist bodenlos. Sie merken es noch nicht einmal, denen ist die Zumutung nicht bewußt, einen Verleger oder Schriftsteller wie einen Dressman mit Kledage behängen und fotografieren zu wollen. Ja, und was meinst du, wie pikiert der Herr war, als ich zu ihm sagte: »Das mache ich nicht mit!« Es gibt in Kenneth Patchens ›Schläfer erwacht‹ einen schönen Satz: »Die Kleider lachen hohl.« Doch für solche Leute von der ›Park Avenue‹ sind eben die Kleider die Hauptsache und nicht, wer drinsteckt.

Wäre ich Feuilletonchef der ›Frankfurter Allgemeinen‹, würde ich solche Ansinnen die »neue Dreistigkeit« nennen und dann als Sau durchs Dorf treiben. Neulich hat Frank Schirrmacher mit Hirntraining wochenlang die Seiten gefüllt. Jetzt braucht er dringend ein neues Thema. Er sollte sich auf das Phänomen »dreiste Manieren« kapriziert, also in Höflichkeit verpackte Unverschämtheiten, von denen wird man ja meistens überrumpelt.

Fast wäre uns das passiert, als wir mit Berthold Seliger die Lulu-Adaption von Christian von Borries besuchten, Berthold ist mit dem Komponisten befreundet. Nach der Aufführung gingen wir mit ihm in die Kantine der Volksbühne. Hier war es voll, alle standen rum, tranken und redeten. Nur wir drei setzten uns an einen runden Tisch, neben uns diskutierte eine Gruppe von jungen Leuten. Als einige zu rauchen anfingen, kam eine der Frauen an unseren Tisch und fragte höflich, aber keinen Widerspruch duldend: »Macht es Ihnen etwas aus, wenn ich das Fenster öffne?« Wir hatten gerade unsere Mäntel am Fenstergriff aufgehängt, der Rucksack des Komponisten stand auch auf dem Fensterbrett. Sie wollte also, daß wir die Klamotten runternehmen, damit sie das Fenster direkt hinter uns aufreißen kann, und das im Dezember, es war saukalt. Ich zögerte drei Sekunden, die arrogante Tante war bereits auf dem Weg zum Fenster, als ich freundlich, aber deutlich antwortete: »Nein, das möchten wir nicht.« Sie hatte den Fensterknauf schon in der Hand und ging verärgert zurück zu ihrer Gruppe. Nach meiner Abfuhr fixierte mich diese rücksichtslose Person eine Weile in der Manier »wenn Blicke töten könnten«. Offenbar empfand sie meine Reaktion als extreme Unverfrorenheit. Schließlich hatte sie doch nur höflich gefragt, ob sie uns etwas verkühlen dürfe.

(BK / JS)

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