vonSchröder & Kalender 08.02.2009

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

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›Schläfer erwacht‹ wird von Kennern der angloamerikanischen Literatur der gleiche Rang beigemessen wie der ›Ulysses‹ von James Joyce. Tatsächlich hat Kenneth Patchen unter Einbeziehung aller stilistischen und formalen Anklänge von Mallarmé über Proust, Joyce und Musil bis hin zur konkreten Poesie der Gegenwart die artistische Inhaltslosigkeit der zeitgenössischen Dichtung überschritten – das Extra-Artistische wird zur gestalteten Aussage des totalen Kunstwerkes mit gesellschaftlicher Funktion.

Kenneth Patchen ›Schläfer erwacht‹. Aus dem Amerikanischen von Marc Adrian. Typographische Adaption für die deutsche Ausgabe: Jörg Schröder. 436 Seiten, März Verlag 1983 (nur noch antiquarisch erhältlich).
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›Schläfer erwacht‹ ist ein Kampf des einzelnen gegen Denkschemen, auch gegen kollektive Erlösung, sei es durch Induktion des Denkens von oben oder außen, sei es durch Repetition vorhandener oder durch andere erzeugte Erlösungsrezepte. Die totale Selbstverantwortlichkeit jeder Handlung, ja das Fragwürdige des Handelns überhaupt, welches ja fast unvermeidlich ein Handeln für andere wird, die simple Frage nach dem persönlichen Glück – das alles ist für Patchen nicht Anlaß zur Fabel oder zur artistischen Selbstreflexion, sondern gedachte Transzendenz der Person, gestaltet mit den Mitteln, welche die poetischen Experimente der letzten fünfzig Jahre erbracht haben – im besten Sinne also gesellschaftliche Funktion der Kunst, Propaganda für einen Komplex von Idee und Erfahrung, an deren Berechtigung der Dichter keinen Moment zweifelt.

Kenneth Patchen wurde 1911 in Niles, Ohio, geboren. Seine Armut zwang ihn, das Studium abzubrechen und verschiedene Arbeiten anzunehmen, unter anderem als Ghostwriter in Hollywood. Seit 1937 war er schwer leidend, seine Bücher schrieb er unter Schmerzen; am 2. Janaur 1972 starb Kenneth Patchen in Palo Alto, Kalifornien.

›Schläfer erwacht‹ erschien 1946 und ist Kenneth Patchens Hauptwerk. Ein Buch von außergewöhnlich imaginativer Erfindungskraft. Man kann es als eine »Roman-Phantasie« beschreiben, eine bahnbrechende Prosadichtung, die während des Entstehens ihre eigene vielgestaltige Form entwickelte. Patchen vereinte Darstellung mit Traumvisionen, surreale Elemente mit Satire, Lyrik mit grundsätzlichen Statements und betrat den damals völlig unberührten Bereich der visuellen Wortstrukturen zwanzig Jahre bevor die konkrete Poesie international populär wurde.

Wenn finanzstarke Verlage wie Luchterhand oder Suhrkamp sich den Luxus einer deutschen ›Schläfer erwacht‹-Ausgabe nicht leisten wollten, wieso dann der März Verlag? Na, weil 1982 die Übersetzung von Marc Adrian bei mir im Archiv lag! Sie stammte noch aus den glorreichen Zeiten, als die Olympia-Press-Gewinne den März Verlag alimentierten und ich mir solche teuren Scherze leisten konnte. Die nicht minder aufwendige typographische Adaption war das zweite Kostenproblem. Denn im Englischen laufen die Buchstaben, Sätze und Graphile selbstredend anders als im Deutschen. Und weil eben Kenneth Patchen sich bei der Einrichtung von ›Schläfer erwacht‹ allen typographischen Ausschweifungen, die mit dem Setzkasten möglich sind, hingegeben hatte, mußten diese Graphile nachempfunden werden.

Ein bedächtiger Schriftkünstler hätte an den vierhundertvierzig Seiten wohl ein Jahr gearbeitet und für einen solchen Auftrag zehntausend Euro berechnet. So etwas läßt sich dann gar nicht mehr kalkulieren. Das Buch hätte im Laden fünfundsiebzig Euro kosten müssen, wäre mithin unverkäuflich gewesen. Nun bin ich ja auch Typograph – und meine Arbeit kostete nichts –, also machte ich mich selbst ans Werk und war nach sechs Monaten mit dem Layout fertig. Nach meiner Vorlage setzten die Eheleute Stein für die Druckerei Beltz in Weinheim den Text auf dem Composer. Das waren ausgebildete Setzer, die noch mit dem Winkelhaken gearbeitet und später umgeschult hatten. Kurz, ›Schläfer erwacht‹ war nicht irgendein Manuskript, das man schnell mal hätte runtersetzen können. Zudem wußte ich ja, wir würden damit, trotz der fertigen Übersetzung, keine müde Mark verdienen, aber es würde eines der großen März-Bücher werden. »Ich stehe nicht an zu behaupten«, hatte Helmut Heißenbüttel geschrieben, »hier ist das Meisterwerk, das unserer, der Zeit nach 1945 antwortet, das neue, das unerhörte, das es eben deshalb ist, weil es sich den Kriterien des Meisterwerks gründlicher entzieht als irgendein anderes Buch.«

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(WAVWI NESZÄ ANEIUM bedeutet: WArum Versuchen WIr Nicht ES Zu Ändern ANstatt EInander UMzubringen.)

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(KP /  BK / JS)

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https://blogs.taz.de/schroederkalender/2009/02/08/schlaefer_erwacht/

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kommentare

  • Ist ja gut,
    doch wenn mir einer sagt, es gäbe hierzulande nicht hochvergleichbare Lyrik;
    ich würde sagen, ein armer Wicht, wirklich ein armer Wicht
    und keine Ahnung hat er.
    Liebe Grüße
    Manfred H. Freude

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