vonSchröder & Kalender 11.06.2010

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Seit einem Jahr hatte uns Wolfgang Müller immer wieder von seinem geplanten Buch über die Künstlerin Valeska Gert erzählt. Jetzt ist es im Martin Schmitz Verlag erschienen, und wir sind hin und weg!

Was John Cages Schlüsselwerk ›4’33‹ aus dem Jahr 1952 für die Musik bedeutet, das stellt in seiner sinnlichen Radikalität Valeska Gerts ›Pause‹ für die performativen Künste dar.

Aber bei der Frage nach Bedeutsamkeit hält sich Wolfgang Müller, spiritus rector der ›Genialen Dilettanten‹ und der ›Tödlichen Doris‹ nicht auf. Er fragt auch: »Kann die Bar ein Kunstwerk sein?« und berichtet über die von Valeska Gert konzipierten Lokale als Orte der Umsetzung performativer künstlerischer Konzepte: 1932 ihr Kabarett ›Kohlkopp‹ in Berlin, die New Yorker ›Beggar Bar‹ oder 1946 ›Beggars Barn – Valeska’s Different Food, Different Entertainment‹, das Zürcher ›Café Valeska und ihr Küchenpersonal‹, die West-Berliner ›Hexenküche‹ und schließlich ihren Sylter ›Ziegenstall‹.

Zitat von Valeska Gert über die ›Beggar Bar‹ in New York: »Am nächsten Tag fragte mich ein Schauspieler, ob er bei mir auftreten kann. ›Können Sie kochen?‹ ›Nein.‹ ›Gut‹, sagte ich, ›ich engagiere Sie als Koch.‹

Noch ein Zitat über ›Beggars Barn‹ in Princeton: »Es hatte nur drei Wände, die vierte Wand war das Meer: weiße und grüne Schiffe, graue Möwen waren die Tapete. […] Die Holzwände bemalte ich hellblau. Rosa Glühbirnen warfen einen Himbeerschein. Quer auf die Wände schrieb ich unser Menü in hellgrüner, hellgelber, rosa und lila Farbe. Vom Lumberyard holte ich leere Nageltonnen und bestrich auch sie lila und hellgrün. Das sollten Stühle sein. Tische ließ ich mir von einem portugiesischen Gigolo zusammenbauen, lange, schmale, schlanke Tische, wie Windhunde sahen sie aus. […] auch der Milchmann, der seine Flaschen an den Nachbarbungalows absetzte, machte mir einen Tisch. Ich hatte gut zugesehen, den nächsten zimmerte ich selbst. Zwar sah der Tisch wie ein Känguru aus mit zwei hohen Vorder- und zwei niedrigen Hinterbeinen, aber es war ein Tisch. Die nächsten Tische gelangen mir gut. Als der Portugiese kam, waren alle fertig und sogar angestrichen. Elegant und leicht sahen sie aus, sie schwebten förmlich.«


Opus 1 – Komposition auf ausgeleiertem Klavier. Foto: Suse Byk

Beispiele für Valeska Gerts Vorstellungen von selbstbestimmter Sexualität
finden sich in ihrem Text ›Mein Weg‹ aus dem Jahr 1931, den der Martin Schmitz Verlag dankenswerter Weise dem Text von Wolfgang Müller beigegeben hat. Valeska Gert war bisexuell, hatte in jungen Jahren Liebesverhältnisse mit Männern, später mehr mit Frauen.

Eine Anekdote, die Wolfgang Müller bringt, zeigt die Unbefangenheit und Neugier von Valeska Gert in Bezug auf sexuelle Praxis: »Bei einem ihrer Londoner Auftritte in den 1930er Jahren ›in a dismal little lecture hall of the Kingsway‹ sind auch der Künstler und Filmkritiker Oswell Blakeston und der australische Sexualwissenschaftler Dr. Norman Haire zugegen. Oswald Blakeston erinnert sich 1985 in Briefen an Frank-Manuel Peter, was sie sahen: ›We had the lot, the death postures and orgasms. The surroundings however were pretty depressive. As I had already written about Valeska in films, I went backstage to talk. I found her surrounded by a semi-circle of kneeling men holding out not flowers but masturbating in tribute. Haire was absolutely delighted […]: Yes Valeska’s admirers really did mastubate in the dressing room, bringing her sperm instead of flowers. Norman Haire said something like, How charming!‹ Es sei anzunehmen, so Frank-Manuel Peter, dass sich Valeska Gert über die erotische Verehrung der jungen, vermutlich konservativ erzogenen Männer, köstlich amüsiert hat.«

Haben wir Euch jetzt genug angetörnt auf dieses zugleich ernsthafte wie komische Buch von Wolfgang Müller über Valeska Gert im Martin Schmitz Verlag?

(VG / WM / BK / JS)

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