vonSchröder & Kalender 25.01.2011

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Es ist dunkel, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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Giorno, John: ›Cunt‹. Gedichte. Ausgewählt und mit einer Notiz von Rolf-Eckart John. Aus dem Amerikanischen von Rolf Dieter Brinkmann, Rolf-Eckart John und Ralf-Rainer Rygulla. Originaltitel: ›Cunt‹. 72 Seiten,. Einbandgestaltung: Jörg Schröder mit einem Filmstill aus ›Sleep‹ von Andy Warhol. März Verlag, Darmstadt 1969

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John Giornos ›Cunt‹ lief 1968 fünf Monate lang über Anrufbeantworter, die er von der Architectural League of New York geschnorrt hatte, dazu Texte und Gedichte von Autoren wie Anne Waldman, William Burroughs, Bill Berkson, Allen Ginsberg, Giorno himself natürlich, Ron Padgett, John Perreault, Ed Sanders, Emmett Williams, Peter Schjeldahl, David Henderson, Taylor Mead, Lewis Warsh, simultan über zehn Anschlüsse. Die Bänder wechselten täglich, über eine Million Anrufe wurden in den fünf Monaten, in denen die Aktion lief, registriert. ›Dial-a-Poem‹ war geboren. Auch in der St. Mark’s Church wurden ›Johnny Guitar‹ und ›Cunt‹ aufgeführt. Ein Tonband mit den beiden pornographischen Gedichten spielte ununterbrochen vier Stunden lang über sechs Lautsprecher in der Kirche zum Beispiel Giornos ›Pornografisches Gedicht‹:

»Sieben kubanische  /  Armeeoffiziere  /  im Exil / waren die ganze Nacht / mit mir beschäftigt. / Große / schlanke / geschmeidige / spanische Typen / mit glatten dunklen / muskulösen Körpern / und Haar / wie nasse Kohle / am Kopf / und zwischen den Beinen. / Ich wußte nicht mehr / wie oft / ich von ihnen /  in jeder erdenklichen / Lage / gefickt wurde. / Einmal / standen sie / im Kreis / um mich herum / und ich mußte / von Unterleib / zu Unterleib / kriechen / und an jedem / Riemen lutschen / bis er steif war. / Als ich alle / sieben hoch hatte / schauderte ich / beim Anblick / dieser erigierten Schwänze / die alle verschieden lang / und dick waren / und bei dem Gedanken / daß jeder einzelne / sich in mein Arschloch / schieben würde. / Jeder / von ihnen / kam / mindestens zweimal / und einige dreimal. / Dann setzten sie mich / auf das Bett / kniend / einer fickte mich / in den Hintern / ein anderer in den Mund / während ich / mit jeder Hand / einen wichste / und zwei von den anderen / ihre Latten / an meinen nackten Füßen / rieben / und warteten / bis sie an der Reihe waren / in meine Dose / zu kommen. / Gerade als ich glaubte / sie seien völlig fertig / taten sich zwei / von ihnen zusammen / und fickten mich / gleichzeitig. / Die Stellungen / die wir einnahmen / waren wahnsinnig / aber mit zwei / großen dicken / kubanischen Schwänzen / zur gleichen Zeit / in meinem Arsch / war ich / im Paradies.«

Keine Aufregung, die Übersetzung ist von Rolf Dieter Brinkmann. John Giornos Gedichte erschienen 1969 bei März, damals wurde der Hammer geschwungen. In der St. Mark’s Church hatte Giorno an das Kreuz über dem Altar eine zwei Meter fünfzig hohe Doppellichtsäule montiert. Sie bestand aus je dreißig roten, gelben, blauen und grünen Hundertfünfzig-Watt-Lampen, die an eine Lichtorgel angeschlossen waren. Die Bänke im vorderen Kirchenraum waren rausgeräumt, dafür gab es Sitzkissen, dazwischen drei Dutzend Kerzen. Das Verteilersystem eines Intervallduftdispensors erfüllte die Kirche mit dem Aroma von Schokolade. Der Raum wurde von sechs Tausend-Watt-Scheinwerfer mit orangefarbenem Vorsatz lichtüberflutet. Ein Krug mit LSD-Punsch stand auf dem Tisch neben dem Altar, ein Becher enthielt ein Viertel eines Trips, jeder konnte sich bedienen, zwanzig Liter Punsch wurden ausgeteilt. In der Sakristei neben der Kirche gab John Giorno eine Geburtstagsparty für Anne Waldman mit Beat, Essen, Wein, Haschischsuppe, Haschischgeburtstagskuchen, dazu noch sechshundert Joints. Die Besucher wechselten von der Lesung zur Party, zurück zur Lesung und dann wieder zur Party. Solche Aktionen transportierten  wir  in unsere Republik, wenn auch nur auf Papier. Und Giorno schlief, währenddessen für Andy Warhol in dessen Sechs-Stunden-Film ›Sleep‹. Denn Warhol war noch nicht mit seinem Silkscreen-Bauchladen unterwegs zu allen Hubert Burdas dieser Welt.

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‪John Giornos Performance ›Thanks For Nothing‹:

[youtube]http://www.youtube.com/watch?v=upkz_PcuhjI&feature=related[/youtube]

(JG / BK / JS)

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