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Der Bär flattert munter in östlicher Richtung.
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Haben wir es nicht gesagt? Am 18. September 2009 schrieben wir in einer Kolumne in der jungen Welt:
Gegenwärtig sind drei Untergänge im Angebot: Da ist zuerst die Wintersonnenwende 2012, wenn nach den Berechnungen der Maya das Sonnensystem auf höhere kosmische Ebenen gehoben wird. Das bedeutet »Apocalypse now!« – aber vorher kommt noch Roland Emmerichs Blockbuster heraus, der im November Weltpremiere hat.
Die zweite Schlacht bei Armagedon hört sich schon etwas realistischer an. »Eine letzte Warnung«, verkündet der englische Chemiker und Klimaforscher James Lovelock in seinem soeben erschienenen Buch ›The Vanishing Face of Gaia‹. Lovelock hält die ohnehin düsteren Prognosen des ›Weltklimarats‹ für zu optimistisch. Nach seinen Berechnungen wird die Erde bereits im Jahr 2100 nicht mehr als eine Milliarde Menschen tragen können, die sieben Milliarden wie jetzt seien einfach zu viele. »Menschen und ihre Haustiere sind allein für 23 Prozent der CO2-Emissionen verantwortlich.« Wir müssten also aufhören zu atmen. Dass die Modelle des ›Weltklimarats‹ so ungenau sind wie die von Wirtschaftswissenschaftlern und -politikern, damit jedenfalls könnte Lovelock recht behalten. Aber auch Ernest Mandel mit seiner Theorie von den langen Wellen der kapitalistischen Entwicklungen, die nach seinem Modell in einen hyperinflationären Crash enden. Dagegen wäre die jetzige Finanzkrise nur ein Sturm im Wasserglas gewesen.
Machen wir mal einen großen Sprung zurück: Im Jahr 1907, während der großen Bankkrise in den USA, tat sich ein Mann als ›Retter der Nation‹ hervor. Es war John Pierpont Morgan, ein Kunst- und Literaturfreund, der diesen Bankencrash im geheimen Verbund mit John Rockefeller selbst inszeniert hatte, um anschließend zum mächtigsten Banker und Industriellen der USA aufzusteigen. Morgans Vermögen umfasste Bank-, Trust-, Versicherungs-, Industrie- und Transportgesellschaften, dazu große Strecken von Kohle- und Kupfergruben, Riesenholzungen und alle Wasserkraftgebiete in Alaska, insgesamt ein Vermögen von 25 Milliarden Dollar im Jahr 1912.
Die Biographie und die Wirtschaftsverbrechen dieses Magnaten hat Gustavus Myers in seinem Werk ›Die großen amerikanischen Vermögen‹ ausführlich dargestellt. Aber Morgan ist nicht nur Historie und das »reine Lachen«, welches Karl Marx uns »nach der Überwindung der überstandenen geschichtlich-gesellschaftlichen Entwicklungen« versprochen hat, bleibt im Halse stecken. Denn nach diversen Übernahmen, Fusionen und Transaktionen im Laufe der letzten hundert Jahre, bei denen die Morgen-Nachfolger federführend blieben, ist die J.P. Morgan Chase, wie sie heute heißt, die größte Privatbank der USA geblieben und wird gestützt von der Fed – die Zentralbank der Vereinigten Staaten –, welche John Pierpont Morgan im Jahr 1913 mitgründete. Die US-Notenbank ist also gleichzeitig der Finanzier der größten Privatbank. Das wäre im Prinzip nichts Ehrenrühriges im Spätkapitalismus, zumal J.P. Morgan Chase wie durch ein Wunder im Krisenjahr 2008 einen Nettogewinn von 5,6 Milliarden USD machte. J.P. Morgan stünde als die wahre Good Bank da, wenn die Derivate nicht wären.
Dieses harmlos scheinende Wort des Börsenchinesisch bezeichnet den monströsesten Schwarzmarkt aller Zeiten. Warren Buffet, selbst einer der größten Zocker, nannte die Derivate »finanzielle Massenvernichtungswaffen«. Das ist keine Übertreibung, denn Kreditausfall-Derivate und alle anderen auch sind nichts anderes als Wetten, Lotterielose ohne reale Substanz. Diese Luftbuchungen sind weltweit gigantisch, sie betragen 800 Billionen USD, also achthunderttausend Milliarden. Von diesen 800 Billionen hält J.P. Morgen Chase allein ca. 100 Billionen USD, die in den Bilanzen der Bank nicht auftauchen – so etwas erlaubt das amerikanische Börsengesetz.
Zum Vergleich: Das Bruttosozialprodukt der USA von 14 Billionen USD wird von den Derivaten der J.P. Morgen Chase um den Faktor sieben überstiegen. Natürlich kann sich kein Mensch solche Summen vorstellen, aber wir haben alle einen Begriff davon, was sich in den letzten zwei Jahren in der Wirtschaft tat und noch tun wird. Wenn man also weiß, dass in der Finanzkrise 2008 bis 2009 bisher weltweit etwa 80 Billionen USD vernichtet wurden, dann kann man sich ein Bild davon machen, was bei einem Crash der Derivate passiert. Wenn also die zehnfache Summe, nämlich 800 Billionen USD, ins Bodenlose versinkt. Kein Bail-out, kein Konjunkturprogramm, keine Regierung der Welt könnte diesen Super Gau gegenfinanzieren. Es gibt nur eine Lösung: Die G 20, welche Ende September in Pittsburgh tagt, müsste sich auf ein Verbot sämtlicher Finanzderivate einigen. Aber wer glaubt schon an Wunder?
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James Lovelock, ›The Vanishing Face of Gaia. A Final Warning‹, 288 Seiten, Basic Books, New York, 2009.
Gustavus Myers, ›Die großen amerikanischen Vermögen‹ in zwei Bänden. Aus dem Amerikanischen übersetzt und mit einer Einleitung versehen von Max Schippel. Engl. brosch, 800 Seiten, März Verlag 1969 (nur noch antiquarisch erhältlich).
(BK / JS)