vonSchröder & Kalender 11.08.2014

Schröder & Kalender

Seit 2006 bloggen Schröder und Kalender nach dem Motto: Eine Ansicht, die nicht befremdet, ist falsch.

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Der Bär flattert in östlicher Richtung.

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Im Prinzip sind wir in strenger Klausur mit der Produktion und der Vorbereitung des Versands unserer 61. Folge von ›Schröder erzählt‹. Jedoch immer radikal, niemals konsequent: Gestern Nachmittag machten wir statt einer Pause einen längeren Literaturspaziergang durch Friedenau. Annett Gröschner hatte mir (BK) zum Geburtstag diesen Rundgang mit Michael Bienert geschenkt. Das Brecht-Haus hatte den Spaziergang als Beitrag zu einer Uwe-Johnson-Woche organisiert.

 

Und weil wir nur drei Minuten vom Varziner Platz entfernt wohnen – jenseits der Ringbahn –, waren wir natürlich gespannt, was uns Bienert neues über eines der Hauptquartiere der deutschen Literaturszene der fünfziger und sechziger Jahre erzählen würde.

 

 

Ringbahn, Bundesplatz, Foto: Barbara Kalender

Ringbahn, Foto: Barbara Kalender

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Dort, am Varziner Platz vor dem immer noch bespielten Cosima-Kino, das schräg gegenüber dem Friedenauer Eingang zur S-Bahn liegt, begann Bienert mit einer kurzen Lesung aus Johnsons Betrachtungen zur Berliner Stadtbahn – der Autor liebte die S-Bahn, wir auch!

Nach dieser ersten Station spazierten wir mit der lockeren Gruppe zum Cosima-Platz. Da zeigte Bienert auf eines der Bürgerhäuser des Ensembles von Bürgerhäusern und berichtete, dass hier Gretchen und Rudi Dutschke eingezogen waren kurz vor der Geburt ihres Sohnes Hosea-Che. Im Vorgriff auf Rudi Dutschkes Kommune-I-Ambitionen erinnerte Bienert an Gretchen Dutschkes »nicht nur sanften Druck«, wie es Dieter Kunzelmann ausdrückte, mit dem sie ihren Einzug in die Kommune I ablehnte. Sie war bekanntlich eifersüchtig auf ihren für die Genossinnen allzu attraktiven Rudi (nicht ohne Grund).

 

Dann ein kleiner Schlenker in die Sarrazinstraße, wo Marianne Frisch geborene Oellers, eine großzügige Bürgerwohnung gemietet hatte. Uwe Johnson half damals Max Frisch beim Einzug, und Michael Bienert las ein längeres Zitat aus Frisch’ kürzlich erschienenen ›Berliner Journal‹ vor, ein treffendes und außerordentlich schönes Porträt des komplizierten Querkopfes Johnson. Allein für dieses Zitat hätte sich der Spaziergang gelohnt. Max Frisch blieb übrigens der letzte Freund von Uwe Johnson. Mit allen anderen Weggefährten hatte er sich zerstritten.

 

 

Literaturspaziergang durch Friedenau, Foto: Barbara Kalender

Literaturspaziergang durch Friedenau, Foto: Barbara Kalender

 

 

Weiter ging’s die Sarrazinstraße entlang, an der Ecke des Friedrich-Wilhelm-Platzes vor dem italienischen Delikatessenladen, wo wir dem Ohrenbart begegnet waren (wer mehr wissen will, muss ›Kriemhilds Lache‹ lesen!) zeigte der Literaturführer auf die andere Seite des Platzes zur Bundesstraße 75. Bienert las ein Zitat, über die berühmte Szenekneipe ›Bundeseck‹, wo einst die linke Autorenszene verkehrte. Ich (JS) war auch öfter in dem Lokal während meiner sporadischen Berlin-Besuche mit Bernward Vesper und anderen Autorinnen und Autoren.

 

Gleich um die Ecke gab es den alten ›Buchhändlerkeller‹, in dem es hoch her ging. Der kürzlich verstorbene Galerist Jes Petersen schrieb darüber in seinen Erinnerungen: »Im Buchhändlerkeller, diesem ärmlichen Kellerraum in der Görresstraße 9 lesen jeden Mittwoch Abend bekannte und unbekannte Autoren … Für viele wurde es zu einer Schlachtbank, denn in den Diskussionen nach den Lesungen wird keinem Zucker in den Arsch geblasen. Der größte Teil der Zuhörer schreibt selbst, und der Rest hat es sich seit vielen Jahren fest vorgenommen …«

 

Ja, das alte linke Berlin! Wo damals »die ›Basisgruppe Friedenau‹ randalierte«, wie Günther Grass die Autorenszene spöttisch nannte, wohnen heute rundherum in Eigentumswohnungen die Erbsen (kein Schreibfehler, wir nennen sie so) der ehemaligen rotbewegten Marschierer durch die Institutionen. Das nur mal als Zwischenbemerkung. Um gleich beim Thema zu bleiben: Vom Friedrich-Wilhelm-Platz geht die Niedstraße ab.

(Dazu morgen mehr.)

 

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(BK / JS)

 

 

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