***
Der Bär flattert in nördlicher Richtung.
***
Während unserer Recherche entstand ein Konvolut von über hundert Seiten. Alle diese Details wären für eine »Empört Euch!«-Geschichte zu umfangreich gewesen. Also haben wir strikt ausgewählt, um die Botschaft nicht zu überfrachten. Denn seit Jahren wird uns ja Big Data von sämtlichen Medien um die Ohren gehauen, viele können das Wort Facebook schon nicht mehr hören oder zucken nur noch mit den Schultern, wenn von digitaler Revolution die Rede ist. Wem also dieser größte Angriff auf die Privatsphäre egal ist, dem können wir nicht helfen.
Solange es aber noch Reste von Vernunft gibt, wollen wir die Hoffnung nicht aufgeben. Als Agnostiker, die wir sind, setzten wir auf den sozialen Dominoeffekt. Ein Christenmensch wird stattdessen lieber auf Gott vertrauen, wie es Gottfried Benn in seinem berühmten Apfelbaum-Gedicht Martin Luther in den Mund legte: »Ich bin in Gott, der außerhalb der Welt noch manchen Trumpf in seinem Skatblatt hält.« Mehr als Hoffnung auf diese oder jene Vernunft hatten wir bis vor kurzem nicht. Denn die physikalische Auslösung eines Anfangsereignisses oder gar das Aufblättern von Gottes Skatblatt kann keiner planen.
Jetzt ist plötzlich Licht am Horizont, es klingt wie Morphogenese oder eben erhörte Gebete. Als Ende Januar die neuen Datenschutzrichtlinien von Facebook in Kraft traten, gab die staatliche Datenschutzkommission Belgiens bei der Freien Universität Brüssel und der Katholischen Universität Löwen Gutachten in Auftrag, welche diese neuen Bestimmungen überprüfen sollten. Das Ergebnis beider Studien ergab: Erstens verstoßen die Datenrichtlinien des Netzwerks gegen europäisches Verbraucherschutzrecht. Zweitens sind die Regeln zu vage formuliert und somit von den Nutzern nicht nachvollziehbar. Daher sollten sowohl die belgischen als auch die europäischen Datenschutzbeauftragten im Interesse der Nutzer gegen das Netzwerk beim Europäischen Gerichtshof Klage erheben, schlugen beide Gutachten vor.
Verstöße gegen das Verbraucherschutzrecht sind nicht nur nach europäischem, sondern auch nach deutschem Recht ungesetzlich. Der Wiener Jurist Max Schrems hat gerade vorgemacht, wie man als Verbraucher in Österreich mit einer Sammelklage dem Facebook-Konzern auf den Leib rücken könnte. Das ist ein Anfang, wir wünschen ihm Erfolg!
Die deutsche Politik wäre längst verpflichtet gewesen, auch gerichtlich gegen Facebook vorzugehen. Stattdessen, die Schelte der Belgier gegen Facebook war kaum verklungen, da setzte der Regierungssprecher Steffen Seibert noch eins drauf und stellte Videos und Statements der Kanzlerin auf Angela Merkels Facebook-Seite. Dagegen protestierten Presseleute, allen voran Béla Anda, unter dem Kanzler Gerhard Schröder selbst Regierungssprecher und nun Vize-Chefredakteur bei ›Bild‹, weil die Facebook-Nutzer vor der Presse über Reisen und Auftritte der Kanzlerin Merkel unterrichtet werden. »Reporter werden auf diese Weise im Grunde überflüssig«, beklagte sich Anda. »Ich finde, wir bräuchten schon eine ganz schön gute Begründung, wenn wir sagen würden: Nö, da wollen wir aber nicht dabei sein. Da gehört die Bundesregierung hin«, verteidigte sich Seibert.
Mit einer guten – wenn auch für ihn nicht schönen – Begründung können wir Herrn Seibert auf die Sprünge helfen: Die Kanzlerin der Bundesrepublik Deutschland tummelt sich mit Hilfe ihres Sprechers auf einer Seite von Facebook, die nach deutschem Recht ungesetzlich ist und wogegen die Rechtsorgane dieser Republik demnächst Klage erheben müssen. Damit handelt der Regierungssprecher Seibert nach der Devise einer Bananenrepublik: Legal, illegal, scheißegal.
Aber machen wir uns nichts vor, Klagen und deklamatorische Politikerreden sind ein stumpfes Schwert ohne den Druck der Straße – unter dem Pflaster liegt der Strand! Nur ein massenhaftes »Delete your facebook« kann etwas bewegen.
***
(BK / JS)
Wie Recht Sie doch haben, polyphem!
Nicht nur der „Leiter taz.de“, Daniel Kretschmar, nuckelt am F*c*book-Daumen, auch der taz-Geschäftsführer, Andreas Bull; Und der geht sogar (¿stolz?) damit hausieren, dass man den „Netzwerken“ erweitert zuarbeite:
„(….), die engagierte Kommunikation mit dem deutlich jüngeren Lesepublikum vor allem in den Netzwerken Facebook und Twitter verlangt mehr Einsatz an Personal und vom Personal mehr Einsatz. Genauer: Die Personalkosten stiegen um knapp 34 Prozent.“
https://blogs.taz.de/hausblog/2015/04/07/die-bull-analyse-verbssern-oder-sterben/
Vielleicht schielt man im v.a. wohl automanipulativ eingehämmerten Größen- u./o. ‚Qualitätsjournalismus‘-Wahn inzwischen auch in der taz.de bereits auf einen Krümel-Kickback-Vertrag mit F*c*book, das, so munkelt fraumann immer lauter, mit ausgesuchten us-amerikanischen Tageszeitungen, Verlagshäusern in Verhandlungen steht und jenen bei Überlassung ihrer Inhalte (Hosting) anbietet, einen Teil der bei F*c*book erzielten Werbeeinnahmen an sie abzudrücken.
http://www.slate.com/articles/technology/technology/2015/03/facebook_s_deal_with_new_york_times_buzzfeed_why_the_media_should_resist.html
Nachdem die taz.de durch immer rigidere Zugangs-Barrieren zur Online-Leserkommentar-Funktion (zuletzt: zwingend notwendige Registrierung) bereits den Großteil der interessierten (Online-)Leser vertrieb, auf stumm stellte und dann auch noch die Registrierten durch neuerlich einsetzende L.k.-Löschungen (auch Tage nachträglich), L.k.-Kürzungen und ad libitum eingesetzte Freischalt-warte-sperren (ad calendas graecas!) gängelt-e, ist endlich Ruhe im Online-Haus, ausser, dass der ‚Feind‘ (oh Wunder!) nun innen entdeckt wurde (Sebastian Heiser, oder-so).
Die Headline des vorerwähnten Bull-taz.blogs dürfte Selffulfilling Phrophecy in der zweiten ‚Option‘ sein, also das nach: „oder“.
Vielleicht ist ’s schade um das Zeitungs-Projekt, aber mit ein bißchen ‚Glück‘ bleibt ‚uns‘ ja der tazpresso und Manufaktum-Ähnliches erhalten, wenn man schon partout nicht die Bohne Ahnung vom Zeitungsmachen-2.0 haben will, stattdessen aber konstant Konversion in Richtung ‚grün‘ lackierter Lifestyle-&-Gedöns-Bauchladen betreibt.