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Es ist dunstig, wir sehen nicht, wie der Bär flattert.
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Während der Redaktion des ›MÄRZ-MAMMUT‹ schickte uns Gerhard Zwerenz im Jahr 1984 als Beitrag ein Foto seiner Lebendmaske in Terrakotta (von Antje Michael) mit der Bemerkung: »Ehret Eure lebenden Dichter, denn sie werden lange tot sein.«
Gestern ist er gestorben. Wir werden ihn, so lange wir leben, preisen und ehren. Wir trauern um einen aufrichtigen und großzügigen Freund und Autor.
Barbara Kalender und Jörg Schröder
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Gerhard Zwerenz gehörte zu den vitalsten Gestalten in der deutschen Literatur der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. »Wie bei Norman Mailer und Henry Miller sind es die Tabus, die sein Interesse wecken: politisches Engagement, das Experimentieren mit den Formen des Trivialromans und immer wieder der Bereich der Sexualität. Schon lange vor den Achtundsechzigern plädierte Zwerenz in seinem Roman ›Casanova‹ für sexuelle Freizügigkeit von gesellschaftlichen Zwängen und Normen.« (Kindlers Neues Literaturlexikon)
Zwerenz‘ ›Casanova‹-Roman folgt Bertolt Brechts Motto »Die Liebe ist unsere einzige Gnade in der Finsternis!« Und Ernst Bloch schrieb 1967 in einem Brief an den Freund und Autor: »Das ist ganz Blick von unten auf die Bagage und allwegs mit der tieferen Bedeutung. Die Rezensenten des Kleinen Herrn werden wohl auch dadurch determiniert werden, wie sie selber einen haben.«
In dem autobiographischen Roman ›Kopf und Bauch‹ berichtet Zwerenz vom Ausbruch aus den Grenzen seiner Herkunft, seiner Lehre als Kupferschmied, den Erfahrungen aus Krieg und Gefangenschaft und der Begegnung mit seinem ›zweiten Vater‹ Ernst Bloch, bei dem er zusammen mit seiner Frau Ingrid in Leipzig Philosophie studierte. Der Autor schildert seine rebellische Existenz in der DDR wie auch in der Bundesrepublik als Sozialist und Libertin. Denn für Gerhard Zwerenz gab es keine Freiheit ohne befreite Sexualität. »Lebendig, echt und wahr wirken die Menschen, die Zwerenz beschreibt, weil er die Umstände unter denen sie leben und leiden und sterben müssen, mit einer Genauigkeit und Intensität schildert, die in der deutschen Gegenwartsliteratur ihresgleichen suchen.« (Tagesanzeiger, Zürich). Zwerenz Engagement für Freiheit und Sozialismus begann, als er 19 Jahre alt war, er ging von der Fahne und wurde zum Antimilitaristen. Der Kanonendonner sensibilisierte ihn für alles, was nach Uniform und Großmannssucht roch. Im Unterschied zu vielen Zeitgenossen machte ihn das immun gegen das schleichende Gift der Gewöhnung – und hellsichtiger als andere. Es liegt in der Natur der Sache, dass darum die Zahl seiner Gegner so groß war wie die seiner Sympathisanten. An Gerhard Zwerenz scheiden sich die Geister.
Mehr zu Gerhard Zwerenz: ›Die Erde ist unbewohnbar wie der Mond‹
(AM / EB / BK / JS)