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Der Bär flattert in westlicher Richtung.
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Damit nicht genug, Eva und Vladimir Nabokov versuchten es noch mit einem anderen Trick: Sie behaupteten, Maurice Girodias habe mindestens drei- bis viertausend ›Lolita‹-Exemplare in die USA ausgeführt, also mehr als die tausend abgerechneten Exemplare. Walter Minton, Nabokovs Agent, war entsetzt und beschwor Nabokov: »Erwähnen Sie dies um Gottes willen nie wieder! Denn wenn dieser Vorwurf sich bewahrheiten sollte, dann ist ihr ›Lolita‹-Copyright keinen Cent mehr wert!« Dazu muss man wissen: Ein US-Copyright-Paragraph bestimmt, dass – sollte ein Amerikaner mit Wohnsitz in den USA sein Buch im Ausland publizieren – er nur ein zeitlich begrenztes Copyright von fünf Jahren erwirbt. Diese Regelung dient zur Protektion der US-Druckindustrie. Im Gesetzestext ist zudem festgelegt, dass nicht mehr als tausendfünfhundert Exemplare dieser Veröffentlichung in die Staaten exportiert werden dürfen. Werden diese Vorschriften übertreten, verliert der Autor sein Copyright und sein Buch ist weltweit gemeinfrei.
Die Nabokovs hatten sich in ihren eigenen Fallstricken verfangen und mussten sich mit Girodias einigen. Um das Copyright an ›Lolita‹ zu sichern, sollte also so schnell wie möglich ein amerikanischer Verlag gefunden werden. Widerstrebend stimmte Nabokov zu, dass weltweit zehn Prozent des jeweiligen Verkaufspreises an ihn fallen und sieben Komma fünf Prozent an Girodias.
Dennoch blieb Nabokov bis zu seinem Tode tief beleidigt. Anlässlich des Erscheinens der französischen ›Lolita‹-Ausgabe bei Gallimard kam es 1959 zu einem absurden Treffen der beiden Kontrahenten. Der Verlag hatte zu einem Empfang für den inzwischen weltberühmten Autor geladen. Die Gallimard-Pressechefin schickte auch eine Einladung an Maurice Girodias, weil sie es empörend fand, dass der Verleger der Originalausgabe nicht eingeladen werden sollte – wie es die Verlagsleitung auf Wunsch der Nabokovs entschieden hatte. So begegneten sich die beiden Männer auf dem Empfang. Girodias stellte sich Nabokov vor, der übersah ihn, wandte sich ab und sagte später in nicht zu überbietender Arroganz zu Doussia Ergaz: »Ah, Girodias! War er anwesend? Das wusste ich nicht.« Danach lieferten sich die beiden seitenlange Dispute in der ›Evergreen Review‹ über solche und ähnliche Lappalien, wer, wann und wo wen gegrüßt oder nicht gegrüßt habe. Sie produzierten ein Puzzle von An- und Vorwürfen – immer in hohem Ton, der gegenseitige Hass saß tief. Das infantile Gerangel der beiden großen Männer war einfach nur läppisch.
Nicht läppisch waren die Säcke voll Geld, die Nabokov und Girodias mit den ›Lolita‹-Tantiemen scheffelten. Ich habe mal überschlagen, es müssen für Maurice etwa zwei Millionen Euro nach heutigem Geldwert gewesen sein, für Nabokov acht Millionen. Bei den Nabokovs reichte es für das Leben in einer Suite im Palace Hotel in Montreux. Hier, am Genfer See, residierte das Paar bis zum Tode von Vladimir Nabokov im Jahre 1977.
Diese Erzählung wird demnächst fortgesetzt