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Der Bär flattert in östlicher Richtung.
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Nach süßem Schlaf und ausgiebigem Frühstück mit gutem festen Landkäse bei Antje Westermann in der Planetenstraße machten wir uns auf zum Heinrich-Heine-Institut, welches in einer Nebenstraße des Carlsplatzes residiert.
Unser Weg führte uns an der südliche Düssel vorbei. Alle Fotos: Barbara Kalender
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Übrigens fließt die Düssel dann am Carlsplatz verrohrt unter der Schulstraße, wo auch Harry Heine – so hieß der Dichter noch als Knabe – zur Schule ging. Zunächst pilgerten wir am Wilhelm-Marx-Haus vorbei, den Catwalk der Flinger Straße entlang in die Altstadt. Die alte Flinger Straße ist heute ein Logo-Paradies sämtlicher Edel- und weniger edlen Marken. Sie wird komplett von schönen und nicht ganz so schönen Mädchen aus dem Rheinland und Ruhrgebiet okkupiert.
Über Jörg Jugend in Düsseldorf ein Zitat aus ›Schröder erzählt‹: Eine große Stadt mit vielen kleinen Szenen. Bald saß ich abends im ›Mobbi‹ am Wilhelm-Marx-Haus, hinter der Theke die Italomachos Angelo und Renato, davor die Germanomachos Jochen und Hans, zwei Tapetenhändler von Fausel & Biskamp an der Kö, sowie zwei Nutten von der anderen Kö’-Seite, ein Halbstricher und zwei Bertelsmann-Drücker. Es wurde um Haus und Hof geknobelt: »Chicago hoch tief«. Oder mittags fast abgebrannt ins ›Copacabana‹ neben dem ›Mobbi‹, das zwei schwule Brasilianer betrieben, hier führte ich lange abgefahrene Gespräche mit Wittgenstein, dem Kokser, am Tresen lungerten halbwüchsige Mädchen im Juliette-Greco-Habit. War ich gänzlich abgebrannt, saß ich im Wilhelm-Marx-Haus in der Gaststätte der ›Brücke‹, des englischen Kulturinstituts, dort konnte man anschreiben lassen am Stammtisch der ›Kammerspiele‹ des Brecht-Regisseurs Hansjörg Utzerath, hier soff das Ensemble und schmiedete Pläne. Mit schiefgelegtem Kopf saß meist schweigend Johannes Wasmuth dabei, der bigotte ›Brücke‹-Hausmeister mit Baskenmütze und spätere Gründer des Bahnhofs ›Rolandseck‹, ein ganz großer Kultur-Charity-Absahner der frühen Jahre. Dann gab es noch den ›Dudelsack‹, wo Muggsy aus Berlin herumtrötete, die Erfinderin der ›Sprecharie‹ und — notgedrungen — platonische Freundin von Niki, der Rhein-Ruhr-Schwulen-Queen. Nicht zu vergessen die alte ›Ciro-Bar‹ gegenüber dem ›Apollo‹, wo meine Freundin Leane arbeitete.
Die Zentrale für Leute wie mich aber wurde das ›Bobbi‹ in der Altstadt, eine winzige Altbierkneipe mit ein paar schmalen Bänken rundum, die eigentlich ›Schnapsausschank an der Kreuzherrnecke‹ hieß. Bobbi war der erste Wirt gewesen, die Kneipe gehörte zum Schuster-Konzern. In der Altstadt, die heute wie die Reeperbahn aussieht, war damals nämlich bis auf drei Traditionsfreßlokale und fünf, sechs traurige Rentnerkneipen nichts los, bis Schuster kam, ein Ungar. Ihm gehörten zwei weitere Etablissements, die mit dem ›Bobbi‹ unser Bermudadreieck bildeten: das ›Cikos‹ und das ›Rialto‹, Düsseldorfs erstes italienisches Restaurant in der Kurzestraße. Es wurde von der Baroness geführt, einer vierzigjährigen österreichischen Lesbe. Ob sie wirklich adelig war, weiß ich nicht, jedenfalls gab sie sich so, wie wir uns degenerierten Adel vorstellten, und führte in Düsseldorf die geflügelten Worte ein: »Bi ist eine Gnade.« Wenn sie nämlich stark betrunken war, und das war sie oft, ließ sie von der Frauenliebe ab, dann mußte ein Küchenjunge ran. Wir wußten das, weil sie die Jungs auch aus unserer Clique rekrutierte. Einen langen Zungenkuß, »bacio«, verlangte sie von dem angeekelten Knaben. Weigerte der sich, wurde er nie wieder zum Töpfespülen eingestellt.
Schusters drittes Altstadtlokal war das ›Cikos‹, der ›Zwiebelkeller‹ in der ›Blechtrommel‹. Die Gulaschsuppe war hier so scharf, daß keiner sie aufessen konnte. Die Reste kamen in der Küche wieder in den großen Topf. Scharfes Essen gehörte zum Existentialistenleben der Fünfziger wie der schwarze Pullover oder das Ringelhemd, irgendwie wurde das alles mit Frankreich zusammengebracht. Die Götter kamen nämlich noch nicht aus Amerika, sondern aus Frankreich: Juliette Greco und Gilbert Bécaud. Einer der Düsseldorfer Halbgötter, ein paar Jahre älter als wir, hieß Berenbrock, er managte die beiden mit seiner ›Europa‹-Konzertagentur und hatte eine allseits adorierte, grecoartige Freundin, lebte in einer fast leeren Wohnung mit riesigen rohgezimmerten Etagenbetten, das Orgienverheißende überhaupt. Im Vorzimmer des Olymp saß ferner Horst Geldmacher, der Grafiker und Kneipeneinrichter. Er hatte das ›Bobbi‹ mit holz-schnittschnörkeligen bunten Fenstern im New-Orleans-Stil, einer Mischung aus Memphis und HAP Grieshaber, ausgestattet, alles sah so aus wie in ›O Susanna‹, seinem Jazzbilderbuch mit Spirituals, Balladen und Blues, das Günter Grass übersetzt hatte. Geldmacher wurde in Düsseldorf als Erfinder des getönten Kneipenspiegels bewundert, in dem du auch als kalkweißer Nachtschwärmer noch Tiroler Bräune im Gesicht hast. Natürlich ist der Trick so alt wie die Erfindung des verspiegelten Glases selbst, wir glaubten eben alles. Sein Freund Günter Grass war bereits 1953 nach Berlin gegangen, lebte dann in Paris, kam aber immer mal in Düsseldorf vorbei. In der Schrobsdorff’schen Buchhandlung, wo ich lernte, in der Kartenabteilung fragte er 1957 nach einem Stadtplan von Danzig. Der Geist Oskar Matzeraths schwebte also schon zwei Jahre vor Erscheinen der ›Blechtrommel‹ über den Wassern des Rheins.
Der größte aller Düsseldorfer Helden jedoch war Charles Wilp. Er überragte alle, importierte die wirkliche Avantgarde in die Stadt, zunächst mal auch aus Frankreich, erst später kümmerte er sich in London um die Beatles und Mick Jagger. Wilp, und nicht die Galerie Schmella, brachte zuerst Ives Kleins Körperdrucke und monochrome Bilder sowie Armands ›Assemblagen‹ nach Düsseldorf, hatte ein Autowrack von César an der Studiowand und ließ 1957 zehntausend von Jean Tinguelys ›Manifesten über die Statik‹ aus einem Hubschrauber auf die Stadt herabregnen, Jahre bevor der ›Nouveau Réalisme‹ sich konstituierte. Charles Wilp ist eine Figur, auf die ich im Zusammenhang mit meiner bisher unformulierten Hypothese der ›Nephelometrie von Prototypen‹ sicher noch zurückkomme.«
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Altbierkasematten unter der Pegeluhr. Schon am hellichten Tage Gegröhle an der Rheinuferpromenade und in den Nebenstraßen.
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Jörg gelüstete es nach einem Rheinischen Sauerbraten. Und als wir einen Düsseldorfer Bürger nach der Richtung zu einer der drei dafür berühmten Altstadt-Restaurants fragten, kommentierte er das nach rheinischer Art: »Aber Vorsicht, das ist heute alles Convenience!« Recht hatte er! ›Im Schiffchen‹ wurde uns für 18,50 ein Sauerbraten serviert mit drei kleinen Scheiben vom Rind, die so trocken und sauer waren, dass sie uns alle Löcher zusammenzogen. Als der griechische Kellner beim Abräumen der Teller routinemäßig fragte: »Hat es Ihnen geschmeckt?« teilte Jörg ihm mit: »Früher war hier alles besser.« Darauf meinte der Köbes lächelnd: »Früher war auch in Kreta manches besser.« So isses, alle Kreter lügen nicht!
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Heinrich Heine Institut in der Bilker Straße 12 – 14
Die Dauerausstellung im ersten Stock zum Leben und Werk Heinrich Heines konnten wir dieses Mal aus Zeitgründen nicht besuchen.
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Jörg Schröder und Enno Stahl in der Sonderausstellung »Aber ich schrieb mich verrückt«
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Mit Enno Stahl sprachen wir über die Ausstellung ›Pop am Rhein‹, an der Enno Stahl und wir beteiligt waren. Enno erzählte, dass er gerade einen Roman abgeschlossen habe, der wohl wieder im Verbrecher Verlag erscheinen wird. Wir gehören ja ebenfalls zu dessen Autoren, dort erschien ›Kriemhilds Lache‹.
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Dann erfuhren wir von Martin Willems, dass er den Nachlass von Wolfgang Welt für das Heinrich Heine Institut gesichtet hatte. Willems kuratierte die großartige Ausstellung zusammen mit Jan von Holtum.
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Ein anderes Zitat von Welt hängt ebenfalls in der Ausstellung: »Ich glaub, das Studium, das für mich geeignet ist, gibt es nicht, wie spätere Fehlversuche zeigten. Stattdessen träumte ich davon, Schriftsteller zu werden, nachdem ich Hesse und Handke gelesen hatte…« Peter Handke schrieb später über Wolfgang Welt: »Dieser Autor ist einerseits ein großer Verehrer von Hermann Lenz … und andererseits ist er der größte Verehrer von Buddy Holly. Und aus diesen zwei Polen, Buddy Holly und Hermann Lenz, bestehen eigentlich alle seine Bücher.«
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Eine Reise zur Wolfgang-Welt-Ausstellung ist dringend zu empfehlen. Beim orangenen easyjet kostet der Flug von Berlin nach Düsseldorf (bei rechtzeitiger Buchung) nur ca. 80 Euro – aber bitte nicht am Wochenende fliegen. Denn dann werden die Flüge zum Martyrium! Jedenfalls wurde es das für uns.
Wir flogen mit einer Maschine eines Subunternehmers von easyjet, die zwar pünktlich in Düsseldorf startete und in Berlin landete, aber dann saßen wir in Tegel über eine Stunde in der Maschine – angeblich weil das Bodenpersonal streikte. Reine Erfindung, jedenfalls klappte die Gepäckausgabe überhaupt nicht. Auch die Passagiere von vier anderen Flügen warteten ewig auf ihre Koffer, ein Tohuwabohu und lautes Geschimpfe. Wir warteten bis 24 Uhr an den Bändern, das Gepäck aus Düsseldorf kam nicht.
Stattdessen wurde Jörg Schröder um Mitternacht fast in der Toilette eingeschlossen. »Ach, da ist ja noch einer!«, sagte der Securitymann. Ohne Gepäck traten wir den Heimweg an. Am nächsten Vormittag musste Barbara noch einmal nach Tegel zum Terminal C – ganz hinten in den Wicken. Nach vielen Aufhaltsamkeiten bekam sie endlich unseren Rollkoffer ausgehändigt.